Mitternachtsschwimmer

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„wie herrlich ruhig es ist", dachte sie bei sich, während sie durch die nächtliche Stadt spazierten. Und wirklich, es war herrlich ruhig. Die Straßen waren unbefahren und das einzige Geräusch, das zu hören war, war das leise Tappen ihrer nackten Füße auf dem Boden. Die Laternen erleuchteten ihren späten Spaziergang und tauchten die Bäume über ihnen in ein angenehm warmes Licht. Auch der September machte sich in dieser Nacht bemerkbar. Ein herbstlicher Nebel lag über ihrem Weg, nicht so dicht, als dass man die Welt vor sich nicht mehr erkennen würde, aber so sichtbar, dass man sich dem Ende des Sommers endgültig bewusstwurde. Auch die abgekühlte Luft, die schon beinahe so kalt war, dass es unvernünftig schien, barfuß und ohne Jacke die Straße hinunterzulaufen, verkündete den nahenden Herbst. Und trotzdem wollten sie diese Nacht nutzen. Vielleicht war es ein idiotischer Einfall, entstanden durch die Trance der lauten Musik, die entkorkten Flaschen und die Endorphine der Berührungen. Aber vielleicht war es auch die beste Idee, die sie haben konnten.

Sie gingen weiter schweigend ihren Weg entlang. Schweigend nicht, weil sie sich nichts zu sagen hätten oder die Stimmung bedrückt war, nein, im Gegenteil deshalb, weil es manchmal das größte Glück ist, das unausgesprochen bleibt, und das nur durch ein Lächeln verkündet wird. Und wie sie lächelten. Staunend, wissend, dem Zauber der Nacht verfallen. Je weiter unten sie ankamen, desto aufgeregter wurden sie und desto schneller liefen sie. Und während der Nebel sich verflüchtigte und das Wasser in Sichtweite kam, rannten sie beinahe und brachen schließlich auch ihr Schweigen. Sie jauchzten und lachten und schrien fast ein wenig, einen dieser Schreie, die man loswerden möchte, wenn man voller Freude ist. Und so überrascht, dass man dieses Leben hat und diesen Moment erlebt und sich fragt, ob es je wieder einen geben kann, der so sein wird?

Und dann erreichten sie den Steg. Die Lichter, die ihnen den Weg gewiesen hatten, zogen sich in den Hintergrund zurück und ließen sie alleine im Dunkeln auf den Holzplanken stehen. Und auch wenn das Wasser unter ihnen nur dunkel dalag, so hatten sie den See nie schöner gesehen. Gegenüber, auf der anderen Seeseite, leuchteten einzelne Lichter und spiegelten sich auf dem tiefschwarzen, undurchdringlich wirkenden Wasser. Über ihnen war der Himmel ebenfalls tiefschwarz, aber gesprenkelt mit tausenden und abertausenden von Sternen, die so viel klarer und strahlender schienen als sonst. Das Holz unter ihren Füßen fühlte sich kühl an und fest, sie spürten jede einzelne der Rillen. Bei jedem Schritt knarzte das Holz leicht und ergänzte so das leichte Rauschen des Windes und das Plätschern kleiner Wellen, die am Ufer anschlugen. Sie blickten sich an und lächelten wieder. Stück für Stück ließen sie ihre Kleidung fallen. Und dann sprangen sie. Und dieser Sprung, der die spiegelglatte Fläche des Sees und die Stille der Nacht brach, dieser Sprung bedeutete für sie Leben und Freiheit und Glück und Sommer. Und während sie schwammen und die Nacht genossen und ein wenig mit den Zähnen klapperten und ihren Gedanken nachhingen, lagen zwei Kleidungsstapel verloren am Steg, auf einem von ihnen ein schwarzer Pullover...

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⏰ Letzte Aktualisierung: Sep 26, 2020 ⏰

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