1. Kapitel - Josephine

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Jeden Tag kamen vermutlich mindestens dutzende Kinder und Jugendliche an eine neue Schule.

Es war also nichts besonderes, auch wenn es einem so vorkommen mag. 

Und weil es eben nichts besonderes war, musste man sich keinen Stress machen.

Vorne an der Tafel stand er, der Neuling.

Meiner Meinung nach sah er wirklich uninteressant aus.
Er hatte nichts, womit er sich irgendwo abheben könnte.
Vermutlich ging er mit der Masse und vermutlich tat er nur so, als hätte er eine eigene Meinung. Jeder vernünftige Mensch würde ihn als schrecklich langweilig abstempeln und da es hier anscheinend niemanden Vernünftigen gab, fanden ihn alle auf Anhieb toll.

Auch wenn alle meine Mitschülerinnen mit dem Rücken zu mir saßen, hatte ich das Gefühl, ihre schmachtenden Blicke sehen zu können. Wie affig

Die hatten wirklich viel zu viel Freizeit, die sie natürlich unbedingt verschwenden mussten. In meiner Klasse gab es nur Mädchen dieser einen Sorte - lange Haare, auffällig geschminkt, enge und kurze Klamotten, die neusten Handys und weitere Sachen von diesem gesamten unnützen Quatsch. Statt für die nächste Klassenarbeit zu lernen, machten sie Tik Toks.

Aber eigentlich war mir das sowas von egal.

Es war ihre Zeit. Es war ihr Leben, welches sie verschwendeten.

Der Neuling trug ein "strahlendes" Lächeln auf den Lippen, welches mir irgendwie falsch vorkam.

Aber ich hatte keine Ahnung, was das Thema Lachen betrifft, denn ich tat es so gut wie nie. Wenn, dann meist gespielt. Ich lächelte nur, wenn es wirklich nötig war. Ich würde zum Beispiel nie bei einem Klassenfoto lächeln, weil es an solchen Tagen nie einen Grund zum Lächeln gab.

Er hatte blondes Haar - von dem ich schwören könnte, es sei gefärbt und dazu strahlende, blaue Augen.

Vermutlich war es die Augenfarbe Saphirblau, aber so genau konnte ich es von meinem Platz in der letzten Reihe nicht ausmachen. Streng genommen war es ja aber auch egal. Ich würde mich nicht mit ihm anfreunden. 

Ich saß mit Absicht ganz hinten. So hatte ich alles und jeden ganz genau im Blick. Dazu war es angenehmer nicht die starrenden Blicke meiner Mitschüler im Rücken zu haben.

Er trug eine ausgeleierte Jeans.
Ich hatte echt keine Ahnung, wer mit diesem Trend angefangen hatte, doch derjenige konnte nicht all zu viele graue Zellen sein Eigen nennen - oder hatte nennen können, vielleicht war die Person ja inzwischen tot.

Außerdem war da ein einfarbig hellblaues T-shirt, das das Bild erneut störte. Irgendwie schien es nicht recht zu ihm zu passen. 

Naja, zu seinem grausigen Lächeln schon...

Ich blickte auf meine Armbanduhr. In etwa 7 Minuten und 56 Sekunden würde der Lehrer kommen.

Ich fragte mich, wieso der Neuling schon vor der Tafel stand. Die meisten setzten sich eigentlich sofort auf einem Platz, der noch frei war und wurden dann vom Lehrer nach vorne gerufen.

Er musste ziemlich selbstbewusst sein, dass hieß aber noch lange nicht, dass ich ihn in irgendeiner Weise mochte.

Ich mochte eigentlich niemanden und schon gar nicht, wegen eines kleinen Stückchens Selbstbewusstsein.

Niemals... VielleichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt