Der Überläufer

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Der deutsche Soldat Walter Proska dient gegen Ende des Zweiten Weltkriegs bei einer kleinen Einheit im Osten. Die Soldaten realisieren, dass sie den Krieg verlieren werden. Proska bandelt mit der Partisanin Wanda an. Als er gefangen genommen wird und vor der drohenden Exekution steht, wechselt er die Seiten. Mehr will ich an dieser Stelle nicht verraten.

Das Buch wurde eigentlich bereits 1951 geschrieben. Der Autor konnte sich mit dem Verlag aber nicht über die Publikation einigen. Ehrlich gesagt kann ich die damaligen Einwände des Verlags verstehen: Wie realistisch ist es, dass sich ein deutscher Soldat 1944 auf eine Romanze mit einer Partisanin einlässt? Und wie viele deutsche Soldaten haben sich der Roten Armee angeschlossen? Viel wahrscheinlicher war doch, dass Deserteure geschnappt und hingerichtet wurden.

Überhaupt wirkt die Liebesgeschichte wenig glaubwürdig. Als Leserin versteht man nicht, warum die beiden jungen Leute sich voneinander angezogen fühlen. Oder spielt sich vielleicht ohnehin alles bloss in der Phantasie des Protagonisten ab?

Ich hätte auch erwartet, von den inneren Konflikten deutscher Wehrmachtssoldaten zu erfahren. Von den Gründen, die zur Desertion führten. Aber das wirkt im Buch alles eher zufällig.

Abgesehen von dieser Kritik erscheint das Buch authentisch, der Akzent der Personen mit polnischer Muttersprache wird korrekt wiedergegeben, das Leiden der Soldaten ist nachfühlbar. Der Autor schafft es, eine Atmosphäre entstehen zu lassen. Die Sprache ist schön, es werden einige sehr treffende Vergleiche gemacht.

Der Einstieg ist spannend, danach folgen einige Längen. Es ist nicht gerade das einfachste Buch, eher etwas wirr und anstrengend zu lesen. Immerhin ist der Schluss gelungen – ein melancholisches Schliessen des Kreises, wie er zu Beginn des Buches eröffnet wurde.

Siegfried Lenz, Der Überläufer, Hoffmann und Campe Verlag, 1. Aufl. 2020.

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