Kapitel 1

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Halbschatten und Wasser brauchen Pflanzen, um am besten wachsen zu können, sagt man.

Ich stehe in der betongrauen Stadt bei Nieselregen und denke über mein erstes eigenes Buch nach. Ich kann es kaum glauben, aber irgendwie hilft mir der Regen meine mich tagelang plagenden Gedanken zu ordnen und klar zu sehen, wovor ich immer schon Angst hatte, was theoretisch aber längst fällig gewesen wäre. Loszulassen.

Seit der verdammten Highschool schwirrt dieser Mensch phasenweise durch meinen Kopf und verwirrt mich immer mehr. Macht mich kaputt.

Vermutlich kennt er nichtmal mehr meinen Namen und vergisst meinen Geburtstag, aber dennoch lässt er mich nie los.

Mist, ich stehe schon so lang vor dem Bahnhof im Regen und denke über den ganzen Schlamassel nach, sodass plötzlich der Zug kommt. Ich beeil mich. Die Angestellten müssen zum Glück die ersten Haltestangen des Zuges desinfizieren, dass ich nicht rennen muss und fast ungestört in den Zug steigen kann. Fast. Bis auf meine verfluchten Gedanken, von denen ich mittlerweile stechende Kopfschmerzen bekomme.

Immer wieder schießt mir der gleiche Mist in den Kopf. Dieser Junge, Avan. Ich sollte ihn mittlerweile hassen. Er spielt mit mir ohne es überhaupt zu wissen. Es ist schrecklich.

Ich steige wieder aus dem Zug aus und treffe ein paar Klassenkameraden, die aus einem anderen Wagon des Zuges aussteigen. Ja, ich gehe noch zur High School, aber nächstes Jahr sollte ich sie beendet haben, dann werde ich aufs College gehen und in den Berufsalltag starten.

Ich sollte Schauspieler werden. Niemand wird je meine Gedanken kennen oder es mir anmerken. Sie sind privat und würden andere nur in ein Labyrinth mit riesigen Dornenhecken führen oder zur Verwirrung, warum ich überhaupt so denke. Dann würden sie mich auslachen oder verachten. Andere würden so etwas nie verstehen können.

Auf die Frage wie es mir geht werde ich wohl auch immer sagen, dass es mir gut geht, aber eigentlich geht es mir auch gut, oder? Ich weiß es selbst nicht.  Es ist schwierig.

Als Kind dachte ich, dass im Laufe der Zeit alles einfacher wird, aber ich habe mich geirrt. Alles, wirklich alles wurde immer komplizierter. Mathematik wurde mit dem Taschenrechner nicht einfacher und lange Zeit gekannte Menschen gehen plötzlich ihren eigenen Weg und man selbst versteht nicht mehr warum man plötzlich alleine ist. Mache ich etwas falsch? Gibt es Menschen, die es mehr Wert sind zu kennen und sich mit ihnen abzugeben?

Es ist beschissen, obwohl ich eigentlich nicht meckern dürfte. Ich habe so viel und wahrscheinlich manchmal mehr als andere. Oft vergisst man wie gut man es hat, meckert und schaut nicht genau wie gut es einem eigentlich geht. Man könnte fast meinen, dass wir im Reichtum schwimmen.

Im Unterricht bin ich heimlich an meinem Handy und die Worte fliegen nur so aufs Papier. Endlich habe ich mein Thema gefunden. Meine ganz eigene Geschichte. Ich muss nichts kopieren oder weiter danach suchen. Wenigstens ein was habe ich geschafft. Meine Gedanken zu akzeptieren und etwas mit ihnen anzufangen.

Heute ist der perfekte Tag für den Wunsch nach Einsamkeit und Ruhe. Der Himmel ist immer noch mause grau und aller ein paar Stunden regnet es kurz. Auch das Licht in der Schule ist nicht gerade motivierend und wirkt eher trüb und dunkel. Ich schalte ab, konzentriere mich nicht auf den Unterricht. Heute ist ein kurzer und relativ unwichtiger Tag, meiner Interpretation nach. Ethik und Mathe. Der Lehrer sagt etwas über Formen der Religionskritik und ihre Hauptthesen an, doch ich komme nicht mit, lasse mich immer wieder ablenken.

Ich schwanke zwischen Glücksgefühlen mit Freude am Leben und der Überlegung wozu wir überhaupt leben, ob es jemanden auffallen würde wenn ich plötzlich weg wäre und wie es wäre einfach allein in der Einöde mehr oder weniger zu "leben".

Mein Tag ist kompliziert. Ich weiß auch nicht was mit mir los ist.

Würde Avan sich erinnern? Würde er mich eventuell sogar vermissen?

Nein.  

Nein, niemals würde er das tun! Er tut es jetzt schon nicht, also wieso dann? Immer wieder hoffe ich, doch werde enttäuscht. Er kennt mich nicht mehr. Hat mich abgeschrieben. Interessiert sich nicht.

Mich ärgert das. Ich habe dauerhaft mit diesen grauenvollen Gedanken zu tun, ohne mich jemandem anvertrauen zu können, und er darf einfach so sein Leben weiter leben, obwohl er meines immer weiter zerstört und mich behandelt wie Dreck? Ich fühle mich wie der ungewollte Staub auf einer alten Kiste, auf dem Dachboden, die ab und an gefunden, kurz geöffnet und dann wieder für Monate oder Jahre geschlossen wird. Ich hasse es, dass er mich so beeinflussen kann ohne es nur zu wissen.

Ich sollte ihn endlich löschen. Von meinem Handy, aus meinen Kontakten, aus meinem Leben. Avan schadet mir.

The Desire  - Liebe oder HassWo Geschichten leben. Entdecke jetzt