Irgendwann tanzen wir alle

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Um mich herum war es ganz kalt…

Ich spürte ihn wehen, den Wind, seine kalten Hände, seine sanfte Stimme die fast alle überhörten.
Doch alle können ihn spüren…auch ich wog mich hin und her, als sich seine kalten Hände um meinen glatten Körper schmiegten.
Ich wackelte und flatterte.

Lache ich?

Einzelne Morgentropfen fielen von meiner Papier-dünnen Haut,
wie Tränen, nur kälter.

Weine ich?

Ich war als einziger noch oben.
Ich bin ganz klein, kaum größer als eine Faust, dennoch rage ich über alle Menschen die ich sehe hinaus und blicke auf ihre Oberköpfe hinab.
Ich mag es die Menschen zu beobachten.
Es ist erstaunlich, sie sind alle so verschieden, keiner wie der andere.
So wie wir.

Ich wurde im Frühling geboren.
Damals war ich noch viel kleiner, eine kleine Knospe, die kleinste Knospe am ganzen Baum.
Ich hielt mich mit meinen einzigen kleinen Arm am Baum fest, besonders wenn der Wind kam.
Als aus mir dann ein Blatt wurde, war ich noch immer sehr klein und ganz grün.
Und noch immer hielt ich mich fest wenn der Wind kam und mit mir tanzen wollte.
Er fragt oft und er fragt viele ob sie tanzen wollen.
Ich hatte schon oft beobachtet wie er andere Blätter mit reißt und mit ihnen um die anderen Bäume tanzt.
Ich schaute zu wie sie wirbelten und sich drehten, stiegen und wieder fielen.
Und immer zum Takt des pfeifenden Windes.
Die anderen Blätter gaben Applaus, schlugen aneinander und raschelten so laut sie konnten mit dem Wind.

Irgendwann tanzen wir alle…

Als der Frühling in voller Blüte war und die Kirschbaumblätter durch die Straßen tanzten und mit dem Wind sangen, legte der Wind seine kalten Hände auf mich.
Er pfiff sanft und fragte, „Würdet ihr mit mir tanzen?“
Ich blickte hinab in die tiefe.
Ich konnte kaum Blätter auf dem Boden sehen, doch ich sah Menschen.
Die Gesichter waren rot und fröhlich als sie Hand in Hand unter dem Baum spazierten, lachten und sich küssten.
Ich hatte gezögert und schüttelte den Kopf.
„Ich bin noch nicht bereit, Wind. Ich will nicht tanzen. Ich will den Tanz der Menschen von hier oben sehen,“ sagte ich und hielt mich mit meinem einzigen starken Arm fest.
Der Wind pfiff davon und flüsterte,
„Irgendwann tanzen wir alle.“

Als der Sommer kam und die Sonne ihr grelles heißes Licht auf uns warf, war fast jeder Baum grün vor lauter grünen Blätter.
Erneut griff mich der Wind sanft und streichelte mich mit seinen kalten Händen die in der Sommerhitze mehr sehr angenehm waren.
Er sang sein wunderschönes Lied welches kaum einer hörte und flüsterte, „Würdet ihr mit mir tanzen?“

Ich blickte hinab in die tiefe und kaum Blätter.
Ich sah wenige, verrottete Kirschblütenblätter.
Doch Hauptsächlich sah ich Menschen.
Ich sah wie sie schwitzten und stöhnten und in den kühlen Schatten von mir und den anderen Blättern Schutz vor der heißen Sonne suchten.
Ich zögerte und schüttelte den Kopf.
„Ich kann noch nicht gehen, ich kann nicht tanzen. Ich will den Menschen Schatten spenden und ihnen etwas geben was sie in der Reflexion der Pfützen betrachten können, die nach jeden Sommer übrig bleiben,“ sagte ich und klammerte mich mit meinen einzigen dicken Arm fest.
Der Wind kicherte leise, zischte davon und flüsterte,
„Irgendwann tanzen wir alle.“

Wovor habe ich Angst?

Nun kam vor weniger Zeit der Herbst und einen nach den anderen fragte der Wind bevor er sie mit sich nahm.
Sie alle tanzten und klatschten und wirbelten und flogen mit dem Wind durch die Lüfte.
Es war wunderschön, denn wie ich auch waren die Blätter nicht mehr grün.
Sie waren rot, orange, braun und gelb.
Sie flatterten, lachten und zeigten mal ihre gelbe, mal ihre rote Seite.
Sie wirbelten durcheinander, manchmal tanzten sogar die Blätter auf den Boden noch ein wenig mit.
Sie fielen wie Konfetti aus den Bäumen und drehten wilde Pirouetten um sich selbst.
Und wie Schneeflocken und Menschen, war jedes einzige einzigartig.
Auch ich sah nicht mehr aus wie früher, weder sah ich aus wie die anderen.
Ich war untenrum leuchtend orange mit kleinen gelben Sprenkeln, der Rest meiner Haut war dunkelrot geworden, röter als der saftigste Apfel des Sommers, doch auch dunkler als das leuchtende Lagerfeuer des Sommers welches Würstchen und Marshmallows grillt.
Meine Spitzen sind zu kleinen braunen Spitzen gewelkt und krümmten sich leicht nach innen.
Der Baum an den ich mich mit meinen kleinen verkümmerten Arm festhielt, schlief bald ein.
Ich könnte spüren wie schläfrig er wurde.
Tropfen von dem letzten Regen, perlten von meiner Haut und sammelten sich tief unter mir in einer Pfütze.
Die Tropfen tanzen nicht. Sie sind da und dann weg.

Irgendwann tanzen wir alle...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt