Unterwegs

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"Ich liebe dich"

Das hat er gesagt, damals... heute sehen wir uns nur noch ab und zu. Irgendwie ist es schon seltsam. Früher hatte ich nur Augen für ihn, meine Gedanken kreisten ständig darum, ob er mich wohl so mag, wie ich ihn mag. Heute, jetzt, nein, eigentlich schon eine ganze Weile nicht mehr. Jetzt denke ich viel lieber an alles andere. Es ist nicht so, dass ich ihn nicht mehr liebe, aber...

"Wo wollen sie hin?"

Die raue Stimme des Taxifahrers brachte mich wieder zurück, raus aus meinen Gedanken. Ich sagte ihm meine Adresse, welche er in sein Navi eingab, dann fuhr der gelbe Wagen auch schon los.

Es ist irgendwie seltsam, wie die ganze Außenwelt an einem vorbeirauscht. Ich liebe es im Auto zu sitzen. Lange Fahrten sind mir die liebsten. Vom Flughafen zu ihm nach Hause braucht man mit dem Auto etwa zwei Stunden, wenn man nicht in einen Stau gerät. Ich hoffe eigentlich, dass wir in einen geraten.

Es ist eigentlich nicht so, dass ich nicht gerne schnell zu Hause wäre, aber es ist schöner lange unterwegs zu sein. Da mir kein Laptop oder sonstige Beschäftigungsmethode zur Verfügung steht, kann ich nichts weiter machen, als nach draußen zu sehen. Mal fahren wir an Bäumen, mal an Häusern vorbei. Es läuft keine Musik und der Fahrer ist auch nicht gesprächig. Ich kann die ganze Fahrt über nur nach draußen schauen. Ich liebe es. In so einer Situation kann ich mir nämlich reinen Gewissens sagen, dass ich hätte sowieso nichts machen können. Ich kann hier weder lernen, noch staubsaugen, ich kann nicht die Spülmaschine ausräumen und ich kann auch keinen Sport machen. Ich muss nichts machen, weil ich auch nichts machen kann.

Zuhause ist das anders. Er arbeitet und ich gehe zur Uni. Wir sehen uns abends und kuscheln dann bei einem schönen Film zusammen auf dem bequemen, orangenen Sofa. Wir müssen eigentlich nicht reden, tun es aber trotzdem jeden Tag. Wir erzählen einander wie der Tag so war und was wir am nächsten machen wollen. Eigentlich ist es ja schön, aber irgendwie auch anstrengend. Komisch. Obwohl mir jeder Tag viel abverlangt und ich am liebsten nichts tun würde, habe ich auch Angst davor. Angst davor nichts zu tun, weil ich weiß, dass ich etwas tun könnte, nein sollte. Menschen, die den ganzen Tag nichts tun, werden nicht besonders gemocht. Ich mag solche Menschen auch nicht. Ob es wohl daran liegt, dass ich neidisch bin?

Meine Schwägerin beneidet mich um meine Kondition, was das Lernen angeht. Immer sagt sie, dass sie gerne so wäre wie ich. Ich dagegen beneide Menschen, die nichts tun. Ich hätte viel zu viel Angst davor nichts zu tun. Wenn ich mich jetzt nicht anstrenge, dann bekomme ich den Beruf nicht, den ich für mein Leben geplant habe und wenn ich den nicht bekomme...

Ich habe mir schon vor langer Zeit einen ungefähren Plan meines Lebens gemacht. Auch darum beneiden mich andere. Sie sagen, dass sie auch gerne schon wüssten, was sie später mal machen wollen. Wenn die wüssten. Ich weiß doch nur nicht, was ich sonst machen soll.

Das Auto bremst stark. Fast im selben Moment werde ich unsanft in meinen Gurt gedrückt. Der Fahrer entschuldigt sich und mein Blick wandert nach vorn. "Schon gut", murmle ich vor mich hin und stelle erleichtert fest, dass die Autos vor uns eine lange, stehende Schlange gebildet haben. Wie lange ich wohl noch unterwegs sein werde?

Sicherheitshalber schreibe ich ihm, dass ich im Stau stecke. Er macht sich sonst bestimmt unnötig sorgen. Oder er freut sich, weil er noch etwas länger zocken kann. Egal, mir soll es recht sein. Schnell tippe ich eine kurze Nachricht, hänge ein "hab dich lieb" an und lasse mich dann zufrieden in den Sitz zurückfallen. Draußen ist Schmuddelwetter. In unregelmäßigen Intervallen prasselt der regen auf die Erde herab. Eine Plastiktüte fliegt, vom Wind getragen, durch die Luft und bleibt bei den Scheibenwischern eines nun wütenden Autofahrers hängen. Dieser verlässt sein Auto, eilt zu der Tüte macht sie los und dann fliegt sie auch schon wieder. Bestimmt zum nächsten wütenden Autofahrer.

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