Ein ganz besonderes Geschenk

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Vor langer, langer Zeit besaß ich eine Katze names Mary. Anfangs schien sie eine ganz normale Katze zu sein. Sie war kerngesund. Sie war unglaublich schön mit ihrem braunen Fell und blauen Augen. Jeder, der mich besuchte, empfand sie als entzückend, weil sie so mysteriös und ein wenig schüchtern wirkte. Wahrscheinlich dachten sie das, weil sie sich immer vor ihnen versteckte. Das machte sie jedes Mal, wenn auch nur eine weitere Person im Haus war. Aber auch die Menschen, die mich oft besuchten, konnten keinen guten Draht zu Mary aufbauen. Sie lief immer weg, wenn sie sie streicheln wollten und versteckte sich. Das war sehr seltsam, denn eigentlich müsste sie die Menschen doch wieder erkennen. Aber sie baute nie eine Beziehung zu einer anderen Person außer mir auf. Lange Zeit habe ich das nicht verstanden. Mary hatte doch alles, was sie brauchte - Essen, Wasser, einen großen Garten, Spielzeug und die Möglichkeit rauszugehen, wann immer sie wollte. Also warum war sie dann so verschlossen? Warum verbrachte sie ihre Zeit entweder draußen oder in ihrem Katzenbett?

Und eines Tages verstand ich es endlich. Ich habe das Haus geputzt, als ich plötzlich über einen Schuh gestolpert und gestürzt bin. Ich stieß einen Schrei aus. Der Schmerz war stark. Aber es war niemand da, den ich um Hilfe rufen konnte. Mein Mann hatte mich vor viele Jahren verlassen und die Kinder waren auch schon aus dem Haus. Es war niemand da. Niemand außer...Mary! Ich lag gerade mal zwei Minuten auf dem Boden, als die durch die Katzenklappe ins Haus kam und mich fand. Sie war erst vor einer Stunde raus gegangen, um Mäuse zu jagen, warum war sie schon wieder zurück? Mary stupste meinen Arm an und miaute laut. Wollte sie damit schauen, ob ich noch lebe. Ich dachte, nur Hunde machen das. „Alles gut, Mary. Ich bin nur gestürzt und ich...muss einen Arzt anrufen. Ich brauche nur einen Moment, um aufzustehen, mach dir keine Sorgen." Aber Mary machte sich Sorgen. Während ich mich am Schuhschrank festhielt, um wieder Gleichgewicht zu finden, blieb sie die ganze Zeit bei mir. Sie blieb so nah bei mir, als hätte sie Angst, dass ich nochmal stürzen würde. Als ich endlich da Sofa erreicht hatte, nahm ich das Telefon in die Hand, um meinen Arzt anzurufen. Mary rollte sich auf meinem Schoß ein und stupste mich wieder an. Warum verhielt sie sich so seltsam?

Und dann traf es mich wie ein Schlag. Mit Mary war alles in Ordnung. Immer wenn Leute zu Besuch waren versteckte sie sich, weil es ihr zu laut war. Das irritierte sie. Sie wollte von niemandem angefasst werden, weil das zu viel für sie war. Genau aus diesen Gründen verbrachte sie ihre Zeit gerne draußen oder in ihrem Katzenbett. Sie brauchte die Zeit für sich alleine. Sie brauchte viel Ruhe. Und...ich konnte es nicht glaube. Als ich vor ein paar Minuten gestürzt war, war Mary binnen von ein paar Minuten da, weil sie gespürt haben muss, dass mit mir etwas nicht stimmt. Es war unglaublich. Mary war so emotional intelligent, ich konnte es einfach nicht fassen. Es war, als hätte sie eine besondere Antenne, sie Gefühle und Stimmungen wahrnehmen konnte. Warum war mir das noch nie aufgefallen? Ich hatte ihre Andersartigkeit nie als Problem angesehen, aber viel darüber nachgedacht hatte ich eben auch nicht. Aber nun verstand ich es - Mary war einfach eine sehr sensible, aufmerksame und ruhige Katze. Sie brauchte ihre Zeit für sich mehr als andere Katzen, aber sie bemerkte auch Dinge, die andere Katzen nicht bemerkten: Gefühle, Geräusche, ihre eigenen Bedürfnisse. Es war egal, dass niemand anders eine gute Beziehung zu ihr aufbauen konnte. Denn endlich verstand ich meine kleine Katze wirklich. Sie war das schönste, intelligenteste und aufmerksamste Wesen, das ich je kannte.

Nach einer gefühlten Ewigkeit wurde ich von einem lauten Miauen aus meinen Gedanken gerissen. Mary stupste das Telefon in meiner linken Hand an, als wollte sie sagen „Hey Mensch, du hast vergesse, den Arzt anzurufen!". Ich lächelte sie an und eine Träne lief meine Wange hinunter. „Mary, du bist so besonders und geliebt. Mehr, als du dir jemals vorstellen kannst." Und die kleine Katze rollte sich wieder in meinem Schoß ein und schlief. 

Ein ganz besonderes GeschenkWhere stories live. Discover now