24. Februar
Lieber Zukunftshamster,
hier bin ich wieder,dein Hamster aus der Vergangenheit, der dir jeden Tag schreibt, was er erlebt.Da ich noch immer nicht weiß, wann genau der Tag für mich beginnt, da ich einDämmerungs- und Nachtaktives Tier bin, während dieser Mensch, bei dem ich lebe,die Zeit, wenn die Sonne sein kleines Zimmer durchflutet als Tag bezeichnet,werde ich wie immer sein scheußliches schrilles Wecker-Klingeln, alsTagesbeginn werten. Sein Tag beginnt schließlich auch damit. Ich verstehe nochimmer nicht, warum er sich jeden Morgen selbst so foltert, und mich auch. Warumdrückt er nur kurz auf den Knopf und schläft friedlich weiter, damit dieses unbarmherzigeMonster fünf Minuten später noch einmal lauter brüllt, statt aus dem Bett zuspringen und dieses Ungeheuer an die Wand zu schmeißen? Ich handelte an seinerStelle so, aber das Schicksal verschlug mich nun mal als Hamster in den Käfigauf seinem Schreibtisch und ihn in dieses weiche Bett als Menschen. HeuteMorgen schwieg das Ungeheuer seltsamerweise, es musste Wochenende sein. Dochdies ist kein Grund für die Annahme, mir sei mein normaler Schlafrhythmusvergönnt gewesen. An den freien Tagen ist es in diesem Haus nur nochnervenaufreibender! Statt des lauten Monstrums verursachte nun seine Mutterungeheuerlichen Lärm, um ihn aus dem Bett zu befördern. Zwar um einigeZeiteinheiten später, dennoch viel zu laut. Die Frau bekam ihn allerdingsschneller aus dem Bett, als das Ungeheuer und seine Laune sackte auch vieltiefer in den Keller. Menschliche Teenager können merkwürdig sein und vor allembleiben sie viel länger Teenager, als wir Hamster. Verrückt, was? Schließlichquälte er sich aus dem Bett, zog sich sein buntes Fell über – ich verstehe nochimmer nicht, warum die Menschen ihr Fell ständig wechseln – und verschwand durchseine große Käfig-Tür. Aus welchem Grund gestattete man ihm nach Beliebenseinen Käfig zu verlassen und mir nicht? Die Welt ist ein ungerechter Ort! Einkurzer Moment Ruhe, bevor sich seine Käfig-Tür wieder öffnete und ich seinenVater rufen hörte, er solle seinen Hamster – also mich – doch nicht vergessenzu füttern und sauber zu machen. Als ob ich ein so schmutziges Tier wäre!Würden sie mich rauslassen, suchte ich mir mein Futter auch selbst, aber wennsie mich hier schon festhielten, war es natürlich nett, sich diesbezüglich ummich zu kümmern. Er nickte, trat an meinen Käfig und lächelte. Okay, er magmich. Endlich gab er mir meine Nahrung, etwas Wasser und entfernte den Kot ausmeinen vier Wänden. Ein kleines Schläfchen vergönnte er mir dennoch nicht,schließlich verließ er seinen Käfig heute nicht, um diesen mysteriösen OrtNamens Schule zu besuchen. Stattdessen betätigte er einige Knöpfe an seinerKiste, die er als Radio bezeichnet, legte eine spiegelnde Scheibe in eineKlappe und schloss diese. Augenblicklich erklangen Töne, die mein armesHamstergehör unmöglich verarbeiten konnte. Er schien dieses Gejaule, was erständig durch diese Kiste hört, als Musik zu empfinden, denn er schlossgenießerisch die Augen und wippte leicht mit dem Fuß mit, während sich seineLippen stumm bewegten. Menschen haben wirklich einen Dachschaden! Besser solltees jedoch nicht werden, denn seine Mutter steckte den Kopf zur Käfig-Tür hineinund meinte, er solle zunächst seine Hausaufgaben erledigen. Mein Jungeverdrehte die Augen, schloss die Tür wieder und drehte die Musik nur nochlauter auf. Die Aufgaben erledigte er erst einmal nicht. Oh, meine Ohrendröhnten. Irgendwann entschloss er sich doch einen Haufen Papier, der durcheine metallene Spirale zusammengehalten wurde, aus einem Berg Papier heraus zukramen, sowie ein Buch – ja, ich weiß jetzt endlich, wie sie es nennen –verziert mit vielen kleinen Zahlen und kurzen Texten auf den Papierseiten. Ersetzte sich wenig begeistert zu mir, betrachtete die Seiten und schnaufte,bevor er ebensolche, wenn auch weniger akkurate Verzierungen auf denPapierhaufen kritzelte. Nach einiger Zeit verließ er mich einfach und ja, ichwar erleichtert darüber. Endlich schlafen! Nichts da! Kaum war er verschwunden,stürmte sein Vater mit dieser Höllenmaschine, die sie als Staubsaugerbezeichnen, in seinen Käfig und verursachte einen Lärm, der mich schlimmerquälte, als dieses Gedudel aus dem Radio zuvor. Bei diesem Staubsauger handeltes sich um eine ganz verrückte Sache, da sie ihn ähnlich, wie einen Besenverwenden, aber währenddessen eine wirklich merkwürdige und völliggeschmacklose Musik hören, die dieses Gerät immer verursacht, wenn sie esbenutzen. Den Sinn des Ganzen verstehe ich trotz langer Beobachtungszeit nicht.Als reiche dies nicht schon, eilte nun auch noch die Mutter mit einersogenannten Gießkanne – verrücktes Wort, was sie sich da ausgedacht haben –herbei und kippte kaltes Wasser in die Käfige der Pflanzen, doch nicht nur inihre. Mit ihren tollpatschigen Fingern vergoss sie natürlich einen gehörigenAnteil des Wassers über meinem Käfig und durchnässte mein schönes Hamsterfellohne es zu bemerken. Konnte dieser Tag noch schlimmer werden? Tatsächlichkonnte er. Seine kleine Schwester packte meinen Käfig, nachdem sie zu Mittag gegessenhatten und mir doch ein winziges bisschen Ruhe vergönnt gewesen war undschleppte mich hinaus in den Garten. Der Käfig wackele hin und her und mirwurde fast übel. Nun gut, der Garten stellt kein Problem dar, ich mag ihn, dasProblem wartete dennoch in ihm, ihr Meerschweinchen.
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Mein Hamster-Leben
HumorUnser alltäglicher Tagesablauf ist eigentlich nicht besonders amüsant (vor allem während dem Lockdown)- außer aus der Sicht eines anderen. Wer hätte gedacht, dass die Sicht eines Hamsters auf unseren Alltag so unterhaltsam sein kann?