CHAPITRE TROIS

1.3K 156 1K
                                    


»Junge, mach mal 'ne Pause!«

Ohne mich umzudrehen rufe ich: »Brauch ich nicht!« Mein fokussierter Blick löst sich kein bisschen von der Bahn vor mir, ich behalte unbeirrt mein strammes Tempo bei.

»Sturer Arsch«, höre ich meinen besten Freund Jean noch grummeln, dann ist das einzige Geräusch in meinen Ohren nur noch mein schwerer Atem.

Das Laufen auf dem Sportplatz in der Nähe der Uni macht mir den Kopf frei von all dem Müll, der da sonst drinnen ist.

»Die Menschen wollen immer dein Herz sehen, Junge. Zeig es ihnen, gib ihnen, was sie haben wollen – lass sie aber nie wissen, dass du keins hast!«

Es gibt mir ein Gefühl von Macht.

Macht darüber, Dinge hinter mir zu lassen. Einfach zu rennen, immer weiter und weiter.

Durch jeden zurückgelegten Meter fühle ich mich meinen Gedanken ferner.

Deshalb höre ich nicht auf.

Außerdem ist Laufen entspannend und gesund. Meine grand-mère sagt immer: »Wenn du zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen kannst, dann tu's.« Ich habe zwar schon größere Poeten gesehen als diese runzelige, alte Schachtel, aber recht hat sie trotzdem.

Ich überlege, wie viele Runden ich bereits hinter mir habe. Die fünfzehnte? Sechzehnte? Eine Runde ist genau einen Kilometer lang. Ich habe also schon eine ganz schöne Strecke zurückgelegt.

Jean mag ja recht haben, wenn er sagt, dass es genug ist. Allerdings wird es das für mich niemals sein, weshalb ich meinen Körper zu einem Cooldown zwinge.

»Halleluja!«, ruft Jean mit vor Sarkasmus triefender Stimme, als er sieht, dass ich langsam, aber sicher runterfahre. Gelangweilt lümmelt er auf der Zuschauertribüne und kickt gegen die Stuhllehnen der Reihe unter ihm.

Ich verdrehe die Augen. Dieser Sack nervt manchmal mehr als ...

»Hallo, François! Na, so was, du hier?«

Irritiert schrecke ich aus meinen Gedanken hoch und komme stolpernd zum Stillstand. Zwei junge, in knappen Sportklamotten steckende Frauen lächeln mich an. Es ist die Art von Lächeln, bei der man sich direkt wie eine Art Beute fühlt. Vielen Männern mag es gefallen, so angesehen zu werden – auf mich trifft das definitiv nicht zu.

»Kennen wir uns?«, frage ich desinteressiert. Am liebsten würde ich die zwei Grazien links liegen lassen, aber so viel Erziehung habe ich gerade noch genossen, um das nicht zu tun.

Die Kleinere mit blond gefärbten Haaren scheint die Offensivere zu sein. Die Rothaarige daneben wirkt eher wie ihre Begleitung.

Fake-Blond wackelt anzüglich mit den Brauen und schnurrt: »Wir sind in der gleichen Vorlesung.«

Ich blinzele. Ich besuche Vorlesungen, in denen mehr als hundert Leute im Saal sitzen. »Sorry, da klingelt nichts.«

Kurz kann ich ein verärgertes Funkeln in ihren hellblauen Augen ausmachen, doch eine Sekunde später klärt sich ihr Ausdruck wieder und sie zeigt mir ihre perfekt geformten, gebleichten Zähne. Wenn man da zu lange hinsieht, tut es in den Augen weh.

»Du bist doch auch in Wirtschaft und Recht, n'est-ce pas

Entgeistert runzle ich die Stirn. Gott im Himmel, lass mich das nur geträumt haben. Jetzt wagt es diese Frau auch noch, meine Muttersprache zu verschandeln!

Als sie einen Schritt auf mich zugeht und mit ihrem langen Plastik-Fingernagel über meinen Unterarm streift, könnte ich ihr glatt vor die Füße kotzen. Zur Hölle, was will diese Kuh von mir?

Diese Saiten zwischen uns (Leseprobe)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt