Blitzlichtgewitter

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Sie sprachen nicht lange über die Mail, bis sie sich nur zu gern von Kleinigkeiten ablenken ließen.
"Ich bin gleich wieder da" verabschiedete er sich irgendwann kurz, um die Toilette aufzusuchen. Sie nickte, und er verließ den Raum.
Gerade, als er die Tür abschloss, klingelte es. Gespannt horchte er kurz, wer das sein mochte, aber da er nichts hörte widmete er sich dem, weswegen er eigentlich den gekachelten Raum aufgesucht hatte. Nachdem er seine Hände gewaschen hatte machte er sich wieder auf den Rückweg.

Als er den Flur betrat holte er gerade Luft, um ihr etwas zuzurufen, vergaß dann aber kurzfristig, wie man atmete. Er sah sie. In den Armen eines anderen. Ihres Chefs. Dessen Hände bearbeiteten ihren Po, und er grunzte lüstern. Ihre Haltung war vekrampft, ihre Hände zu weißen Fäusten geballt.

Und schlagartig wurde ihm klar, warum sie so oft im Homeoffice war, warum sie die Schultern ständig hochzog, warum die steile Falte zwischen ihren Augenbrauen war.
Er räusperte sich laut.
Dass seine Anwesenheit und sein Eingreifen in diesem Moment auch das Ende seiner Karriere bedeuten könnten interessierte ihn nicht.

Strauch zuckte zusammen und sah auf.
"Ach Claas, was für eine Überraschung" lächelte er ihn falsch an. Seine Hände lagen dabei immer noch auf Ingas Kehrseite.
"Michael, lass sie los" brachte Claas nur mit zusammengebissenen Zähnen hervor. Er war nicht nur wütend, es ging weit darüber hinaus. In ihm brannte etwas, und flüchtig dachte er, dass Hass ein ähnlich heißes Gefühl wie Liebe sei.

Michael lachte nur rau auf. Der kleine Junge würde ihm nicht die Tour vermiesen! So lange hatte er auf Inga warten müssen, auf ihren prallen Po, dessen Fleisch in seinen Händen nicht nachgab, auf ihren schlanken Körper, der so anders war als der seiner Frau. Das kleine Biest hatte sich in letzter Zeit zu oft zu Hause verschanzt und ihn am Telefon abgewimmelt.
Ja, ihre Arbeit erledigte sie schon - glaubte er, er hatte davon wenig Ahnung, und es kümmerte ihn auch nicht. Sie war schließlich nur eine Frau, was sollte er da schon erwarten?
Er wollte endlich zum Abschluss kommen. So lange sah er sie schon an, schenkte ihr eindeutige Komplimente und Berührungen, sogar Geschenke hatte er ihr gemacht! Er war sich sicher, dass sie in dem Spitzen - Unterwäscheset unglaublich aussah, das er ihr ausgesucht hatte.
Und jetzt stand dieser Bengel hier!

Claas ballte seine Hände zu Fäusten. 'Daumen nach außen!' erinnerte er sich. Michael war einen guten Kopf größer als er selbst, und auch mindestens 50 Kilo schwerer, aber dafür war er selbst klein, schlank und wendig. Und jung! Das musste doch irgendwas ausmachen!
Er hatte sich noch nie geschlagen, hatte keinerlei Erfahrung, aber er hatte auch keine Angst. Auch, dass es Inga war, seine Inga, die er beschützen wollte, war nur noch zweitrangig.

In erster Linie ging es darum, was eine Freundin ihm erst letztens erzählt hatte.
Dass sie einen Schlüssel in der Hand hatte, wenn sie im Dunkeln nach Hause lief. Dass sie immer telefonierte, bis sie die Haustür hinter sich zugezogen hatte. Dass sie bei fast jeder Fahrt in der überfüllten U-Bahn eine fremde Hand auf ihrem Körper spürte. Dass Angst ihr ständiger Begleiter war. Dass sie in der Disko immer die Hand über ihr Glas legte, damit dort niemand etwas reintun könnte. Dass sie Umkleiden in Klamottenläden doppelt und dreifach checkte, um versteckte Spiegel und Kameras auszuschliessen. Dass sie mit ihren Freundinnen darüber sprach, welches Pfefferspray das beste war.
All das sah Claas in Michael. Und aus der Hitze, die der Hass verströmte, wurde Eiseskälte, und sein Kopf wurde klar.
"Inga, geh zur Seite" sagte er kalt, dunkel und bestimmt.

So hatte sie ihn noch nie gehört. Er klang deutlich älter und reifer, entschlossen und... wütend? War er wütend? Auf sie?
Es tat ihr leid, dass er das sehen musste. Sie hätte es ihm gern verschwiegen. Es machte sein Leben so kompliziert, wenn er miterleben musste, wie seine Chefin von ihrem Chef...
Sie schloß verzweifelt die Augen. Wo waren sie hier nur reingeraten?

Michael verstärkte seinen Griff um Inga. Sie sollte wissen, wo ihr Platz war. Denn der war definitiv nicht bei diesem kleinen Jüngelchen, oh nein, Inga brauchte mal wieder einen richtigen Mann, davon war er überzeugt. Und er war der Richtige! Das würde er ihr gleich zeigen, wenn das Bürschchen endlich weg war. Dann würde er sich ausgiebig um Inga kümmern!

Claas atmete tief durch. Er hatte Michaels Unnachgiebigkeit gesehen und wusste, dass er mit blanker Gewalt nur den falschen Menschen treffen würde. Er sah Michael fest in die Augen und zog sein Handy hervor.

Michael stutzte. Was will der Kleine jetzt mit seinem Handy? Mama anrufen? Draussen an der Straße hatte kein Auto gestanden, vielleicht musste sie kommen und ihn abholen.
Bei diesem witzigen Gedanken musste er grinsen, er nahm vor, Inga davon zu erzählen, wenn er mit ihr fertig war.
Aber was machte der Junge nur?

Claas hielt das Handy ruhig, machte den Blitz an und begann, die Szenerie vor ihm zu fotografieren.
Einmal.
Zweimal.
Ein Schritt nach rechts, anderer Winkel, Fokus auf die Hände auf dem Po, auf den Ehering.
Knips.
Knips.
Fokus auf Ingas verzerrtes Gesicht, hinter dem Michaels wütende Augen hervorblitzten.
Knips.
Ingas Tränen.
Knips.

"Wenn du nicht willst, dass diese Fotos in 20 Minuten in den Händen deiner Frau und des Aufsichtsrates sind, gehst du. Jetzt. Sofort. Und du kommst nie wieder hierher." sagte Claas tonlos, aber bestimmt. Er hatte das Maß an Wut erreicht, bei dem er nicht mehr schreien wollte sondern begann zu flüstern.

Und Michael bemerkte das. Endlich begriff er, in welcher Verfassung sich der Jüngere befand, und wie gefährlich er war. Seine Ausstrahlung war furchteinflössend, und so zog Michael langsam seine Hände von Inga und trat einen Schritt zurück.

"Hey, Kumpel, alles cool. Willst wohl auch mal ran, an die kleine Schnecke? Kann ich verstehen. Aber verbrenn dir nicht die Finger, die Süße hat Feuer!" grinste er noch, dann wandte er sich zur Haustür.

Claas war etwas überrascht, dass er dann doch ohne weitere Eskalation ging.

Er sah zu Inga. Sie hatte die Augen immer noch zusammengekniffen, ihre Wangen waren hektisch gerötet, und ihr Atem ging stoßweise. Sie zitterte am ganzen Körper.
Er wollte seine Hand auf ihre Schulter legen, als Zeichen, dass nun alles gut wäre, doch sie fuhr mit einem erstickten Keuchen zurück.
Eine neue Welle Hass überrannte ihn, und wütend knallte er die noch offen stehende Haustür zu.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Dec 11, 2020 ⏰

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