01.1 • Der Todestag

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Dahlia

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Dahlia

"Du hast nicht zufällig meinen Kugelschreiber gesehen?" Es blieb still, während die Frage in der Luft schwebte und sich langsam zu einer erdrückenden Masse ausbreitete. "Dahlia? Ist alles in Ordnung?" Dahlia schrak hoch. "Was? Oh... ähm, nein, vielleicht doch, kann sein... was eigentlich nochmal?" An diesem Morgen war die sonst so aufmerksame Lehrerin überhaupt nicht bei der Sache und das war auch ihrem Kollegen Isaac Hay aufgefallen. "Ob alles in Ordnung ist...", wiederholte der und ein besorgter Zug huschte über sein Gesicht. "Oh, ja klar", sagte Dahlia schnell und nicht sehr überzeugend. "Aber ich muss jetzt los, Unterricht, du weißt schon." Sie schnappte sich ihre Tasche und drängelte sich an Isaac vorbei, der dabei nicht sehr behilflich war und sich ihr extra in den Weg stellte. "Wenn du reden willst weißt du wo du mich findest, okay?" "Ja... ähm, klar." Fast hätte Dahlia zu ihm hochgeschaut und ihm in die Augen gesehen. Fast hätte sie es riskiert sich in ihren grauen Tiefen zu verlieren und fast hätte er ihren Schock und ihren unterdrückten Schmerz darin sehen können. Aber nur fast. Dann war der Moment vorüber, sie drückte sich an ihn vorbei und verschwand aus dem Lehrerzimmer.

Dahlia hatte keine Ahnung wohin sie jetzt überhaupt nochmal musste, auch wenn sie vor Verlassen des Raumes auf den Stundenplan gesehen hatte. Jedesmal musste sie an das heutige Datum denken und an den Tag... der Tag der heute war, aber Jahre später. Ihr Kopf schwirrte, sie sah das Blut vor sich, die toten Augen. Und der Schmerz, den sie damals gespürt hatte, war so real, dass sie Angst hatte sich übergeben zu müssen. Sie musste sofort hier raus, an die frische Luft. Mit ihrer Tasche über die Schultern gehängt, bahnte sie sich ihren Weg durch die Flure. Es war noch genug Zeit, um erst kurz frische Luft zu schnappen. Aber auch draußen war sie nicht allein. "Guten Morgen, Mrs. Ignis!", rief ihr ein Schüler zu und Dahlia rang sich ein Lächeln ab. Wenn sie jemand so sah... das war nicht auszudenken! Sie musste jetzt unterrichten. Reiß dich zusammen, Dahlia!

Die fünfte Klasse wartete schon geduldig und Dahlia entschuldigte sich schnell für die Verspätung und fing mit dem Unterricht an. So froh war sie darüber, dass die Bälger heute keinen Streich ausgeheckt hatten. Die Stunde schien sich trotzdem endlos hinzuziehen und immer wieder huschte ihr Blick zu Dylan, ihrem Neffen. Durch dieses eine Ereignis hatte sie ihn beinahe verloren. Und er hatte dadurch seine Oma und seinen Onkel auf Wiedersehen sagen müssen. Schon wieder bildete sich ein Kloß in ihrem Hals, als sie daran dachte wie viel er hatte erleiden müssen. Warum bloß war das alles so gekommen?

Nach der fünften Klasse hatte sie eine Viertelstunde Pause und musste dann weiter zu höchsten Klasse, die sie in Nah- und Fernkampf unterrichtete. Oh nein... war nicht heute das Bogenschießen dran? Noch auf dem Weg zur Halle dachte sie daran es zu verschieben, aber letzte Stunde hatte sie es den Schülern schon gesagt und sie hatten sich so sehr gefreut. Außerdem würde es jedesmal ein wunder Punkt sein, da half Verschieben nichts. Vielleicht sollte sie jemanden fragen, ob er übernehmen könnte. Isaac zum Beispiel, der unterrichtete auch Nah- und Fernkampf. Aber bestimmt hatte er anderes zu tun, er unterrichtete wahrscheinlich selber und wenn er frei hatte, dann halste sie ihn nur noch mehr Arbeit auf. Nein, das konnte sie nicht tun. Es würde schon gehen, die Schüler waren gut, sie konnten das bestimmt und dann musste sie nicht helfen. Es würde ganz entspannter Unterricht sein. So wie immer. Tief ein und ausatmend wollte sie die Halle aufschließen und bemerkte, dass sie gar nicht abgeschlossen war. Komisch... eigentlich war sie das doch immer...

Als Dahlia verwirrt und vorsichtig die Sporthalle betrat, gefasst auf jede Überraschung die sich ihr bieten konnte, war sie trotzdem nicht auf diesen Anblick vorbereitet gewesen. Isaac Hay stand in Sportklamotten mit dem Rücken zu ihr und hielt ein Klemmbrett in der Hand, wovon er offensichtlich etwas ablas. "Hab ich etwas verpasst?", fragte Dahlia und wollte dabei locker und freudig überrascht klingen, aber es hörte sich wohl eher an wie ein komisches Piepsen, von einer Person, die kurz vor einem Nervenzusammenbruch stand. Wenn Isaac jetzt hier mit einer anderen Klasse sein wollte und sie mit ihrer Elf einen anderen Platz suchen sollte, wäre das alles ein bisschen zu viel. Stand etwa nicht auf der Liste im Lehrerzimmer eingetragen, dass sie jetzt hier Unterricht hatte? Natürlich würde sie dann einfach nach draußen gehen, das war kein Problem... Aber er unterbrach schon ihren Gedankengang. "Oh nein, nein. Ich dachte nur ich könnte vielleicht helfen, weil ich um diese Zeit sowieso frei habe und du heute Morgen so... anders gewirkt hast." Er hatte es bemerkt. Dabei hatte sie so sehr zu vermeiden versucht, dass irgendjemand etwas bemerkte. "Das ist sehr nett", erwiderte sie matt. "Dann gehe ich mich mal umziehen."

Kurz darauf starrte Dahlia ihr eigenes Gesicht im Spiegel an und wusste, warum er es bemerkt hatte. Sie war blass und hatte tiefe Augenringe, obwohl sie wirklich versucht hatte heute Nacht zu schlafen. Ihre feuerroten Haare wirkten zerzaust und dumpf, ihre Augen ohne Funkeln und ihr linkes, das Blaue, erinnerte sie plötzlich so stark an Maximilian, dass sie aufschluchzte. Warum mussten sie auch Zwillinge gewesen sein, sodass sie jedes Mal, wenn sie in den Spiegel sah ihren Bruder vor sich sah? Warum hatte er an der anderen Seite gestanden, warum hatte sie ihn einfach umgebracht? Sie hatte es tun müssen, sie hatte keine Wahl gehabt. Er war nicht ihr Zwillingsbruder gewesen, so wie sie ihn gekannt hatte. Wegen ihm war ihre Mutter gestorben. Genau an diesem Tag, nur dann vor einigen Jahren.

"Dahlia? Alles okay?" Immer noch liefen Tränen über ihr Gesicht, aber sie wollte Isaac nicht ihre Trauer aufbürden. "Alles bestens", versuchte sie in unbeschwerten Ton zu antworten, nur brach ihre Stimme und erneut schluchzte sie. "Ich komm rein, okay?" Tiefe Sorge sprach aus seiner Stimme und Dahlia konnte einfach nicht mehr antworten, setzte sich kraftlos auf die Bank der Umkleide und biss sich wütend auf die Lippen, weil sie nicht besser in der Lage war ihre Emotionen zu unterdrücken. Die Tür ging auf, aber sie sah nicht auf. Erst als sie einen Arm um ihre Schultern fühlte und ein Körper, der sich neben sie gesetzt hatte und Wärme abstrahlte, realisierte sie erst wirklich, dass Isaac genau in diesem Moment neben ihr saß. Genau jetzt hatte er sie erwischt. Genau jetzt waren sie alleine und genau jetzt versuchte er sie zu trösten. Wäre es ein anderer Tag gewesen, hätte sie vielleicht vor Freude gejubelt, aber jetzt bekam sie das ganze nur am Rande mit. Immer wieder schweiften ihre Gedanken zurück zu damals und sie ließ ihren Tränen einfach freien Lauf, erlaubte Isaac sie im Arm zu halten und sie drückte ihr Gesicht gegen seine Brust, sodass sein Shirt ganz durchnässt wurde.

Es fühlte sich an wie eine Sekunde, wie sie so dagesessen hatten und wie Dahlias Körper immer wieder gezittert hatte, weil sie so sehr weinen musste, da hörten sie Schritte. "Mrs. Ignis?", rief eine Stimme und diese erkannte sie als einen ihrer Schüler. Sofort blickte sie erschrocken auf und versuchte ihre nassen Wangen zu trocknen, aber Isaac war schon aufgestanden und steckte seinen Kopf zur Tür der Umkleide heraus. "Für heute entfällt die Doppelstunde, Dahlia ist krank geworden, sag das auch den Rest der Klasse, okay?" "Klar, Mr. Hay." Die Schritte entfernten sich und Isaac schloss die Tür wieder. Dahlia stand auf, um zu protestieren. "Ich kann unterrichten und ich bin nicht krank, mir geht es gut!" "Oh nein, nicht so. Es wird den Schülern freuen, dass sie mal zwischendurch frei haben, glaub mir." Er lächelte sie an, während er wieder näher zu ihr trat und zu ihr heruntersah. Plötzlich fühlte Dahlia sich wie ein kleines Kind, nicht nur wegen ihrer Größe, denn ja, sie war nicht sehr groß, sondern auch, weil sie nicht fähig war sich zusammenzureißen und sie einfach losweinte, wie ein kleines Kind es eben tat. Eine erneute Welle der Tränen sprudelte aus ihr hervor und schluchzend sank sie zurück auf die Bank. Isaac war im Nu bei ihr und sie umarmte ihn direkt, als wäre er ihr rettendes Anker. Auch typisch kleines Kind. Jetzt weinte sie noch mehr.

Auf Wunsch von:
FoxCrafts

Nein, es hier noch nicht zu Ende! Das hier ist erst Teil 1... hehehe... Teil 2 ist schon vollständig in meinem Kopf geplant, ich muss es nur noch schreiben.

The Island High - KurzgeschichtenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt