Das Wiedersehen

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Ich hoffe er kommt gleich. Dachte ich als ich mein Buch rausholte und begann zu lesen. Ich war mitten im Buch "City of Ashes" (Teil 2 von Chroniken der Unterwelt) gefangen, als ich bemerkte, dass ich schon 100 Seiten gelesen hatte und mich fragte, wie lange ich hier schon wartete. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich hier schon 30 Minuten lang saß. Wo bleibt er denn bloß, mein Bruder? Mein Bruder, der mich immer in Schwierigkeiten brachte, lässt mich nun schon eine halbe Stunde hier auf ihn warten. Ich habe ihn seit 12 Jahren nicht mehr gesehen. Das ist schon so lange her. Ich war damals erst 10 Jahre alt, als sie uns getrennt haben. Mein Bruder und ich lebten in einem Waisenhaus. Ich kümmerte mich immer um ihn. Doch als er mit 7 Jahren adoptiert wurde, brach für mich eine Welt zusammen. Eines Nachts schlich ich mich in das Büro und fand heraus wo er nun lebte. Seitdem schlich ich mich jede Nacht aus dem Waisenhaus, um ihn zu besuchen. Während er einschlief hielt ich in im Arm. Nacht für Nacht. Ihm ging es gut. Er ging in die Schule und lernte lesen und schreiben. Er las mir auch ab und zu mal ein paar Geschichten vor. Als ich eines Tages wieder ins Waisenhaus schlich, erwischte mich Mrs. Wulf. Sie war die strengste Betreuerin von allen. "Wo warst du?" fauchte sie mich an. "Ich habe einen kleinen Spaziergang gemacht!" antwortete ich unschuldig. Sie beobachtete mich, dann trat sie einen Schritt näher. So dass sie nur noch einen knappen Meter vor mir stand und ich ihre Körperwärme spüren konnte. Eine Gänsehaut durchfuhr meinen Körper. "Du lügst. Wo warst du?" fragte sie mich nun noch einmal. "Ich habe einen kleinen Spazier-" setzte ich an, doch konnte nicht mehr weiter reden. Denn ihre Hand traf mich mitten ins Gesicht und raubte mir den Atem. Das war das erste Mal, dass jemand seine Hand gegenüber mir erhob. "Ab in dein Zimmer und dort bleibst du auch!" schrie sie mich an. Von da an sperrte sie jede Nacht die Tür meines Zimmers ab, damit ich nicht raus konnte. Mittlerweile war ich 20 Jahre alt und hatte mir einen Job besorgt. Ich wohnte auch nicht mehr im Waisenhaus, sondern hatte mir von dem Geld, dass ich verdiente, eine Wohnung gemietet. Endlich war ich frei! 2 Jahre später rief mich mein Bruder an. Seine Adoptiveltern waren gestorben und er war auf der Beerdigung in England. Er bat mich ihn vom Flughafen abzuholen. Ich willigte ein und er gab mir die Daten, wann und wo er landen würde. Jetzt saß ich hier und wartete schon seit 30 Minuten, darauf dass er endlich landen würde. Eine alte Dame schaute mich besorgt an und und fragte, ob alles mit mir in Ordnung sei. Ich fing an zu lächeln, denn mir ging es bestens. Die Angst und die Trauer, meinen Bruder wieder zu sehen, waren verschwunden. Stattdessen breitete sich Vorfreude in mir aus. Keine 20 Minuten später landete sein Flugzeug auch schon. Es stand eine große Menge von Leuten vor dem Gang, aus dem gleich mein Bruder raus kommen müsste. Doch ich drängte mich nach ganz vorne und wartete dort mit fiebriger Vorfreude und Spannung auf meinen Bruder. Die Türen öffneten sich.

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