Alea & Anthea Wiederbegegnung

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by Sarah Pyxis

Alea starrte auf die Wellen, die an diesem heißen Sommertag besonders aufgeregt zu sein schienen. Sie schlugen gegen den Kai als wollten sie ihn niederreißen, doch trotzdem lag in jeder ihrer Bewegungen eine kindliche Tollpatschigkeit. Aus sicherer Entfernung betrachtete sie das Wasset genauer. Irgendetwas war anders. Seit sie vor einigen Tagen auf der Crucis erwacht war und sich an nichts erinnern konnte, hatte sie das starke Gefühl, etwas erledigen zu müssen. Es war dringend und trotzdem fiel ihr nicht ein, was es war. Es machte sie verrückt, doch ändern konnte sie es nicht...

Alea seufzte. Das Meer hatte seine Kraft verloren. So schien es ihr zumindest. Früher hatte sie sich davon angezogen gefühlt, hatte widerstehen müssen und sich dem Meer auf solch unverständliche Art und Weise nahe gefühlt... jetzt jedoch war jegliche Anziehungskraft verschwunden. Alea fühlte sich, als schwebe sie im All. Das Meer war ihre Sonne gewesen, um die sie gekreist hatte ohne ihr jemals näher zu kommen, jetzt fühlte es sich an, als habe sie keinen Mittelpunkt mehr. Keine Sonne, um die sie kreisen konnte. Nichts als Leere.
Sie fand das Wasser zu... blau...
Warum war es nur so blau? Es sollte doch... bunt sein?
Vor ihrem inneren Auge zuckte eine Erinnerung auf. Nur für einen winzigen Augenblick, doch lange genug. Sie sah das Meer, aber es war nicht blau. Durch das Wasser zogen sich unendlich viele bunte Linien, Formen und andere Gebilde. Alea fühlte sich geborgen, als hätte sie ihr zuhause gefunden.
Dann war das Bild weg.

Alea öffnete die Augen, die sie wohl geschlossen hatte und konnte gerade noch zurückspringen. Das Wasser landete genau an der Stelle, an der sie eben noch gestanden hatte. Alea atmete hörbar aus. Das war knapp gewesen. Sie sollte wohl besser zurück zur Crucis und unter Deck gehen. Das Meer wurde langsam stürmischer und sie hatte nicht vor, ausgerechnet heute mit Wasser in Berührung zu kommen und einen qualvollen Tod zu sterben.
Mühsam riss sie ihren Blick von den Wellen los und drehte sich um, um zur Crucis zurückzukehren. Zu spät sah sie, dass direkt hinter ihr ein Mädchen lief. Mit Schwung knallte sie gegen es und taumelte.
„Tut mir leid", rief sie und sah zu Boden. Die Röte schoss ihr ins Gesicht. So blöd konnte wirklich nur sie sein...
Scheu sah sie auf und... sah sich selbst...
Naja, nicht sich selbst, das Mädchen vor ihr hatte kürzere Haare und strahlend grüne Augen, aber dennoch. Sie sah aus wie Alea.

Nur zu gut konnte sich Alea daran erinnern, als auch sie solche Augen gehabt hatte. Und noch genauer konnte sie sich an den Tag erinnern, als sie ohne Erinnerungen an die letzten Wochen wach geworden war und ihre Augen nicht mehr grün waren. Als hätte man alles Leben aus ihr herausgesaugt...
Mit Augen, die nicht die ihren waren, hatte sie ihr Spiegelbild angestarrt und Alea hatte nichts anderes tun können, als zu weinen. Sie hatte geweint als hoffte sie, sie könnte diese falsche Farbe damit aus ihren Augen waschen, als könnte sie alles ungeschehen machen und ihre Erinnerungen zurückbringen. Doch das konnte sie nicht...

Das Mädchen, das sich gerade abwenden wollte, hielt inne und starrte sie dann erschrocken an. Dann ging ein Ruck durch ihre Glieder und sie hob eine Hand. Sie fuchtelte wild damit herum und machte irgendwelche Zeichen, die Alea nicht verstand. War das Mädchen verrückt? Alea gab sich einen Ruck und flüsterte ein „Hallo", schlug dann aber wieder die Augen nieder.
Das Mädchen antwortete nicht und fuchtelte weiter aufgeregt mit den Händen. Nach einer Weile gab sie es jedoch auf und starrte Alea geradewegs an. Alea schoss ein Gedanke durch ihren Kopf. Wenn das Mädchen nicht redete, war es vielleicht stumm.
Sie wusste nicht was sie tun sollte. Gebärdensprache konnte sie nicht, aber sie wollte unbedingt mit ihr kommunizieren. Sie sah schließlich aus wie sie.
Kurzerhand packte sie das Mädchen am Arm und zog sie mit zur Crucis. Sie wehrte sich nicht, also konnte sie wohl nichts dagegen haben. Alea jedoch fragte sich, ob es Zufall war, dass sie sich begegnet waren. Steckte vielleicht mehr dahinter? Konnte es vielleicht sein, dass sie verwandt waren?

Schon von weitem konnte sie Sammy, Tess und Ben an Deck der Crucis sehen. Sammy zappelte und sprang wild um her. Er schien sich zu freuen. Auch Tess hatte ausnahmsweise keine schlechte Laune, das sah Alea sofort, doch sie versteckte es hinter ihrem gewöhnlichen genervten Gesichtsausdruck. Alea lächelte leicht. So war Tess eben.
Sammy sah Alea kommen und sprang vergnügt auf sie zu.
„Hallo Schneewittchen, da bist du ja wieder!", rief er ausgelassen. „Rate was passiert ist. Nein warte, ich sag's dir. Mir ist eine Robbe zugelaufen. - nein zugeschwommen - nein zugerobbt. Ach egal, ich hab sie jedenfalls Fussel genannt. Sie braucht noch einen Bandennamen, weißt du. Das können wir ja nachher machen. Und dann ist Fussel-"
„Stopp.", rief Alea und lachte. „Das kannst du mir nachher alles noch erzählen, aber jetzt muss ich mit Ben reden."
Alea hoffte, dass Ben ihr helfen konnte. Er konnte doch so viel, warum also nicht Gebärdensprache?

„Dann eben nicht", murmelte Sammy und drehte sich weg um zurück zur Crucis zu laufen. Da bemerkte er Bens erschrockenen Blick. Er hatte offenbar das Mädchen entdeckt, das neben Alea stand und reagierte wohl ähnlich darauf wie sie selbst.
Sammy folgte Bens Blick und wandte sich wieder Alea zu. Sein Mund klappte auf.
„Ach du meine Güte, Schneewittchen. Dich gibts ja doppelt!"

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