Mit meiner rechten Hand umfasse ich alle meine Haare und hebe sie hoch, fast wie zu einem Zopf, um die Kette noch besser im Spiegel sehen zu können. Wow, denke ich. Sie ist schön. Das filigrane Silber umschließt zart und bedächtig meinen Hals und lässt meine Haut darunter erstrahlen. Ich richte mich noch weiter auf und drehe meinen Kopf langsam von einer Seite zur anderen. Ich fühle mich wie eine Aristokratin aus einem früheren Jahrhundert, wie die Eleganz und Weiblichkeit in Person. Meine Schlüsselbeine laden den Blick zum Verweilen ein, so sehr werden sie durch die Kette hervorgehoben. Ich drehe mich nach links und schaue nun auf die Reflexion meines Profils. Ja; ich bin begehrenswert, jetzt gerade. Diese Kette trotz meines knappen Budgets zu kaufen, war eine sehr gute Entscheidung. Ich lasse meine Haare wieder los und nehme die Kette ab, um sie gleich in meinem Schmuckkästchen zu verstauen. Ich betrachte mich noch einmal ohne die Kette im Spiegel und erkenne mich selber kaum wieder; die Märchenprinzessin von vorher ist nun eine eher mäßig attraktive Frau mit glanzlosen Haaren, zu großen Poren und und einer ein wenig unproportionalen Figur. Ich achte noch immer durch den Spiegel auf meinen Hals, meine Schlüsselbeine und meine helle Haut. Nichts scheint mehr, nichts erstrahlt. Alles an mir ist matt, spröde und langweilig. Es ist schon merkwürdig, was so etwas Kleines und Zartesverändern kann, dass es bestimmen kann, wer vor dem Spiegel steht. Ich möchte die Kette demnächst so oft tragen wie ich kann. Ich nehme die Kette wieder in die Hand und verlasse das Badezimmer, um sie in mein Schmuckkästchen zu legen. In meinem Schlafzimmer angekommen, hebe ich das Schmuckkästchen sacht aus dem Regal heraus und stelle es auf dem Tisch ab, die Kette lege ich daneben. In einem Moment unbewusster Lethargie öffne ich das Kästchen und nehme alle silbernen Ketten heraus, die ich in den letzten Jahren angesammelt habe. Meine neue Kette lege ich direkt daneben. Hier sind nun also alle beisammen, Zeuginnen meiner Unweiblichkeit, die viele Geschichten darüber erzählen könnten, dass erst geistlose Gegenstände mich zu dem machen, was ich außerhalb meiner eigenen Räume vorgebe zu sein. Eigentlich müsste ich die Schatulle verschließen und dort wegsperren, wo sie mit ihrem Inhalt nie wieder zum Vorschein kommen kann – sie weiß zu viel. Ich werfe diesen Gedanken beiseite und lege meine neue Kette zu den anderen, um dann die homogene Masse zurück in das Kästchen zu hieven. Ja, ich bin wieder leer. Ich bin wieder ich selbst, ohne strahlenden Glanz. Wann habe ich mich eigentlich dazu entschieden,eine „Frau" sein zu müssen?
