Kennenlernen

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David
Sie war ganz fiebrig. Richtig warm. Ich trage sie zu meinem Auto, das ganz in der Nähe steht und lege sie seitlich auf die Rückbank. Ich taste ihren Puls und messe ihren Blutdruck. Beide Werte sind relativ niedrig. Ich beobachte sie genau. Ich habe ihren grauen Mantel ausgezogen und sie damit zugedeckt. Langsam zeigt sich etwas Bewegung in ihrem Gesicht. Sie stöhnt auf, bevor sie die Augen langsam öffnet und sich panisch umsieht.
"Was um alles in der Welt...", stammelt sie.
"Hey, nicht erschrecken! Sie sind ohnmächtig geworden! Ich bin..."
"Der Mann aus dem Supermarkt..." Das Erstaunen war ihr ins Gesicht geschrieben.
"Eigentlich wollte ich David sagen, aber gut." Ich lächle sie schief an. "Wie geht es Ihnen?"
"Ich bin Marisa. Bestens, Alles Bestens. Danke für Ihre Hilfe, David."
Dann verzehrt Sie ihr Gesicht schmerzlich.
"Ich glaube nicht. Ich bin Arzt, was tut Ihnen weh?" Sie zeigt auf ihre Flanken.
"Was dagegen, wenn ich Sie kurz mit in die Praxis nehme und Sie kurz durchchecke?"
"Hab ich eine Wahl?"
"Lassen Sie mich kurz überlegen... Nein. Können Sie aufstehen? Dann können Sie sich vorsetzen." Sie nickt als Antwort und ich reiche ihr meine Hand, die sie dankend annimmt. Sie lässt sich nun auf dem Beifahrersitz nieder und schnallt sich an. Ich setze mich auf den Fahrersitz und lasse den Motor an.

Marisa

Ich war noch völlig durch den Wind. Scheinbar bin ich dem Mann aus dem Supermarkt, David, wie er sich vorstellte, direkt in die Arme gefallen. Die Welt ist ein Dorf. Jetzt sitze ich hier in seinem Auto auf dem Weg in seine Praxis. Konnte ich ihm vertrauen? Vielleicht war er ein verrückter Stalker, der mich entführen will. Ich schüttle bei dem Gedanken den Kopf. Nein, Marisa, dann hätte er doch nicht gewartet, dass du wieder aufwachst. Dieser David macht jedenfalls einen sehr sympathischen Eindruck.
Ich war immer noch ziemlich benebelt. Ich hatte Schmerzmittel genommen. Ziemlich viele Schmerzmittel sogar. Wir fuhren nur einige Straßen weiter, seine Praxis war drei Straßen von meiner Wohnung entfernt. Das erklärt schonmal, wieso wir uns im Laden getroffen hatten.
"Da sind wir", sagt er mit freundlichem, kompetenten Arztlächeln. Ich lese das Schild an der Tür: David See, Allgemeinmediziner. Das war also auch keine Lüge. Marisa, warum sollte es auch, denke ich wiederum. Ich war etwas auf Kontra. Er steigt aus und öffnet mir dann die Autotür und hilft mir raus. Ich bin noch ziemlich wacklig auf den Beinen, er stützt mich. Sanft, aber bestimmt. Wir laufen zur Eingangstür und er schließt auf. Wir gehen durch den Hausflur. Geradeaus ist die Praxistür. Er öffnet diese und zum Vorschein kommt eine hell eingerichtete Praxis. Ein weißer Empfangstresen, der um diese Uhrzeit mittwochs natürlich nicht besetzt war. Wir waren zu zweit. Komisch. Er führt mich zu einer Tür. Sprechzimmer 1. Er bittet mich herein.
"Leg dich bitte gleich auf die Liege, du bist ganz zittrig."
Ich folge seinen Worten und stelle es auch gar nicht in Frage, dass er mich duzt. Ich war einfach froh, wieder liegen zu können.
"Ich hoffe, das "Du" ist okay! Ich bin David!"
"Marisa", sage ich nickend. Er lächelt. Er lässt sich auf einem Hocker neben der Liege nieder. Er hatte nun auch seinen Mantel ausgezogen. Ich hatte meinen gar nicht mehr angezogen.
"Seit wann hast du denn diese Beschwerden, Marisa?"
"Ich hatte seit etwa drei Tagen eine Blasenentzündung. Schmerzen beim Wasserlassen. Seit heute sind die Schmerzen in der Flanke. Es ist heftig, aber ich war noch arbeiten."
"Sehr deutsches Verhalten", sagt er mit schiefem Lächeln.
"Kann man so sagen. Ich wollte meine Schülerinnen nicht im Stich lassen."
"Unterrichtest du im Schillergymnasium?"
Ich nicke. "Deutsch und Geschichte."

Nach kurzem Gespräch über die Arbeit, fährt er fort.

"Ich messe dir gleich nochmal die Temperatur, ich denke nämlich, dass die ziemlich hoch ist. Außerdem würde ich gerne Blut abnehmen, später bräuchte ich noch eine Urinprobe. Ich würde dann gerne mal Bauch und Nieren untersuchen. Dich abtasten und einen Ultraschall machen. Wenn es für dich okay ist!"
Ich nicke. Mir war inzwischen alles vollkommen egal. Ich spüre gleich das Thermometer im Ohr.
"Dachte ich es mir doch", sagt er. "39,8. Ich würde dir eine Nadel legen und gleich Paracetamol durch die Vene geben, dass das Fieber etwas runtergeht. Und gegen die Schmerzen hilft es auch gleich etwas!"
"Nur zu", gebe ich zurück.

David

Sie liegt da so verletzlich. Es ging ihr wirklich nicht gut. Ich bereite schnell alles für die Blutentnahme vor, außerdem bereite ich eine Perfalganinfusion vor. Ich wende mich wieder ihr zu.
"Marisa, ich lege dir jetzt einen Zugang und nehme gleich Blut ab."
Sie streckt mir als Antwort einen Arm hin. Ich lege den Stauschlauch an und ihre Venen kommen gleich zum Vorschein. Ich taste geübt nach einer geeigneten Vene, desinfiziere die Stelle sorgfältig und steche dann vorsichtig zu. Getroffen. Die drei Röhrchen füllen sich schnell. Dann hänge ich auch direkt die Infusion an. Ich lasse sie etwas hindurchlaufen. Durch die Flüssigkeit wird sie auch wieder etwas klarer und vor allen Dingen wacher.
Ich rolle indes das Ultraschallgerät heran und fahre es hoch und tippe ein paar Daten ein. Sie schaut mir ganz interessiert zu.
"Ich würde gerne mal kurz auf den Bauch schauen und tasten!" Sie zieht ihr Oberteil nach oben, die Hose ein kleines Stück weiter runter.
"Ich bin ganz vorsichtig", sage ich um sie etwas zu beruhigen. Sie sah etwas ängstlich aus.

Marisa

Mit seinen wirklich schön warmen Händen tastet er erst meinen Bauch ab. Er arbeitet sich von oben nach unten vor. Oben verspürte ich keinerlei Schmerzen.
"Marisa, ich taste jetzt oberhalb der Blase." Ich verziehe mein Gesicht, was er sofort mitbekommt. Er nickt wissend.
"Als letztes klopfe ich noch kurz die Nieren ab."
Als er beginnt, durchfährt mich ein heftiger Schmerz. Ich zucke zusammen. Es entgeht ihm nicht.
"Schon vorbei! Das scheint tatsächlich eine saftige Nierenbeckenentzündung zu sein. Ich würde trotzdem gerne noch mit dem Ultraschall draufschauen." Ich nicke.
Er trägt das Gel direkt auf den Schallkopf auf.
"Es wird kurz kalt, nicht erschrecken", sagt er als er mit der Sonde auf meinem Bauch andockt. Ich erkenne nichts auf diesem Bild. Er berichtet: "Das hier ist deine Blase. Sie ist gut gefüllt. Ich schwenke jetzt kurz zu deinen Nieren, ich muss wissen, ob da schon Verklebungen oder Vernarbtes Gewebe oder Steine sind."
Er schallt zuerst die rechte, dann die linke Seite.
"Keine Nierensteine, auch noch keine Vernarbungen. Das ist schonmal gut, Marisa!"
"Klingt gut!"
"Das ist es. Ich werde dir ein Antibiotikum verschreiben. Ich hoffe sehr, dass das etwas bringt. Ich werde heute noch eine Urinprobe von dir brauchen. Wir legen dann eine Kultur an, dass wir sicher wissen, welcher Keim da dahinter steckt. Notfalls müssen wir die Antibiose anpassen. Das Antibiotikum, das ich dir verschreibe deckt aber schon sehr viele Keime ab."
Ich bin froh, ihm in die Arme gefallen zu sein. Normalerweise meide ich nämlich Ärzte, es wäre also wohl noch weitaus schlimmer geworden.
"Danke dir! Willst du deine Probe gleich haben?"
"Wäre toll, wenn das ginge."
Er drückt mir einen Probenbecher in die Hand und zeigt mir den Weg zur Toilette. Ich gebe dir Probe ab.
Er macht die Kultur schon Versandfertig. Er drückt mir eine Schachtel Cefuroxim in die Hand.
"Das ist dein Antibiotikum. Du nimmst das morgens, mittags und abends zum Essen, fang gleich an, sobald du daheim bist!"
Er bedeutet mir nochmal Platz zu nehmen. Er zieht mir den Zugang. Dann drückt er mir noch die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in die Hand.
"Ich habe dich erstmal eine Woche krank geschrieben. Du musst dich echt gut erholen! Bettruhe! Ansonsten will ich dich hier nicht mehr länger festhalten. Ich werde dich nach Hause bringen!"
"Nicht nötig, David. Ich wohne nur drei Straßen weiter."
"Und du hast fast 40° Fieber und bist vorhin vor Schmerzen ohnmächtig geworden. Ich fahre dich!"
"Aber...", setzte ich nochmal an, doch er fiel mir ins Wort. Er hält mir die Tür auf. "Kein Aber!"
Keine Chance. Also steige ich ins Auto ein und er fährt mich bis vor die Haustür.
"Danke, David!"
"Kein Problem. Wir sehen uns am Freitag nochmal, ja? Ich habe da dann alle Ergebnisse. Komm einfach um 15:00 Uhr, also nach der regulären Sprechstunde, zur Praxis."
"In Ordnung! Bis Freitag!"
"Gute Besserung Marisa!"

Unverhofft kommt oftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt