Nur zwei Wochen nach meinem 18. Geburtstag stand ich am Flughafen. Allein. Nervös zwirbelte ich eine Ecke meines Flugtickets hin und her, bis diese ganz weich war und das Papier zu zerfallen begann. Hör auf damit, ermahnte ich mich selbst und schob das Ticket in die Hosentasche meiner Jogginghose. Hör auf damit, du hast es so gewollt, flüsterte die Stimme in meinem Kopf weiter. Und es stimmte ja. Es war absolut ganz und gar meine Idee gewesen, allein zu verreisen. Warum genau ich das so unbedingt wollte, konnte ich niemandem erklären. Nicht meinen Freunden, die liebend gerne mitgekommen wären, nicht meiner Mama, die sich nun furchtbare Sorgen um mich so ganz allein machte und auch nicht der Frau bei der Gepäckaufgabe, die mehrmals nachgerechnet hatte, ob ich tatsächlich 18 bin. Vielleicht war es dieses Selbstfinden, von dem immer wieder die Rede war oder einfach meine krankhafte Introvertiertheit oder der Wunsch mich in meinen letzten Sommerferien zu Verlieren...womöglich eine bunte Mischung meines alltäglichen Gefühlscocktails. Natürlich hinderte mich meine Freude, wenn man dies so nennen konnte, mich nicht im geringsten daran, so kurz vorm Boarding in Panik auszubrechen. Natürlich war auch das genau der Moment, in dem ich mich schlagartig an meine Flugangst erinnerte, die ich zuvor so erfolgreich ausgeblendet hatte. Über meine irrationalen Ängste hinwegkommen. Noch so ein Zweck dieser Reise. Multifunktional sozusagen.
Ein Seitenblick auf die Anzeigetafel versprach mir noch 20 Minuten bis zum Boarding. Ich verließ mein Gate und marschierte in Richtung der Toiletten - der beste Ort, um sich von Panikattaken zu erholen. Die Türklinke rutschte mir fast aus meinen schwitzigen Händen und dann öffnete ich die Tür mit so viel Schwung, dass sie einer Frau in Rücken knallte.
"Tschuldingung", murmelte ich und stellte mich hinter die Frau in die Schlange für die drei Toiletten. Hier hatten die Innenarchitekten mal wieder hervorragend kalkuliert. Mein Blick glitt durch den Raum und blieb an meinem Abbild im Spiegel hängen. Was dachten die Leute, wenn sie mich sahen? Ein Körper, der in grauer Jogginghose und grauem Pullover unterging, braune Haare zum Dutt gebunden. Meine eigenen Augen durchbohrten mich, so sehr geweitet vor Angst, dass ich selbst auf die Entfernung meine grüne Iris erkannte. Sahen mich die Menschen überhaupt? Sah ich aus wie 18? Wie hat man überhaupt auszusehen? Ich wandte den Blick ab und rückte in der Schlange auf. Eine weitere Kabine wurde frei. Im Gedrängel aus "Leute vorbeilassen und selbst so schnell wie möglich die Toilette erreichen" wurde ich von mehreren Menschen unsanft angerempelt. Und jemand drängelte sich vor, aber ich sagte nichts. Schließlich musste ich ja nicht wirklich aufs Klo, sondern nur meine Panikattake loswerden. Vielleicht konnte ich sie ja einfach in der Toilette runterspülen. Endlich war ich an der Reihe und schloss mich in der mittleren Kabine ein. Noch 11 Minuten bis zum Boarding, verriet mir ein kurzer Blick aufs Handy. Zwei Minuten gab ich mir, um mich zu beruhigen. Langsam ein und ausatmen. Das komische Muster der Fliesen mit meinen Augen verfolgen. Ein und ausatmen. Ich wollte diese Reise. Ich wollte sie so sehr, ich hatte wochenlang gespart. Letztendlich hatte meine Mama mir dann die Hälfte des benötigten Geldes zum Geburtstag geschenkt, aber das war nicht der Punkt. Ich wollte diese Reise. Entschlossen schob ich die Tür auf.
"Entschuldigen Sie bitte", sagte eine junge Frau, in dem Moment, da ich aus der Kabine getreten war. Hastig kam sie auf mich zu und strich sich eine schwarze Haarsträhne hinters Ohr, die zu einem kurzen Lockschopf gehörte. Gespannt verfolgte ich die Bewegung. Energisch hielt sie mir ein Flugticket entgegen. "Gehört das Ihnen?", fragte sie, offensichtlich in Eile. "Es lang hier auf dem Boden". Ich schüttelte den Kopf. "Nein, meines ist in meiner Hosentasche". Ich griff danach. "Nein ist es nicht", korrigierte ich sogleich meine Aussage. "Ida Iluna Hollander nach Kroatien Split?", hakte die Frau nach. Ich nickte erleichtert. "Das bin ich". Lächelnd überreichte sie mir das Flugticket. "Ich fliege auch nach Split", erklärte sie mir, wobei sie mich sanft aus dem Raum bugsierte. "Und das Boarding beginnt in wenigen Minuten". Die Frau machte lange Schritte, in einem Tempo, das ich nicht halten konnte. Wahrscheinlich war das Absicht. Wahrscheinlich war sie genervt davon, dass ich mich nicht einmal dafür bedanken konnte, dass sie mein Ticket gefunden hatte. Fasziniert betrachtete ich, wie ihre Locken bei jedem Schritt hin und her hüpften, ebenso wie ihre Erdbeerohrringe und ihr schwarzer Rucksack mit aufgerubbelten Ecken. Gedankenverloren strich ich über mein Ticket. Die aufgerubbelte Ecke hatte den Toilettenboden nicht überlebt und war komplett abgerissen.
In der Menschenmasse beim Boarding, verlor ich die Frau aus den Augen. Als eine der letzten zeigte ich dem Mann vor dem Eingang zur Gangway mein Ticket und betrat diese. Mein Puls stieg wieder ein wenig, doch ich ermahnte mich, ruhig zu atmen. Je näher ich dem Flugzeug kam, desto lauter hallte das Rauschen der bereits eingeschalteten Maschine in meinen Ohren wieder. An der Tür zum Flugzeug begrüßte mich eine strahlend lächelnde Stewardess. Sie gab mir kein Ausmalbuch für Kinder. Das war schon mal eine Erleichterung. Als ich letztes Jahr in den Urlaub geflogen war, hatte die Stewardess schon mit dem Ausmalbuch in der Hand gezögert, bevor sie es doch zurücklegte. Mein Sitzplatz befand sich in der Mitte des Flugzeugs am Gang. Ich beugte mich ein wenig vor, um an meinen Sitznachbarn vorbei aus dem Fenster zu spähen und erkannte eine Tragfläche. Meine Sitznachbarn zeigten sich zum Glück nicht gesprächig; der ältere Mann neben mir schien bereits zu schlafen und die Frau am Fenster nickte mir nur kurz zu, bevor sie sich in ein dickes Buch vertiefte.
Ich hatte es gerade geschafft meinen Rucksack unter den Sitz vor mir zu schieben, den Sicherheitsgurt anzulegen und die Broschüre mit den Sicherheitshinweisen zu öffnen (als würde mich das beruhigen), als die Frau mit den schwarzen Locken sich auf dem Platz auf der gegenüberliegende Seite des Ganges fallen ließ. Sie kam aus dem hinteren Teil des Flugzeugs und hatte kein Handgepäck mehr bei sich, welches sie wohl gerade verstaut hatte. Sie deutete auf den Stauraum über uns und sagte zu niemand bestimmten: "Hier sind Kissen und Decken drin". Ihr Blick glitt über mich und ihre kristallblauen Augen blitzten mit Wiedererkennung. "Wollen Sie ein Kissen?", fragte sie mich. Sie machte bereits Anstalten, sich zu erheben. "Ich- nein", antwortete ich ihr, ein wenig überrumpelt von ihrer Frage. Ich holte tief Luft. Es fiel mir nicht leicht, mit Fremden zu sprechen. Noch so ein Grund für diese Reise. "Danke, dass Sie auf mein Ticket aufgepasst haben", sagte ich. Die Frau lächelte breit und hielt mir ihre Hand hin. Eine zarte, feingliedrige Hand. "Das ist doch absolut nicht der Rede wert. Ich heiße Sol. Freut mich, dich kennenzulernen".
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Verwoben mit dir [lehrerinxschülerin]
Lãng mạnEine Kroatienreise. Eine schicksalhafte Begegnung. Zwei Frauen. Nach ihrem 18. Geburtstag nutzt Ida die Chance und verreist allein. Sie trifft auf Sol, eine junge Frau, die Idas Leben in nur wenigen Tagen auf den Kopf stellt. Doch das Leben spielt...