Und der Wolf singt sein Lied in der Einsamkeit.
Faolan oh Faolan.
Heute Nacht werd' ich ihn wiedersehn,
tief im Wald nach tausend Jahrn.
Die sanfte Stimme meiner Mutter verklang und sie blies die Kerze aus, die auf unserem Nachttisch stand. Dann verließ sie unser Zimmer und schloss die leicht quietschende Holztür hinter sich. Meine kleine Schwester neben mir jaulte leise im Schlaf.
Ich wickelte mich fester in die Wolldecken und zog sie zu mir. Es war eine gute Entscheidung von ihr gewesen, als Wolf zu schlafen. Obwohl jetzt im Winter der Holzofen in der Küche unaufhörlich brannte, war es kalt hier oben. Draußen lag der Schnee hoch. Jeden Morgen mussten wir uns den Weg vor der Tür freischaufeln. Am Dachfirst hingen dicke Eiszapfen. Das Eis im Brunnen mussten wir immer wieder mit einem langen Stock einbrechen, oder heißes Wasser darauf gießen. Sanft kraulte ich Jemara hinter den dunkelgrauen Ohren und deckte sie mit zu.
Die Dielen in der Stube unten knarzten leise, als unsere Eltern noch herumliefen. Vermutlich zerlegten sie immer noch das Rentier, was wir heute Morgen gerissen hatten.
Wir. Heute hatte ich das erste Mal mit auf Rentierjagt gedurft. Zwar nur als Ablenkung, um die Herde in Richtung der Anderen zu treiben, aber ich hatte geholfen und das war alles, was zählte. Ich hatte geholfen, dass nicht noch jemand am Hungertod starb, sondern dass wir zumindest für die nächsten Wochen versorgt waren. Der Mais, den wir anbauten, reichte selten weiter als in den Dezember und der Boden war nicht gut. Der einzige Boden, der uns Jahr für Jahr gute Ernte lieferte, war der am See, aber der Platz war begrenzt und nur Mais reichte nicht aus, um anständig den Winter überleben zu können. Der Boden am Fluss war steinig und kahl. Wir hätten zwar alle Schafe schlachten können, aber um zu überleben durften nur zehn jedes Jahr ihr Leben lassen. Ohne die Wolle wären wir schon lange erfroren.
Die Winter hier, in den Wäldern im Norden von Norwegen waren kalt und unser Haus alles andere als gut isoliert. Mit einer Gruppe aus Wandlern lebten wir hier, in einem winzigen Dorf. Abgeschnitten von der Außenwelt, denn würden sie uns hier finden, dann wäre es aus. Vorbei.
Seit 2057 Wandler versucht hatten die Regierung zu stürzen wurden wir gnadenlos verfolgt und getötet. Unsere Hoffnung lag darin, nicht entdeckt zu werden. Seit über fünf Generationen beruhte unsere Existenz auf Glück. Das Glück, dass das Laub der Bäume im Sommer und die Nadeln der Tannen im Winter unsere Häuser verdeckten. Das Glück, dass uns die Zweige auf den Dächern tarnen würden. Das Glück, dass niemand einen genauen Blick auf den Kreis aus Maispflanzen um den See warf.
Der eine Tag kam jedes Jahr. Jedes Jahr am ersten Juli kamen die Hubschrauber und Flugzeuge. Sie flogen über den Wald und suchten nach uns. Würde einer von uns an diesem Tag im See schwimmen, oder durch den Wald laufen würden die Wärmekameras und die Männer ihn entdecken. Wäre der Tag im Winter, wären wir schon lange tot, aber im Sommer mussten wir nicht heizen. Den Tag über saßen wir immer drinnen. Wir nahem jeder fünf Schafe mit ins Haus. Bangten Jahr für Jahr um unser Leben. Weinten, wenn wir das Knattern der Hubschrauber hörten. Saßen verzweifelt als Haufen aus vier auf dem Boden in der Küche und hofften. Feierten den nächsten Tag, wenn wir wieder nicht entdeckt wurden. Die 15 Jahre, die ich gelebt hatte, war immer alles gut gegangen.
Aber der Tag würde kommen, an dem sie uns finden würden. Früher oder später würden die Jäger kommen und uns erschießen. Einen nach dem anderen. Wie sie schon so viele von uns erschossen hatten. Sie würden kommen. Und es war unvermeidbar.
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Und der Wolf singt sein Lied in der Einsamkeit | Woodwalkers Fanfiction
FanfictionWir schreiben das Jahr 2232. Woodwalker werden seit über 100 Jahren gnadenlos verfolgt und ermordet. Eine kleine Gruppe Wandler lebt in den Wäldern Norwegens und sucht dort seit Jahrzehnten Schutz, aber sie schweben in Gefahr, denn die Jäger werden...