Ein aufgeregtes Quietschen, gefolgt von einem Aufschrei, ließ Sarah herumwirbeln.
„Was?“, rief sie mit klopfendem Herzen.
Ein winziger Finger zeigte in Richtung Tisch. Sarah drehte sich um und sah gerade noch, wie etwas Buntes darunter verschwand. Kurz darauf schob sich ein Geschenk heraus, als wolle es hinter der langen Tischdecke hervorlugen.
Ein erneutes Quietschen ertönte, bevor Milla die Hände vor ihren Mund hielt und anfing zu kichern. Ein Lächeln erschien auf Sarahs Gesicht, als sie das Mädchen beobachtete. Anscheinend gab es auch niedliche Carringtons. Sie schnappte sich ihre Nichte zweiten oder dritten Grades – sie hatte schon wieder vergessen, wie sie mit der Kleinen verwandt war – und setzte sie auf ihren Schoß.
„Ist das böse Geschenk vor dir davongelaufen?“
Aus großen, grünen Augen sah das Mädchen sie an und nickte enttäuscht.
„Vielleicht hat es Angst und versteckt sich deshalb“, schlug sie vor. Oder es hat auch keine Lust auf gehässige Kommentare von nervigen Verwandten, schoss es Sarah durch den Kopf. Deshalb war sie in die Spielecke zu den Kindern geflüchtet. Hier wurde sie wenigstens nicht mit dummen Fragen gelöchert. Im Gegensatz zum Rest ihrer Familie schienen die jüngsten Carringtons sie in ihr Herz geschlossen zu haben. Wahrscheinlich weil sie am Morgen einen Schneemann mit ihnen gebaut hatte.
„Geschenke können doch keine Angst haben“, verkündete Tim, Millas älterer Bruder, und bedachte Sarah mit einem herablassenden Blick. Offensichtlich hatte sie es nicht geschafft, alle Kinder auf ihre Seite zu ziehen. „Und davonlaufen können sie schon gar nicht!“
„Ach nein?“ Alina setzte sich neben sie und deutete zum Tisch. Dort begann das Geschenk zu zucken. Dünne Beine schossen aus den Seiten und zappelten, bis sie lang genug waren, um auf dem Boden zu landen. Wackelig erhob sich das Geschenk. Zur gleichen Zeit formten sich Kulleraugen mit langen Wimpern auf der Vorderseite. Blinzelnd sahen diese sich um.
„Also für mich sieht es aus, als können Geschenke laufen. Oder zumindest dieses“, fügte Alina hinzu. Kaum hatte sie das letzte Wort ausgesprochen, begann es auch schon, sich in Bewegung zu setzen.
Begeistert beobachtete Sarah das Geschehen. Auch nach Monaten voller Magie und übernatürlicher Wesen kamen ihr Szenen wie diese noch unglaublich vor. Ob sie sich je an das Leben einer Hexe gewöhnen würde?
„Du hast es verzaubert!“, rief Tim, während Milla gluckste und klatschte.
Alina hielt sich einen Finger vor die Lippen und zwinkerte dem Jungen zu. Der verdrehte die Augen und lief davon.
„Spielverderber“, murmelte Alina und widmete sich Sarah. „Ich schwöre, vor ein paar Jahren war er noch richtig süß. Ich glaube, wir müssen aufpassen, dass Milla sich nicht auch zu einer typischen Carrington entwickelt.“
Wehmütig betrachtete Sarah die Vierjährige. Mit leuchtenden Augen krabbelte diese von ihrem Schoß und lief dem davonrennenden Geschenk nach. Sie hoffte, dass das Mädchen nie den Spaß am Leben verlieren würde.
„Gut, dass ich ihre Patentante bin. Da kann ich bei ihrer Erziehung mithelfen“, redete Alina weiter.
Sarah runzelte die Stirn, unsicher, ob gut die richtige Bezeichnung war. In Gedanken sah sie, wie ihre Cousine die Kleine zu unzähligen verbotenen Dingen ermutigte. Sie würde ein Auge auf die beiden haben müssen. Als sie Alina fragen wollte, was sie plante, hallte ein Schrei wie ein ungutes Omen durch das Schloss.
„Alina Carrington!“
Unwillkürlich zuckte Sarah zusammen, als sie erkannte, zu wem die Stimme gehörte. Hilda. Neben ihr begann Alina zu grinsen, griff nach ihrer Hand und zog sie mit sich hinter den riesigen Weihnachtsbaum.
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Magische Weihnachten
ParanormalSarahs erstes Weihnachten, nachdem sie von der Welt des Übernatürlichen erfahren hat. Eine Kurzgeschichte zu meiner Buchreihe Lunadar.