Kapitel 1- Hey du!

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Wie immer sitze ich gelangweilt auf meinem Bett in meinem winzigen Zimmer. Es ist ein schöner Tag draußen, aber es ist verboten hinaus zu gehen. Es ist sowieso alles verboten was auch nur ansatzweise Spaß machen könnte. Wir dürfen keine Brettspiele spielen, oder Fernsehen und wenn wir mal lachen, dann wird sofort rumgebrüllt, dass man gefälligst leise sein soll.
Ich habe mit diesen Regeln so gut wie gar keine Probleme, denn ich habe niemanden der mit mir spielt, oder lacht. Hier mag mich niemand. Weder die Heimmütter, noch die Kinder hier. Für alle bin ich nur eine Last. Deswegen sitze ich nur im meinem Zimmer und komme höchstens mal zum Essen raus. Doch wenn ich dann mit den anderen am Tisch sitze, beschimpfen sie mich nur und nehmen mir mein Essen weg, weil ich zu fett bin. Mich zu wehren traue ich mich nicht. Erstens ist das nicht meine Art und zweitens bin ich eine gegen viele. In den letzten Wochen wurde es so schlimm, dass ich nur noch morgens zum Essen gegangen bin, weil die meisten dann lange schlafen und ich meine Ruhe habe.
Es ist Mittwoch und die Heimleiterin, Ms Morgan, hat heute Morgen verkündet, dass wir heute ganz besondere Gäste bekommen werden, die ein Kind adoptieren wollen. Meine Chancen auf eine Adoption sind so hoch wie im Lotto zu gewinnen. Niemand will ein fettes 16-Jähriges Mädchen, was nur rumsitzt und kein Wort sagt, weil sie zu schüchtern ist. Die Hoffnung, dass sich doch jemand für mich entscheidet, habe ich schon längst aufgegeben und so sitze ich nur noch hier rum und warte bis ich endlich 18 bin und mir eine eigene Wohnung suchen kann.
Gegen halb zwei ist es dann soweit. Ms Morgan macht eine Ansage über die Lautsprecher: „Alle Kinder sofort in den Aufenthaltsraum.“ Genervt von meinem Leben und dieser Situation erhebe ich mich und trotte die Treppen hinunter. Als ich den Raum betrete sind schon fast alle da, ich bin eine der letzten. Doch irgendetwas stimmt heute nicht. Sie stehen nicht wie sonst in Reih und Glied wie es von uns verlangt wird, sie haben eine Traube um ein paar Personen herum gebildet. Alle sind laut und schreien rum. Neugierig versuche ich zu erkennen wen sie da so bedrängen, aber sie stehen so dicht, dass die Leute in der Mitte nicht zu sehen sind.
Ein lauter pfiff ertönt und sofort ist es Mucksmäuschenstill. Mit einem Mal stehen sie wieder alle in einer Reihe und keiner sagt mehr ein Wort. Endlich kann auch ich einen Blick auf die Besucher werfen. Es sind fünf Jungs, einer hübscher als der andere. Drei braunhaarige, ein schwarzhaariger und ein blonder. Alle schauen sie etwas kritisch, wahrscheinlich wegen Ms Morgan und ihrer strengen Art. Ich finde sie sehen noch viel zu jung aus, um ein Kind zu adoptieren. Und dann noch zu fünft? „Diese fünf Herren sind heute hierhergekommen, um eine von euch zu adoptieren und nicht, um von euch totgetrampelt zu werden. Benehmt euch gefälligst wie anständige Menschen.“, wettert Ms Morgan los. Alle schauen betreten zu Boden und nicken still mit ihren Köpfen. „Also dann. Die Mädchen stehen ihnen jetzt voll und ganz zur Verfügung. Lassen sie sich Zeit und reden sie mit ihnen, um sie kennenzulernen und wenn sie sich entschieden haben, können sie zu mir ins Büro kommen und wir klären alles weitere, verstanden?“ Kopfnicken von den fünf Jungs. „Und ihr“, Ms Morgan wendet sich nun drohend an uns. „verhaltet euch ganz normal und setzt euch an die Tische, ist das klar?“ „Ja Ms Morgan.“, kommt im Chor zurück. Zufrieden nickt sie und rauscht dann aus dem Raum. Sobald sie die Tür hinter sich geschlossen hat, regen sich alle und stürmen die Tische. Ich kann gar nicht so schnell gucken und schon sind schon alle Stühle belegt. Seufzend gehe ich in meine Ecke. Hier sitze ich immer wenn Besuch da ist, weil die anderen mich nie mit an die Tische lassen. Deswegen bemerkt mich auch nie jemand. Langsam lasse ich mich zu Boden sinken, stütze meinen Arm auf meine Knie und lege dann meinen Kopf in die Handfläche und beobachte das Geschehen.
Damals, als ich noch bei meiner Mum gelebt habe, war ich nicht so verschlossen. Ich war ständig in Bewegung und immer bei meinen Freunden draußen und wir haben im Wald Hütten gebaut und das was Kinder halt noch so alles machen. Doch als meine Mutter dann vor 9 Jahren starb, kam ich hierher und ich habe mich zurückgezogen. Ms Morgan mochte mich von Anfang an nicht, weil ich so laut und aufgedreht war. Ich weiß generell gar nicht wieso sie überhaupt hier arbeitet. Ich habe das Gefühl sie hasst Kinder. Wie kann jemand Kinder hassen und dann in einem Waisenhaus arbeiten?
Ich widme mich wieder dem Geschehen in dem vollen, lauten Zimmer. Die Jungen haben sich aufgeteilt, jeder sitzt an einem Tisch. Hinten links, der mit den schwarzen Haaren. Ich finde ihn nicht so sympathisch. Er guckt die ganze Zeit schon so ernst und gelangweilt. An dem Tisch daneben redet einer der braunhaarigen mit den Mädchen. Seine Haare sind etwas gelockt und ziemlich lang. Meiner Meinung nach sollte er demnächst mal einen Friseur aufsuchen. Ein anderer mit kurzen braunen Haaren sitzt an dem Tisch links von mir. Er sieht ganz nett und vernünftig aus. Und an dem Tisch direkt vor mir sitzt der letzte braunhaarige. Er wirkt ziemlich aufgedreht und hat eine ziemlich hohe Stimme für einen Mann. Ich schaue mich weiter um, aber den letzten Jungen kann ich nirgends sehen. „Hey du!“, sagt auf einmal jemand direkt neben mir und ich schrecke zusammen. Geschockt drehe ich meinen Kopf nach links und gucke direkt in zwei blaue Augen die dem blondem Jungen gehören. „Alles gut, ich bins nur.“, lacht er und lässt sich neben mir zu Boden gleiten. Etwas verstört mustere ich ihn. Ich kann schon getuschel von dem Tisch vor mir hören. „Was will er denn bei ihr?“ „Sie wird ihn mit ihrer Art noch verschrecken und am Ende entscheiden sie sich für keine von uns!“ „Hässliche fette Kuh!“
Doch diese Worte stören mich im Moment nicht. „Wie geht es dir?“, fragt er mich. Immer noch verwirrt kann ich ihn nur anstarren und bringe kein Wort über die Lippen. „Ok.“, murmelt er. „Fangen wir anders an. Wie heißt du denn? Ich bin Niall.“, spricht er weiter und hält mir seine rechte Hand hin. Nur zögerlich ergreife ich sie und bringe geradeso ein leises „Marisa“ heraus. „Freut mich, Marisa. Weißt du wieso wir hier sind.“ Ich nicke mit dem Kopf und sage: „Weil ihr jemanden adoptieren wollt.“ Lächelnd nickt er mir zu. „Hey, Niall! Komm mal her!“, ruft der mit den schwarzen Haaren. „Bin gleich wieder da. Lauf nicht weg!“, meint er schmunzelnd und rappelt sich dann hoch. 

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