Hyperdrive - Giébra

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Unverzüglich glitt Giébra hinter den Schreibtisch, zog die Ray-Ban vor die Augen. Ein knapper Tanz der Finger auf dem Screen seines Blindspot-bestückten Netzpods koppelte ihn an das Terminal und ließ dessen Holoscreen hochfahren. Giébra  justierte die beiden Screens so, dass sie im Fluss der Arbeit besser erreichbar waren.

„Ist der Inhaber dieses Büros heute krankgemeldet?“ fragte Samantha.

Giébra blickte kurz vom Schirm hoch, eine Augenbraue über der Ray-Ban hochgezogen. „Könnte man sagen. Er leidet an einem schweren Fall von fiktiver Existenz.“

Verdammt. Samantha hatte ein kleines, schwereloses Gefühl im Bauch, ein kleiner Ball in einen dunklen Brunnen sausender Übelkeit. Wie kam ein solches Schattenbüro zustande, und wie wusste Giébra von seiner Existenz? Diese verdammte, verdeckte Geheimnistuerei. Giébra hatte auf diesem Planeten die Finger in zu vielen Dingen. Und statt seine Karten auf den Tisch zu legen, deckte er sie nur hier und da bei Bedarf auf, nur so viele wie gerade nötig. Dies war nicht die wirkliche, rückhaltlose Kooperation, wie sie für diesen Job notwendig war. Alles nur wohldosiert und taktisch, ohne sich eindeutig ihrer Seite zu verschreiben. Es erinnerte sie unangenehm an die Peripherie der Kronos-Spinnen. Bluffs und Gefälligkeiten bis dir jede Übersicht und Kontrolle entgleitet. Sie würde Giébra zur Rede stellen müssen. Ihn darauf hinweisen, wessen Spiel das war und nach wessen Regeln er sich zu richten hätte, wenn er mitspielen wollte. Während eines solchen Jobs konnte sie keine weiteren Unwägbarkeiten aus dem eigenen Team gebrauchen, niemanden, der von irgendwoher plötzlich verdeckte Karten hervorzauberte.

Dieses verrückte, irritierende Gefühl, in Bezug auf Baijaku einen blinden Fleck zu haben, dass ihr hier ein wichtiger Teil an Information fehlte, reichte ihr vollkommen. An Baijaku war irgendetwas merkwürdig, etwas auf das sie nicht den Finger legen konnte. Vielleicht wusste Giébra etwas darüber. Sie musste ihn bei nächster Gelegenheit in die Mangel nehmen, und zwar nicht zu knapp. Bestimmt würde er versuchen, vage zu bleiben, Ausflüchte zu machen, von wegen der sensiblen Kanäle seiner Verbindungen und Kontakte und so weiter. Aber sie würde ihn festnageln. Entweder war er dabei oder nicht.

Giébra zog den Sliv mit dem Slick-Komplex aus der Innentasche seines Jacketts und steckte ihn ins Terminal. „Direkter Draht, die gute alte Art. Besser keine Quantenspuren hinterlassen, wo es nicht nötig ist.“ Er zog ebenfalls einen Satz Kabel aus der Tasche und verband seinen Pod direkt mit dem Terminal. Dann hing auch der Pod an Giébras Handgelenk nicht am Netz, sondern war ebenfalls eine kompakte, enorm stark gesicherte Miniatur-InselSphäre.

Giébra änderte den Bedienungsmodus und neben der Tastatur erschien das interaktive optische Feld des Chirogator-Grids, die „Topflappen“, zwei grün, halbtransparent in der Luft schimmernde stilisierte Hände, von den Linien eines geometrischen Gerüsts durchzogen, mit den typischen Kreisen der PadPoints an den entscheidenden Stellen. Er steckte seine Hände in die Felder und fing sofort an, damit durch die Menüs zu chirogieren. Dabei sang-summte er vor sich hin, irgendwas prähistorisch Altmodisches, auf Italienisch, glaubte sie, vom Fliegen und vom Singen. Seine Haare wurden zusehends wirrer.

Er arbeitete sich durch die ersten Ebenen des Interface, gehüllt in den vexierenden, sonnenhellen Fleck des Blindspots, ein Mantel aus blendenden Schleiern, in dessen Falten man sich verirren konnte. Der LuciDat tat seine übliche Wirkung. Er schlängelte sich durch die glatte Gefälligkeit der Menüs, rollte Untermenüs herunter, fächerte sie in Nebenstränge, zwischen denen er mit Befehlen an verdeckte Interfaceteile hin und her sprang und Haken schlug und hoppla! plötzlich stand er hinter den Kulissen. 

Auf den Gläsern seiner Ray-Ban offenbarte sich der Ort als das, was er jenseits der Interface-Darstellungen war: in schrillen Farben bemalte Leinwände gaukelten die plastische Landschaft einer Stadt vor. Wenn man allerdings die Illusion erkannte, das angeblich sich vor einem ausbreitende Tableau als eine Wand überlappender 2-dimensionaler Abbildungen erkannte, konnte man durch das Labyrinth ihrer Gassen schlüpfen, Schicht um Schicht, Vorhang um Vorhang, bis sich dahinter die wahre Stadt offenbarte.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Nov 22, 2012 ⏰

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