Ich fuhr abends Richtung Supermarkt. Ich hatte Sie seit dem Tag am See nicht mehr gesehen. Ich hatte seit dem keine andere Frau mehr berührt. Keinen Tropfen Alkohol mehr getrunken. Sie war nicht da. Ich fragte an der Kasse nach. Die junge Frau beäugte mich skeptisch. Okay, mein Ruf eilte mir voraus. Aber dann gab sie mir doch eine Antwort. Sie wäre zuhause. Aus ihrer Schwester bekam man keinen Pieps heraus. Außer, wenn sie ihre Schwester lächerlich machen würde. Und, wenn sie lästern wollte. Ich stieg nachdenklich in mein Auto. Was, wenn sie krank war? Wenn es ihr nicht gut ging? Also noch schlechter? War es denn möglich, noch tiefer zu sinken? Sie hat nicht mal ein Bett gehabt. Nicht mal ein Bett! Automatisch lenkte ich den Wagen bis vor ihre Haustür. Die Vermieter saßen noch im Garten. Schwaches Licht kam von der Terrasse bis zur Straße. "Hallo?" fragte ich unsicher. Was, wenn sie mich wegschicken? Oder mir eine schreckliche Nachricht übermittelten? "Ja. Wir sind hier. Wer ist denn da?" fragte ein Mann zurück und eine Frau setzte leiser nach "Um diese Zeit noch?" Vorsichtig ging ich durch das Gartentor und blieb dahinter stehen. "Ist sie da?" Eine Frau steckte ihren Kopf um die Ecke. "Ah, der junge Mann. Ja, sie ist da. Aber naja... sehen sie am besten selbst nach. Die Tür ist offen. Für den Notfall. Und bringen sie ihr dies bitte nach oben." Die Frau war näher gekommen und gab mir einen Teller mit Baguette und etwas Salat in die Hand. Ich nickte und ging die Treppe hinauf. Vor der Wohnungstür hielt ich inne. Was würde ich jetzt vorfinden?
Langsam stieß ich de Tür mit dem Fuß auf und schaute vorsichtig durch den Spalt ins Zimmer. Sie lag auf dem Bett. Eine Kerze glimmte noch neben ihr. Sie würde bald ausgehen. Ihr Körper bewegte sich nicht. Ich schlich zu dem Tisch und stellte den Teller ab. Als ich mich umdrehte, war die Kerze aus. Leise ging ich zum Bett und zündete eine neue Kerze an. Als ich sie abstellte, sah ich sie an. Mir gefror das Blut in den Adern. Tiefe Augenringe fassten ihre Augen ein. Das Haar klebte an ihrem Kopf. Sie war aschfahl. Ihre Lippen sehr trocken. Ich hörte Schritte hinter mir. Das Ehepaar stand in der Tür. Ohne den Blick abzuwenden, fragte ich, was passiert sei. "Wir wissen es auch nicht genau. Aber sie will weder essen, noch aufstehen, noch sonst etwas. Ihre Schwester ist leider immer zu beschäftigt. Wir haben sie schon sehr oft kontaktiert. Der Arzt war auch da." Die Frau stockte, der Mann legte einen Arm um sie, denn sie fing an zu weinen. "Was ist? Was hat sie?" "Sie will nicht mehr leben" flüsterte der Mann fast tonlos. Ich sank zu Boden. "Was? Wieso?" "Wir.. wir wissen es nicht. Helfen sie ihr..." bat mich die Frau. Ich griff nach ihrer Hand. Sie war kalt. Zu kalt. "Hey! Ich bins" begrüßte ich sie leise. Der Mann klopfte mir auf die Schulter, dann waren die beiden weg. "Hey" versuchte ich es erneut. Mit zitternden Händen berührte ich ihre Wange. Minutenlang passierte nichts. Ich konnte nicht klar denken. Sie war vor ein paar Wochen noch so hübsch gewesen in diesem Kleid und lag auf dem Steg in meinem Arm. Was ist geschehen?
Die Lider begannen zu zucken. Voller Angst sah ich zu, wie sie die Augen öffnete. Rau kam mein Name über ihre Lippen. Ihre Hand entzog sich meiner, doch ich griff fester zu. Ihre Augen war voller Sorgen. Aus einem Impuls heraus legte ich mich zu ihr und nahm sie in den Arm. Sie versuchte, es zu verhindern. Aber sie war so schwach. Tränen befeuchteten meine Arme, die sich fest um ihren schwachen Körper geschlungen hatten. Ich küsste verzweifelt ihr Haar und hoffte, dass es helfen würde. Irgendwie. Doch irgendwann wurden Ihre Atemzüge regelmäßiger. Sie schlief wieder.
Am Morgen fiel die Sonne auf mein Gesicht. Als ich blinzelte und mir die Hand über die Augen legen wollte, bemerkte ich das Gewicht in meinen Armen. Ich riss die Augen auf und sah an mir herunter. Da lag sie in meinen Armen. Ich strich ihr die Haare aus dem Gesicht. Als sie zuckte, hörte ich sofort auf und hielt inne. "Chris?" sagte sie mit sehr schwacher Stimme. "Ja. Und du musst was essen. Und duschen! Mit sowas habe ich ja noch nie im Bett gelegen!" "Dann geh doch am besten wieder zu deiner Frau. Was machst du hier?" "Dich retten?!" Sie sah schwach aus. So schwach. Ich erschrak noch einmal mehr, da sie jetzt, bei Licht, noch schlimmer aussah. "Ich will nichts essen. Danke." Dann halt nicht. Ich stand auf und nahm sie mit hoch. Auf dem Arm trug ich sie in ihr Bad, setzte sie in die Wanne und stellte das warme Wasser an. Sie sah erschrocken in mein Gesicht. Unbeirrt fing ich an, ihre Haare zu waschen. Als ich sie bestimmt dreimal gewaschen und ausgespült hatte, sah ich sie auffordernd an. "Entweder du wäscht dich alleine, oder ich mach das." Teilnahmslos blickte sie zu Boden und schlang zum Schutz ihre Arme um sich. "Okay. Dann also ich." Ich fing an, an ihrem Shirt zu zupfen. Jetzt kam Leben in sie und sie wehrte sich. Dann saß sie wieder nur da. "Ich warne dich. Ich meine das Ernst!" Keine Reaktion. Also zog ich mir Shirt und Hose aus und setzte mich zu ihr in die Wanne. Langsam zog ich ihre Arme auseinander und dann ihr Shirt über ihren Kopf. Sie hatte noch ein Hemd drunter. Ich begann, ihre freiliegende Haut zu waschen. Sie bekam langsam eine rosige Farbe. Ihr Gesicht war rot vor Scham. Das war mir allerdings egal. Sie würde sich sonst nicht waschen. Ich massierte ihre Schultern und strich ihre Arme hinunter. "Machst du jetzt alleine weiter? Oder möchtest du, dass ich das mache?" Eine Art Grunzen kam von ihr. Ich stand auf und trocknete mich ab. Dann sah ich sie erwartungsvoll an. Ihr Blick haftete an meinem Körper. Sie sah nicht hässlich aus. Nur total fertig. Langsam ging ich wieder auf sie zu. "Geh weg." "Ich geh erst weg, wenn du gewaschen bist und was gegessen hast." "Geh weg!" sagte sie energischer. "Nein. Vergiss es!" entgegnete ich ruhig. Und jetzt? "Dann dreh dich weg. Und bitte nicht gucken!" Ich drehte mich um. Nasse Klamotten fielen zu Boden. Ich roch die Seife. Nach einiger Zeit bat sie um ein Handtuch. Ich griff danach und gab es nach hinten. "Ich schaff es nicht alleine" kam leise hinter mir. Langsam drehte ich mich um. Sie saß in der Wanne, das Handtuch bedeckte sie etwas. Ich bückte mich und zog sie hoch. Das Handtuch verabschiedete sich dabei etwas. Ich schloss meine Augen kurz. Dann machte ich sie wieder auf und trug sie zum Bett. Ich gab ihr Sachen aus dem Schrank. Während sie sich anzog, kochte ich ihr einen Tee und nahm etwas von dem Baguette von gestern. "Das isst du jetzt!" Mein Kiefer malte aufeinander, als sie störrisch blickte. "Ich will nicht essen." "Ich bekomme dich schon dazu. Keine Sorge!" drohte ich ihr. Sie schloss die Augen und wollte sich wieder hinlegen. Unsanft griff ich nach ihren Handgelenken und zog sie hoch. "Du musst essen." "Warum?" "Du musst leben!" "Warum?" Ich sah in ihre Augen. Sie waren Blaugrün. Ich nahm ihr Gesicht in meine Hände. Ihre Lippen zuckten. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Vorsichtig legte ich meine Lippen auf ihre. Ich konnte es nicht ertragen, sie so zu sehen. Es ging nicht. Normalerweise freuten sich die Frauen, wenn ich sie endlich beachtete, küsste, sie glücklich machte. Doch sie reagierte nicht. Wie ein toter Fisch lag ihr Gesicht in meinen Händen, ihre Tränen liefen, ihr Mund bewegte sich nicht. "Bitte iss etwas!" bat ich sie erneut. Ich setzte mich und nahm sie auf meinen Schoß, umarmte sie und sie nagte endlich an dem Brot und nippte an dem Tee. Es dauerte ewig, bis sie es aufgegessen hatte. Müde lehnte sie an meiner Brust. Roch sie an mir? Horchte sie an meiner Brust? Was auch immer sie machte, es schien ihr gut zu tun. Denn sie hatte gegessen. "Warum machst du das?" "Weil ich an deinem Leben hänge." "Warum bist du gekommen?" "Weil ich an dich denken musste." "Warum..." "Shhh" Wollte ich die Fragen nicht beatworten? Oder konnte ich es nicht?
Das Wetter war mild heute. Es war noch nicht richtig kalt geworden für den Herbst. Unten hörten wir es poltern. Dann rief jemand, dass das Essen fertig sei und wir runterkommen könnten auf die Terrasse. Sie wollte nicht. Natürlich. Aber ich trug sie hinunter. Als ich sie jedoch auf den Gartenstuhl setzen wollte, krallte sie sich an mich, als würde sie sonst sterben müssen. Erstaunt sah ich sie an. Sie vergrub ihr Gesicht in meiner Schulter. Die beiden älteren Leute sahen uns schmunzelnd an. Ich setze mich also mit ihr auf dem Schoß an den Tisch. Es gab eine magere Suppe. Vorsichtig schob sie sich Löffel um Löffel in den Mund. Das Ehepaar fragte sie nach ihrem Befinden. Sie erzählten von der Kirchenfeier und von den Nachbarn. Beim Abräumen hörte ich die Zwei in der Wohnung aufgeregt miteinander reden. Sie waren erfreut darüber, dass ich sie zum Essen gebracht habe. Und darüber, dass sie ihre Wohnung verlassen hatte. Noch Stunden saßen wir dann alleine auf der Terrasse, eine Decke über sie gelegt, und schwiegen. "Warum willst du nicht mehr leben?" "Weil ich alleine bin. Und wenn ich tod bin, bin ich wieder bei meinen Eltern. Dann bin ich weder alleine, noch ungeliebt." Sie sagte es mit so fester Stimme, dass ich Gänsehaut bekam. "Du bist nicht alleine. Ich bin da." Sie sah mich an. Einfach nur an. Ihre Augen ruhten auf meinem Gesicht. "Du tust mir nicht gut" gab sie von sich. "Oh doch. So klar war ich selten." Wieder überkam mich der Drang, ihre Lippen zu berühren. Sie zu küssen, ihr Haar zu streicheln. "Was ist mit deiner Frau? Und dem Baby?" "Sie ist nicht schwanger. Ich heirate nicht." Ein Blitzen ging durch ihre Augen. Ein Aufzucken von Hoffnung. Dann war alles wieder wie vorher. Ihr Kopf lehnte wieder an meiner Brust. Ihre Hand ruhte über meinem Herzen. "Ist da was?" "Ja, da ist was." "Was ist denn da?" "Ich weiß es nicht. Es fühlt sich komisch an... Komisch und... richtig." Ein Lächeln huschte über mein Gesicht. Mir fiel etwas ein. Ich richtete mich auf und zeigte ihr meine Hand. "Nachtisch gefällig?" Sie sah fragend auf meine Hand. Mit einer magischen Geste öffnete ich sie erneut. "Für mich?" "Nur für dich." Als sie aufsah, strahlten ihre Augen und ihr Gesicht streckte sich mir entgegen. Als sich unsere Lippen trafen, war es wie ein Feuerwerk. Das erste Mal küsste sie mich zurück. Und es war unbeschreiblich.
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Verloren
Teen FictionBand 2 Wie wird es weiter gehen? Wird Sie den Sprung zurück ins Leben schaffen? Wird er das Arschloch, was er ist, bleiben? Wird er sie am Ende töten?