Ich war gerade dabei Gemüse für das Abendessen zu waschen, als ich ein Geräusch hörte. Es hörte sich wie ein Schrei an. Verwundert zog ich die halbhohe, weiße Gardine vor dem Fenster zur Seite und blickte in die Dämmerung nach draußen. Aber außer dem langen Schotterweg, der runter in die Stadt führte und Bäumen sah ich nichts. Kopfschüttelnd zog ich die Gardine wieder an ihren Platz und fuhr mit meiner Arbeit fort.
Dann wieder. Ich trocknete meine Hände ab und schloss die schmale Hintertür auf. In meinem dünnen Pullover fing ich schnell an zu frieren. Trotzdem nahm ich eine Taschenlampe und leuchtete den nahen Wald ab. Düster ragten die Stämme vor mir auf und versperrten mir die Sicht. Ein geller Schrei ertönte aus dem Wald. Ich bekam eine Gänsehaut. Sollte ich vielleicht die Polizei rufen? Aber ich entschied mich selber nachzusehen. Vielleicht war nur ein Wanderer in eine Bärenfalle geraten. Ich nahm meinen Mantel vom Haken und zog die Tür hinter mir zu. Der Wind fuhr mir eisig durch meine kurzen Haare. Zitternd schlug ich den Kragen hoch und stapfte durch den niedrigen Schnee in den dichten Wald. Nach ein paar Metern, bereute ich meine Entscheidung. Meine Füße wurden immer kälter und hier und da rieselte Schnee, von den Ästen auf mich herab. Langsam ging ich weiter. Der Lichtkegel meiner Taschenlampe zuckte nervös zwischen den Stämmen hin und her. Da! Ich blieb erschrocken stehen. Ich war mir ganz sicher einen Schatten zwischen den Bäumen gesehen zu haben. Ich verkrampfte mich und drückte mich gegen einen Stamm. Die raue Rinde schürfte meine Jacke auf. Ich war wie erstarrt. Ich traute mich nicht das Licht auszuschalten, zudem zitterten meine Hände so stark dass ich den Knopf nicht herunter drücken konnte. Ich sah ein paar Meter weiter eine weiße Hand neben einem Stamm. Ich biss mir hart auf die Lippe bis ich Blut schmeckte. Dann zog ich meine Jacke enger um meinen Körper und schlich zu der Stelle. Langsam sah ich einen nackten Arm, ein Fuß in einem engen, schwarzen Stiefel. Lange, blonde, gelockte Haare, die sich kaum vom Schnee abhoben aber in dem Licht meiner Taschenlampe glänzten. Ihr Gesicht war mir abgewandt aber sie fühlte sich so kalt an…
Vorsichtig beugte ich mich über sie. Ihr Gesicht war vor Schmerz verzerrt und ihr Mund war wie zu einem stummen Schrei geöffnet. Tränen traten mir in die Augen als ich sie betrachtete. Ich tastete nach ihrem Puls, aber mein Herz klopfte so laut, dass ich nichts anderes hören konnte. Ich stand langsam auf und spürte plötzlich etwas Kaltes auf meiner Schulter. Entsetzt fuhr ich herum und stolperte über das Mädchen. Ich sah nur noch ein helles Gesicht, dann fiel ich in den weichen, eisigen Schnee. Hastig rappelte ich mich auf, aber da war niemand. Mein Herz schlug so heftig und schnell dass ich keine Luft bekam. Ich schnapste nach Luft, wie ein Fisch auf dem Trockenen. Mein Blut rauschte so dröhnend in meinen Ohren dass ich nichts hörte, meine Hände zuckte unkontrolliert vor meinem Bauch und meine Beine fühlten sich weich wie Butter an. Meine Sicht wurde von Tränen verschleiert. Panisch rannte ich los. Ich wusste nicht einmal ob ich in die richtige Richtung lief. War da ein zweiter Atem neben mir? Mein Kopf ruckte herum aber außer schwarzen Stämmen und dem weißen Schnee sah ich nichts. Ich hatte das Gefühl mein Herz hämmerte so heftig gegen meine Rippen, dass ich keine Luft mehr bekam und mir wurde schon schwindelig. War da nicht ein Schatten? Ein zweiter keuchender Atem? Eine weiße Hand die nach mir griff?
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