Die zwei Gesichter

21 1 0
                                    

Das erste Gesicht:
die Dunkelheit der Nacht, enge Gassen, keine Menschen.
Plötzliche Schritte reißen mich aus meinen Gedanken der Stille:
Ein Mann,
schwarz gekleidet,
bleiche Haut,
das Schwert an seiner Hüfte blitzt.
Es spiegelt den Glanz der wenigen Lichter, die etwas der Nacht vertreiben.
Ich folge ihm.
Der Mann bahnt sich seinen Weg zielsicher durch das Labyrinth der verschachtelten Straßen.
Er scheint einsam zu sein,
genau wie ich.
Plötzlich hält er, vor ihm ein offener Platz, Industriegelände.
Immer noch keine Menschenseele
und trotzdem ist die Anwesenheit mehrerer Individuen deutlich zu spüren.
Ein leises Knacken, der Schwertträger lauert:
Angriff.
Mehrere Schattenwesen stürmen auf ihn ein.
Er pariert jeden Schlag.
Seine Gedanken sind laut und deutlich zu vernehmen:
"Ich muss sie besiegen. Rache für meine Familie, meine Freunde und Feinde, mein Volk."
Der Mann fällt keuchend zu Boden, nur leicht verwundet, jedoch ohne verbliebene Kampfkraft, die drei letzten Angreifer über ihm.
In wenigen Sekunden wäre er tot,
erlöst.
Ich erwache aus meiner Starre der Beobachtung.
Ein leises Wort, nur gedacht:
Luminae.
Die Schattenwesen, von Licht erfüllt, fallen zu Boden,
hören auf zu sein.
Der Verwundete wendet seinen Kopf in meine Richtung,
will mich erfassen
und sieht doch durch mich hindurch.
Er erhebt sich, schleppt sich durch die Gassen, mich als ständigen Begleiter wissend.
Auf einmal ein Platz voller Menschen,
gleißende Lichter, die mir die Augen ausstechen,
laute Gedanken hallen in meinem Kopf wieder und wieder:
Eifersucht,
Geldgier,
Rache- und Mordgedanken prasseln auf mich nieder.
Ich sinke in die Knie.
Die Offenbarung des zweiten Gesichts.
Wärme erfüllt meinen Körper,
dringt nach außen
und brennt wie Feuer.
Die Hitze bringt Leid,
keinen Tod,
keine Erlösung.
Der Mann scheint mich anzusehen, lächelt, dreht sich um und verschwindet.
Ich bin ein Schatten in den Gedanken der Menschen. Sie schauen mich an, gehen durch mich hindurch und nehmen mich doch nicht wahr.
Explosionsartig breitet sich Schmerz in mir aus.
Dann - plötzliche Stille,
Erleichterung,
Vertrauen.
Die wunderbare Kälte.
Sie holen mich nach Hause -
fort aus der bluttriefenden Welt der Menschen.

LuminaeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt