Soldat

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"Verehrte Fahrgäste, in Kürze erreichen wir den Münchner Hauptbahnhof auf Gleis 22. Ausstieg ist in Fahrtrichtung rechts. Vielen Dank für ihre Anwesenheit." Kurze Pause. Der Lautsprecher knackste. "Für Anschlussfahrten: Um 15:09 auf Gleis 10 in Richtung ..." Ich hörte nicht weiter hin und richtete stattdessen meine Aufmerksamkeit auf das, was außerhalb des Zugs an uns vorbeiraste. Schallschutzmauern bauten sich auf, wurden größer, türmten sich übereinander. Gleise trennten sich, liefen wieder zusammen, schienen sich unkontrolliert über das Gelände zu schlängeln. Ein Ruckeln ging durch den Zug. Die Bremsen hatten eingesetzt und wir wurden mit jeden Meter ein wenig langsamer.

Etwas schneller als Schrittgeschwindigkeit fuhren wir in den Bahnhof ein. Ein letzter Ruck und der Zug kam zum Stehen. Ich griff nach meinem Rucksack, hob ihn vom Boden auf und reihte mich ein in die in Reih und Glied stehenden - wie es sich eben für  Deutsche eben gehörte -   Line aus Passagieren, die sich Schritt für Schritt dem Ausstieg näherten. Auf dem Gleis riss mich der Strom der Menschen mit. Sich gegen den Strom zu richten schien unmöglich. Ich folgte ihnen einfach hin zum Herzen des Bahnhofs, wo jeder in seine eigene Richtung eilte, hetzte, versuchte seinen Anschlusszug zu erreichen. Ich trennte mich von der Masse, blieb ein paar Meter vor dem Ende des Gleis stehen, wurde prompt angerempelt. Großstadtfeeling machte sich in mir breit. Jeder hier schien in seiner eigenen kleinen Welt zu leben. 

Ein kurzer Blick auf mein Handy. "Bist du schon am Bahnhof? Verkehr ist grad mega scheiße. Brauch noch etwas.." Ich tippte kurz zurück. "Ja, grade angekommen. Steh zwischen Gleis 22 und 23. Schreib, wenn du da bist und hetzt dich nicht. Ich bin ja eh zu früh dran :)" 

Obwohl der Bahnhof überdacht war und sich überall kleine Stände befanden - vom normalen Bäcker bis hin zum Smoothiegeschäft- war es in der rießigen Halle eiskalt. Ich rieb mir meine Hände, steckte sie in meine Jackentaschen und hoffte, dass er nicht mehr allzu lange brauchen würde, um hier anzukommen. "5 Minuten." 

Ich starrte auf die große Anzeigetafel, die sich vor mir befand und auf die kleine Uhrzeitanzeige, die sich darauf befand. 4 Minuten. Die Menschenmassen schienen nicht abreißen zu wollen. 3 Minuten. Ein Zug fuhr ein. Noch mehr Menschen strömten durch die Halle. 2 Minuten. Ich wartete. Hielt Ausschau nach ihm. War in Zivil unterwegs? Einmal glaubte ich ihn entdeckt zu haben, doch der, den ich für ihn gehalten hatte, drehte sich kurz um, ging achtlos weiter. Er war es nicht gewesen. 1 Minute. "Bin am Bahnhof. Stehst du noch bei den Gleisen?" - "Ja."

Meine Anspannung stieg, freute ich mich doch ihn nach fast drei Monaten das erste Mal wieder zu sehen. Meine Blicke schweiften über die Menschen. Abermals glaubte ich ihn entdeckt zu haben. Abermals hatte ich mich geirrt. Doch als er dann wenig später mitten in der Menschemasse auftauchte, war er kaum zu übersehen. Die grünliche Uniform passte nicht in das sonst grau/schwarze Gewusel der Leute. 

"Na? Heil angekommen?" Ich nickte grinsend und umarmte ihn freudig. Er war wieder da. Endlich. "Hab dich vermisst..", nuschelte ich. "Ich dich auch..", kam es von ihm, der seinen Kopf in meine Haare vergraben hatte. Die Welt stand still und wir taten ihr gleich. Arm in Arm. 

"Wollen wir langsam." Ich nickte nur und wir bewegten uns Richtung Ausgang. "Bin froh, dass ich gleich los konnte. Hier gibt's 'n paar seltsame Exemplare." Das hatte ich bereits im Zug festgestellt. "Ich kann schon auf mich aufpassen.", meinte ich etwas belustig, war ich doch mittlerweile erwachsen. Er schüttelte kurz den Kopf. "Is mir trotzdem lieber, wenn du nicht allein hier rumstehst. Letztens bin ich mit 'n paar Kameraden in der Innenstadt unterwegs gewesen. Halt in Uniform. Sind mit der U-Bahn rein. Wollten eigentlich nur zum Marienplatz. Was essen. Steht da so ne Gruppe Punks rum und meint uns anpöbeln zu müssen a la 'Deutschland, Deutschland über alles.' Grad noch so, dass die nicht den Hitlergruß gemacht ham, nur um uns zu provozieren." Er ging eilig weiter. "Wenn ich die mal in Zivil erwische ...", kam es grummelig von ihm.

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