02. Alltag

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Ich setzte mich in mein Auto, fuhr mir durch die zerzausten Haare und holte mein Handy hervor. Chrissy hatte mir geschrieben. Ein schiefes lächeln legte sich auf mein Gesicht. Sie hatte uns gehen sehen, wünschte mir viel Spaß und erwartete meinen Bericht. Ich antwortete ihr schnell, damit sie sich keine Sorgen machen würde, ließ das Handy in die Mittelkonsole fallen und stockte kurz. Ich hatte Jenna mein Auto fahren lassen, richtig. Schnell brachte ich meinen Sitz und die Spiegel wieder in die übliche Position und fuhr nach Hause. Dort angekommen zog ich mich aus und sah das erste Mal wieder in den Spiegel. Das kleine Biest hatte mir einen großen Knutschfleck auf die Brust verpasst, stellte ich kopfschüttelnd und mit einem kleinen Lächeln fest. Ich stellte mich unter die Dusche und genoss das warme Wasser was auf meiner Haut prickelte. In Gedanken ließ ich die letzten Stunden Revue passieren. Mein letzter One-Night-Stand war lange her und bis vor ein paar Stunden hätte ich noch behauptet, aus dem Alter raus zu sein. Ich bereute es nicht, stellte ich lächelnd fest und verließ die Dusche.

In meine Wohlfühlklamotten gehüllt kuschelte ich mich auf die Couch und sah aus dem Fenster. Der Tag brach langsam an. Sonntag. Heute, müsste ich mich wieder auf die Schule vorbereiten, die Ferien waren vorbei und der Alltag streckte seine Fühler nach mir aus.

Worauf hatte ich mich da nur eingelassen? ...Fragte ich mich selbst, als ich zum Klassenraum der angehenden Kfz- Mechatroniker im ersten Jahr ging. Dort dauerhaft die Vertretung im Deutschunterricht zu machen, war nicht die beste Entscheidung. Ihr Ruf eilte ihnen stets voraus, überwiegend junge Proleten und Machos. Daher verwunderte es mich nicht sonderlich, dass sich noch nicht einer vor dem Klassenzimmer eingefunden hatte. Ich öffnete die Tür, stellte meine Tasche auf das Pult und ließ mich auf den Stuhl fallen.

Ich nahm mir das Klassenbuch und warf einen ersten Blick hinein. 21 Männernamen, nein Moment 20, Jennifer war wohl ein Frau. Ich überflog die Jahrgänge und stellte fest, dass sie auch noch die Jüngst war, na da blieb zu hoffen, dass sie ein dickes Fell hatte, ansonsten sollte sie sich das wohl eher schnell aneignen. Auf der anderen Seite hatte sie diesen Beruf wohl selbst gewählt, also sollte ihr bewusst sein, dass sie sich eher in einer Männerdomäne befand. Noch in meinen Gedanken betraten die ersten Schüler den Raum und ließen sich auf ihre Plätze fallen. Mehr oder weniger intensiv musternde Blicke streiften mich. Ich sah hoch und lächelte in die Runde. „Guten Morgen." Etwas müde erwiderten die ersten den Gruß. Der Raum füllte sich nun recht schnell und geräuschvoll wurde die Tür geschlossen. „Entschuldigung" Sagte eine Frauenstimme und eilte zu einem der hinteren Plätze. Sie trug eine Capi, so dass ich ihr nicht ins Gesicht sehen konnte. Als ich grade ansetzten wollte etwas dazu zu sagen, nahm sie die Capi ab und mich traf der Schlag. Smaragd grüne Augen. Und sie starrten mir genau so erschrocken entgegen wie ich wohl gerade sie anblickte. Wtf, das konnte doch nicht sein. Jetzt bloß nichts anmerken lassen. Ich räusperte mich und versuchte krampfhaft meine Gedanken im Zaum zu halten. „Nun auch dem Rest von Ihnen einen Guten Morgen. Sie sind vollständig?" Einige nickten und bestätigte. „Sehr schön." Ich stellte mich ihnen vor und bat darum Namensschilder aufzustellen und regte eine Vorstellungsrunde an. Ich spürte den bohrenden Blick von Jennifer, wollte ihr jedoch keine Aufmerksamkeit schenken. Das durfte alles nicht wahr sein, gleich würde mein Wecker klingeln und ich würde aus diesem Alptraum wach werden. Die Vorstellungsrunde zog tief in Gedanken an mir vorbei und ich hoffte auf das Klingeln meines Weckers, er wollte mir diesen Gefallen nicht tun. So vernahm ich die allzu vertraute Stimme von Jenna, nein sie hieß ja offiziell Jennifer. Ich nickte nach ihrer Vorstellung knapp und kontrollierte nebenbei weiter die Anwesenheit. Als auch der letzte Herr sich vorgestellt hatte besprachen wir den Unterrichtsplan für dieses Jahr und ich bat sie mir schriftlich ihrer Beweggründe ihrer Berufswahl darzulegen und diese bis zur nächsten Stunden als Hausaufgabe zu beenden. Mir war sehr wohl bewusst, dass ich mir damit keine Freunde machte, aber normal zu unterrichten war mir grade einfach nicht möglich.

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