Tränen des Waldes

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Der zarte Nieselregen lässt die bunt leuchtenden Blätter des Waldes leise rascheln riecht nach Moos und modrigem Laub als Nino durch die Büsche streift. Sachte werden ihre nackten Füße vom Waldboden gekitzelt.

Im Gegensatz zu den anderen Slinggen schätzt sie den Wal, die alten Traditionen und Rituale noch. Sie kommt oft hier her, wenn sie Ruhe von der lauten, überfüllten Stadt Laka braucht. Der Forst ist ihre einzige Rückzugsmöglichkeit, denn der See nahe der Stadt, an dem sie als Kind sooft gespielt hat dient jetzt voll und ganz der Versorgung mit Strom.

Heute kam Nino in den Wald um ihre Gedanken zu sortieren. Sie braucht Abstand von ihren Freunden, Verwandten und all den Fremden. Sie fragen sie nach Rat oder Hilfe, wenn sie selbst keine Antworten auf ihre Fragen finden.

Es ist schon dämmrig und das Mädchen kann kaum noch einen Meter weit sehen. Noch brennt die Laterne, die die junge Slingga bei sich trägt, doch es ist nur eine Frage der Zeit bis diese den Geist aufgibt.

Nino schleicht weiter durch das Unterholz in der Hoffnung, dass ihr niemand folgt, denn obwohl dieser Teil des Waldes noch zum Gebiet des Stammes gehört, ist es strengstens verboten sich dort aufzuhalten.

Vor langer Zeit gab es ein Bündnis mit dem Stamm der Treponen. Die Gebiete flossen ineinander über und es gab kein Mein und Dein. Doch aus Freundschaft wurde Feindschaft. Und so wurde ein unteilbares Stück Natur in zwei gerissen.

Der Geschichte nach hat sich die Heilerin des Stammes Königstochter Nini in einen Treponen verliebt und wollte ihr Leben mit ihm verbringen. Doch trotz der Verbundenheit mit dem Stamm auf der anderen Seite des Waldes war es Heilerinnen strengstens untersagt mit einem Stammesfremden in jeglicher Form eine Beziehung einzugehen geschweige denn ein Kind zur Welt zu bringen. Denn die Gabe des Heilens, so dachte man, kann nur an ein reinblütiges Neugeborenes weitergegeben werden. Und das auch nur einmal, denn sobald eine Heilerin ihre Macht weitergibt, nimmt diese stark ab und sie kann nach wenigen Jahren nur noch in Anwesenheit ihrer Nachfolgerin praktizieren. Nini hat sich wohl geweigert ihre Beziehung aufzugeben und wurde deswegen zum Tode verurteilt. Doch da mit ihrem Tod auch die Gabe des Heilens verloren gegangen wäre, musste sie zuerst ihre Macht und ihr Wissen weiter geben. Zu diesem Zweck wurde sie mehrere Jahre in einer kleinen Hütte nahe der alten Eiche gefangen gehalten. Nur eine Zofe kam regelmäßig um sie mit den lebensnotwendigen Dingen zu versorgen.

Doch der Legende nach soll diese Zofe unter ihrem Einfluss gestanden haben und so war ihr es möglich ihren Liebsten zu treffen. In dieser Zeit soll sie Gerüchten zufolge einem Kind das Leben geschenkt haben, welches von ihrer Zofe in den Stamm geschmuggelt wurde. Ein Kind dass ihre Gabe in sich trägt, denn nach ihrer Hinrichtung nahmen die Kräfte der neuen Heilerin stetig ab und sie war nicht in der Lage ihre Kraft weiterzugeben.

Und seit die letzte Heilerin verstorben ist wurde der Baum des Lichts verstoßen und es wurde das strikte Verbot eingeführt sich dem Wald und somit auch dem Baum zu nähern. Dem Baum der ursprünglich die Quelle allen Lebens war. In längst vergangen Zeiten wurden hier deshalb alle Festlichkeiten, von der Geburt bis hin zur Beerdigung abgehalten. Es ist der älteste Baum des gesamten Waldes und die Verbindung zu Mutter Erde ist nirgends stärker.

Ein kühler Wind kitzelt mit kleinen Regentropfen benetzte Haut und löscht das Leuchten ihrer Laterne. Jetzt spürt sie ihre Umgebung nur noch stärker. Sie ist auf dem richtigen Weg. Sie kann ihr Ziel immer deutlicher spüren. Es ist wie ein Sechster Sinn, denn was keiner weiß und auch niemand erfahren darf, Nino ist nicht wie die gewöhnlichen Mädchen ihres Stammes. Schon seit sie denken kann, ist sie viel verbundener mit der Natur als sonst jemand aus ihrem Stamm. Sie konnte die Tiere und Pflanzen verstehen wie kein anderer. Eine Gabe die sie seit jeher geheim hält ohne genau zu Wissen warum. Doch ein Gefühl in ihr, wie eine Stimme, die nur sie hören kann hat sie davon überzeugt, dass es niemand wissen darf. Sie spürt jede kleine Regung der Natur, als sie ihre Hände auf die Rinde der alten mit Efeu bewachsenen Eiche legt. Der Mond taucht die kleine Lichtung auf der der Baum des Lichts steht spärlich in kühles Licht. Sie spürt den Schmerz der Wälder, die Tränen der Wolken, die versuchen die Welt unter sich zu stärken, das Kichern der Bäche und Flüsse und vieles mehr, doch da ist noch etwas, etwas, das noch nie zuvor da war. Die Präsenz eines Wesens. Unsicherheit und Neugierde aber auch Entschlossenheit und Mut.

Tränen des WaldesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt