Schüchterne Liebe

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"...und als er mich angeschaut hat, bin ich total rot geworden. Das war so peinlich", erzählte Julia ihrer besten Freundin Melanie während sie in den Zug einstiegen. Die beiden hatten vor ein paar Wochen ihre Berufsausbildungen angefangen, und weil sie in der gleichen Stadt arbeiteten, nahmen sie auch die gleiche Bahn für den Nachhauseweg.

Melanie hatte in Sachen Liebe schon mehrere Erfahrungen gesammelt, während die schüchterne Julia noch nicht mal zu einem kleinen Flirt, geschweige denn ihrem ersten Kuss gekommen war. Bis sie an ihrem ersten Arbeitstag Jonas, den Auszubildenden im 2. Lehrjahr, kennengelernt hatte, war ihr Interesse daran auch nicht wirklich groß gewesen. Doch diese Begegnung änderte an ihrer Einstellung so einiges. Julia war der festen Überzeugung, dass es sonst keinen Menschen gab, der auch nur annähernd so hübsch und sympathisch war wie ihr neuer Kollege. Wenn sie in seiner Nähe war, wurde sie komplett nervös und konnte nicht mehr klar denken.

"Du bist über beide Ohren verliebt!", stellte Melanie fest. "Sprich ihn einfach mal an und frag ihn, ob er mit dir mal was machen will." Doch für Julia war das nicht so einfach. Schließlich wollte sie sich auf keinen Fall blamieren. Außerdem wusste sie, dass sie für mindestens drei Jahre mit Jonas zusammenarbeiten musste.

Täglich nahm sie sich vor, in der Mittagspause ein lockeres Gespräch anzufangen. Aber wenn es soweit war, fehlte ihr wieder der Mut dazu. Dann hoffte sie, dass er den ersten Schritt machen würde. Doch darauf konnte sie lange warten. Entweder beschäftigte sich Jonas mit seinem Smartphone oder unterhielt sich mit anderen Mitarbeitern. Interesse an seiner neuen jungen Kollegin zeigte er hingegen keineswegs. Damit sanken Julias Hoffnungen immer mehr.

"Ich muss ihn mir endgültig aus dem Kopf schlagen", beschloss sie, als sie einige Wochen später wieder einmal mit Melanie unterwegs war. "Was sollte er auch an mir anziehend finden? Ich sehe nicht sonderlich attraktiv aus und wenn er in meiner Nähe ist, rede ich nicht einmal. Wahrscheinlich ist er sowieso längst glücklich vergeben. Eine Person, die so perfekt ist wie Jonas, könnte sich seine Freundin schon fast selbst raussuchen. Und ich bin da definitiv keine Wunschvorstellung." Melanie legte den Arm um ihre beste Freundin und versuchte sie zu trösten und erklärte ihr, dass sie sehr wohl ein wunderbares Mädchen war, aber wirklich viel half es nicht.

Sie wusste, wenn sie Julia wieder glücklich sehen wollte, musste sich endlich etwas ändern. Die Frage war nur wie. Was war, wenn er heimlich auch für ihre beste Freundin schwärmte und sich genauso wenig traute wie sie? Wenn die beiden das perfekte Traumpaar wären und beide nur Angst vor dem ersten Schritt hatten?

Am nächsten Tag durfte Melanie etwas früher von der Arbeit heimgehen, weil es in ihrem Betrieb technische Probleme mit den Computern gab, die sie für ihre Aufgaben benötigte. Deshalb beschloss sie, Julia direkt von deren Ausbildungsstätte abzuholen. "Vielleicht habe ich Glück und treffe zufällig den Schwarm meiner besten Freundin", dachte sie sich. Dort angekommen kam gerade tatsächlich ein blonder Junge aus dem Gebäude, der genau auf Julias Beschreibungen von Jonas zutraf. Kurzerhand beschloss sie, ihn direkt anzusprechen.

"Hi, ich bin Melanie. Du bist bestimmt Jonas, habe ich Recht?" Etwas verwirrt drehte sich der junge Mann um. "Äh... ja, der bin ich. Kennen wir uns irgendwoher?" "Nein, nicht persönlich", antwortete Melanie. "Aber meine beste Freundin Julia hat schon sehr viel von dir erzählt." Jonas lief sofort rot im Gesicht an. "Und zwar ziemlich viel Positives!", fügte sie noch mit einem Augenzwinkern hinzu.

Genau in dem Moment verließ Julia die Firma. Sie traute kaum ihren Augen und Ohren, als ihr Schwarm plötzlich auf sie zukam und ihr gestand, wie viel sie ihm bedeute, und dass er sich nur lange nicht getraut hatte, es ihr zu sagen. Und dann endlich beugte er sich zu ihr und seine Lippen berührten ihre.

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