Hundselendtag

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Die Tür fiel so laut hinter Lea ins Schloss, dass es sie in ihrem Vorhaben bestärkte. Hätte sie sich durch einen feinen Luftzug zurückhaltend zugeklinkt, hätte sie mal wieder einen Rückzieher gemacht.

Cheyenne rannte auf sie zu. Ihre kleinen Pfoten trippelten über das Laminat, aufgeregt tapste sie um Lea herum. Sie hockte sich nicht vor die Hündin, wie sie es sonst tat. Heute würde alles anders sein und womöglich konnte sie das Drehbuch in ihrem Kopf nicht akkurat befolgen, wenn sie Cheyenne in die Entscheidung einbezog. Die Hündin wurde ruhiger und anstatt hektisch an Leas Oberschenkeln hochzuhüpfen, wie Lea es befürchtet hatte, drückte sie nur ihre Schnauze an Leas Knie und schnüffelte skeptisch an ihrem Rocksaum. Dieser Blick. Es war derselbe wie damals.

Leas Einkaufstüten hatten links neben ihr gebaumelt, an der anderen Hand hatte sie Nico festgehalten. Er hatte ihr das neue Parfüm zum Sechsmonatigen geschenkt. Ein Tagtraum einer frischen Meeresbrise. Genau richtig für diese Jahreszeit. Ihr erster gemeinsamer Sommer war heißer als die Sommer davor in ihrer Erinnerung jemals gewesen waren. Die Wärme ihrer Hände schien sich zu summieren, aber sie hatte nicht loslassen wollen. Bis ihr Blick durch Zufall auf ein Auto auf dem Parkplatz der Mall gefallen war. Sie war näher an die Scheibe herangegangen. Mit der rechten Hand klopfte sie daran. Die Hundeaugen nahmen sie wahr, fielen aber vor Erschöpfung fast wieder zu. Die Besitzer des Wagens waren nur knapp einer Anzeige entgangen, indem sie kurz nach Leas Entdeckung an ihrem Wagen aufkreuzten. Sie waren auf dem Weg zum Tierheim gewesen und hatten nur kurz angehalten. Hatten sie gesagt.

Lea hatte noch nie zuvor jemanden angezeigt. Es hatte nicht viel gefehlt.

Sie legte ihre Hand sanft auf Cheyennes Kopf, ihr Daumen zog die Musterung ihres Fells nach. „Ich muss das jetzt tun, Baby", flüsterte sie so leise, dass sie selbst es kaum hören konnte. Sie sah auf und ging in Richtung Wohnzimmer. Die Geräusche von Maus und Tastatur waren wie ein Hintergrundsoundtrack in dieser Wohnung. Nico sah nicht auf. „Hallo, Süße."

Lea schwieg, denn außer Hallo fiel ihr nichts ein, was angemessen zum Script in ihrem Kopf passte.

Nico schaute auf. „Ist was?" Damals, in ihrem ersten Sommer, hatte er sie an der Türschwelle empfangen und noch bevor die Tür zugefallen war, hatte er sie mit Küssen übersät.

„Hast du Zeit?", fragte sie.

„Natürlich." Er zog sofort die Hände von Tastatur und Maus weg. Das tat er selten.

„Ich wünschte, es gäbe einen anderen Weg, dir das zu sagen, was ich sagen möchte." Cheyenne stand wieder eng an ihren Beinen.

„Was wird das? Sollen wir uns vielleicht setzen?" Sie hörte das Zittern in Nicos Stimme, das Flattern zwischen Anklage und vorsichtiger Freundlichkeit. Er stand auf und schmiss eilig die Klamotten vom Sofa. Sie lagen dort immer, egal zu welcher Tageszeit sie ihn besuchte.

Entgegen ihrem Bedürfnis, stehen zu bleiben, setzte sie sich neben Nico.

„Was ist denn passiert?"

Wenn sie das wüsste, hätte sie einen Ansatzpunkt, um ihm alles zu erklären. Es war nichts passiert und sie wusste auch nicht, wann etwas angefangen hatte. Sich eingeschlichen hatte.

„Weißt du, Nico, wir haben doch in letzter Zeit öfter darüber gesprochen." Geschrieen und geschwiegen hatten sie. „Ich glaube wirklich, das mit uns passt einfach nicht mehr."

„Das kann doch nicht dein Ernst sein?!", stammelte er.

„Du weißt es doch selbst genauso gut wie ich."

Nico wandte den Blick ab. Er ergriff ihre Hand nicht, machte auch sonst keine Anstalten, ihr näher zu kommen. „Deswegen wolltest du nicht bei mir einziehen, richtig?"

„Gut möglich, dass das unbewusst schon ... ja...-"

Nico riss seinen Kopf herum und blickte sie an. Seine Augen waren rot und leicht zusammengekniffen. „Das geht so nicht. Das kann es so nicht sein." Seine Stimme krächzte, aber jedes Wort war fest und hart ausgesprochen.

Eine Argumentation wie ein kleines Kind, dachte sie. Er machte es ihr leicht.

„Nico", sagte sie und versuchte, all die Weichheit ihrer Gefühle in ihre Stimme zu legen, ihrer Gefühle aus der Erinnerung, „du liebst mich doch gar nicht mehr. Wann hast du das letzte Mal ein vernünftiges Gespräch mit mir geführt? Und zwar nicht die in der Werbepause des Spielfilms. Ich sehe doch, wie du dich freust, wenn du Abende mit deinen Kumpels verbringen kannst. Wann hast du mir zuletzt gezeigt, was du für mich empfindest? Es ist doch okay, Nico." Sie legte vorsichtig ihre Hand auf seine. „Wir müssen doch einfach ehrlich miteinander sein."

Nico blinzelte. Sie wusste nicht, ob er toben würde oder weinen oder toben, weil er weinen wollte. „Es ist nicht fair, dass du uns keine Chance mehr gibst."

Lea atmete deutlich aus. Es war nicht fair, so etwas zu behaupten.

Nico schüttelte den Kopf. „Ich weiß, dass es bei uns nicht gut läuft, aber gerade eben, hier", er stand auf und zeigte aufgeregt auf den Computer, „gerade habe ich dir ein Geschenk besorgt, um dir zu zeigen, dass du mir sehr wohl noch etwas bedeutest."

Lea nahm das Logo von Ebay wahr. Ein Lächeln schlich auf ihre Lippen.

„Es ist etwas ganz Besonderes", holte Nico aus. „Ich habe dir ein Wetterhoch ersteigert. Hier, sieh", er zeigte auf die Tastatur, als könnte sie es ihr erklären. „Das sind die letzten im Jahr. Dein Name wird dann deutschlandweit in den Wetterberichten genannt."

Ihr Lächeln verhärtete sich auf ihrem Gesicht.

Nico legte die Hand in den Nacken. „Eine Erinnerung an unseren ersten Sommer", sagte er leise. Seine Stimme ein Hauch wie die Sommerbrise auf dem Balkon, als sie dort gecampt hatten.

Ihre Sommer mit Nico waren leicht. Immer schon gewesen. Baden, grillen, Fahrradfahren. Es war leicht, jemanden im Sommer zu lieben.

Lea stand auf und sah sich die Ebay-Anzeige genauer an. „Das Hoch muss einen Namen haben, der mit dem Buchstaben C beginnt", sagte sie trocken.

„Clarissa."

Ihr Zweitname. Wusste er, dass sie ihn nicht mochte? Ein Geschenk wie B-Ware. Das Gefühl dieses ersten Sommers vertrocknete vor ihrem Inneren.

Als sie ging, schloss sie die Tür leise.

Lea stellte den frisch gebrühten Tee auf den Couchtisch und freute sich, von ihm aufgewärmt zu werden. Der Fernseher lief bereits. „Und jetzt die Wettervorhersage", sagte der Nachrichtensprecher ernst.

Sie rührte um, indem sie den Papierschnipsel und damit den daran befestigten Teebeutel kreisförmig über der Tasse bewegte. Aus dem Augenwinkel beobachtete sie den Meteorologen und seine ausladende Gestik, während er vor der Deutschlandkarte auf Veränderungen hinwies: „Starke Nebel und Hochnebel stehen uns in den nächsten Tagen bevor, die sich mitunter tagsüber kaum auflösen werden. Schuld ist das Hoch", hier hielt Lea kurz die Luft an, „Cheyenne".

Sie rührte um, indem sie den Papierschnipsel und damit den daran befestigten Teebeutel kreisförmig über der Tasse bewegte. Aus dem Augenwinkel beobachtete sie den Meteorologen und seine ausladende Gestik, während er vor der Deutschlandkarte auf Veränderungen hinwies: „Starke Nebel und Hochnebel stehen uns in den nächsten Tagen bevor, die sich mitunter tagsüber kaum auflösen werden. Schuld ist das Hoch", hier hielt Lea kurz die Luft an, „Cheyenne".

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⏰ Letzte Aktualisierung: Nov 24, 2020 ⏰

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