Kapitel 4

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Zwei Wochen waren wie im Flug vergangen und so saß sie bereits fertig geschminkt und frisiert in ihrer Garderobe. Ihre braunen Haare waren in sanften Wellen geschwungen und ihr dezentes Make-Up gab ihrem Gesicht ein Strahlen, das sie lange nicht mehr an sich gesehen hatte. Komplettiert wurde ihr Look von einem schwarzen eleganten Jumpsuit. Gar nicht so übel, dachte sie sich bevor sie ihre Garderobe verließ und sich auf den Weg ins Studio machte, wo heute die erste Blind Audition aufgezeichnet werden sollte. Auf dem Gang war es menschenleer, jedoch drang bereits beim Öffnen ihrer Tür eine gedämpfte Stimme an ihr Ohr. Eine Stimme, die sie unter Hunderten wiedererkennen würde. Während sie in Richtung des Studios lief, konnte seine Stimme mit jedem Schritt deutlicher hören. Verstehen konnte sie jedoch kein Wort, da er auf Finnisch sprach. Allerdings ließ sich allein an seiner Tonlage erkennen, dass es wohl kein besonders angenehmes Gespräch war. Er klang verzweifelt und fast ein wenig wütend. Sie näherte sich langsam. Als er sie sah murmelte er etwas ins Telefon, was wie ein Abschiedsgruß klang, und legte schließlich auf. „Sorry, Samu. Ich wollte dich nicht stören.", entschuldigte sie sich sofort. „You didn't. There was nothing left to say anyways." Dann schaute er sie zum ersten Mal richtig an, musterte sie schon fast von oben bis unten. „Yvonne, you look...wow!", brachte er nur hervor. Sie merkte, wie ihre Wangen leicht rot wurden. „Danke", flüsterte sie und schenkte ihm ein Lächeln. Er erwiderte es, doch als sie ihm in die Augen sah, merkte sie, dass ein Schatten über seinem Gesicht lag. Kurz hielten sie beide den Blickkontakt, bevor er die Stille durchbrach. „Let's go and get some talents",er hielt ihr den Arm hin, sie hakte sich bei ihm ein und gemeinsam liefen sie durch die Gänge in Richtung Studio.

Es war ein unbeschreibliches Gefühl wieder auf einem der roten Stühle Platz zu nehmen. Sie freute sich besonders, dass sie dieses Jahr Steff an ihrer Seite hatte und nicht mehr die einzige Frau unter den Coaches war. Trotz ihrer Freude wanderten ihre Gedanken immer wieder zu ihrem Kollegen drei Stühle weiter. Sie wusste nicht ob sie erleichtert oder traurig darüber sein sollte, dass er dieses Mal nicht direkt neben ihr saß. So hatte sie während der Aufzeichnung recht wenig mit ihm zu tun und geriet auch nicht in Versuchung ständig seine Nähe zu suchen. Wenn nur ihre Gedanken nicht wären. Wie sie fand, wirkte auch er eher unbeteiligt, sagte kaum ein Wort und schien ebenfalls mit dem Kopf woanders zu sein. Auch in den Pausen suchte er kaum das Gespräch zu den anderen Coaches, meist war er in sein Handy vertieft. Hatte sein Verhalten vielleicht mit dem Telefonat zu tun?

Am nächsten Aufzeichnungstag war das Bild ähnlich. Yvonne tat sich sichtlich schwer und auch Samu war mit seinen Gedanken die meiste Zeit nicht im Studio.

Unzufrieden mit sich selbst begab sie sich an diesem Abend in ihre Garderobe. Wieso hatte sie es so schwer in diese Staffel reinzukommen? Warum konnte sie nicht aufhören an ihn zu denken? Konnte im Moment denn gar nichts in ihrem Leben nach Plan laufen? Als sie sich gerade umgezogen hatte, klopfte es an ihrer Garderobe. „Herein", rief sie und Mark streckte seinen Kopf durch die Tür. „Hey, Kaddi. Stör ich?" „Nein gar nicht, komm ruhig rein. Was gibt's denn?" „Ich wollte eigentlich nur mal nachfragen ob bei dir alles in Ordnung ist?", fragte er als er auf ihrem Sofa Platz nahm. Sie seufzte, ihre gedankliche Abwesenheit war also doch nicht unbemerkt geblieben. „Ja, klar. Warum fragst du?", versuchte sie dennoch aus der Situation zu entkommen. „Naja, wir beide kennen uns ja auch schon ne Weile und ich finde du wirkst dieses Jahr so ruhig und verschlossen." Sie schluckte, Mark konnte und wollte sie nichts vormachen. „ Ach, Mark. Ich denke in letzter Zeit war alles ein bisschen viel für mich. Die Scheidung von Alexander verlangt mir echt viel ab und zieht sich bereits über ein Jahr hin. Ich bin hoffe, dass das Kapitel bald endgültig vorbei ist", gab sie schließlich einen Teil der Wahrheit preis und hoffte, er würde sich damit zufrieden geben. Er tat ihr den Gefallen. „Kann ich definitiv verstehen, sowas zieht nicht spurlos an einem vorbei", nickte er. „Naja, du scheinst jedenfalls nicht die Einzige zu sein, die mit privatem Kram beschäftigt ist. Unser werter Herr Finne scheint auch gar nicht bei der Sache zu sein. Ich frag mich was bei dem los ist." „Hm, keine Ahnung. Ist mir nicht aufgefallen", gab sie sich unwissend. „Echt nicht?", ungläubig schaute er sie an, „ihr wart doch früher immer so dicke." „Mhm, aber wir haben uns seit zwei Jahren nicht gesehen und es hat sich viel verändert. Mit mir hat er jedenfalls auch nicht wirklich gesprochen. Wahrscheinlich hat er einfach auch wahnsinnig viel zu tun mit seinem Buch und der Auflösung der Band", mutmaßte sie. „Da könntest du Recht haben, trotzdem komisch. Ich werde das mal beobachten. Und falls du reden willst, Kaddi, bin ich für dich da", lächelte er und stand auf. „Danke, Mark.", sie war unfassbar froh so einen so tollen Freund und Kollegen zu haben. Mit einer kurzen Umarmung verabschiedeten sie sich schließlich und sie machte sich auf den Nachhauseweg.

Am nächsten Morgen war sie relativ ausgeruht für den nächsten Blind-Dreh im Studio angekommen und machte sich kurz vor Beginn der Aufnahmen auf den Weg in die Küche um sich ein Wasser zu holen. Dort traf sie natürlich ausgerechnet auf den blonden Finnen, der sich gerade einen Kaffee machte. Als er sie bemerkte schaute er mit einem kurzen Blick von seinem Handy auf und begrüßte sie mit einem müden „Good morning". Sie grüßte zurück und nahm sich ein Wasser. Augenblicklich musste sie an das Gespräch mit Mark zurückdenken. Er hatte definitiv recht, irgendwas stimmte mit Samu nicht. Von seiner sonst so fröhlichen Art war auch an diesem Morgen wenig übrig. Sollte sie ihn fragen was los war? Vielleicht brauchte er jemanden zum Reden? Allerdings war sie dafür sicher nicht die Richtige, nach allem was zwischen ihnen vorgefallen war. Sie machte gerade auf dem Absatz kehrt, als sie es sich doch anders überlegte. Schließlich fasste sich ein Herz und sprach ihn darauf an. „Samu?" „Ja?" „Ist alles in Ordnung bei dir?" Ertappt ließ er den Blick sinken. „It's difficult, Yvonne. There is so much going on in my private life. It's hard to concentrate on the show to be honest", gab er schließlich eine wenig präzise Antwort. Sie merkte, dass er ihr nicht alle Einzelheiten anvertrauen wollte und das musste sie akzeptierten. „Das kann ich gut verstehen, geht mir gerade ganz ähnlich. Wenn du reden willst oder ich sonst was tun kann sag mir Bescheid, okay?", sie lächelte ihn aufmunternd an und wollte die Küche gerade wieder verlassen.

"I could use a hug", flüsterte er da plötzlich so leise, dass sie sich kurz fragte, ob es nur Einbildung gewesen war. Sie drehte sich zu ihm um und musterte ihn. Wie er da stand, so verloren und abgekämpft, sie konnte nicht anders, als seinen Wunsch zu erfüllen. In drei Schritten war sie bei ihm und schlang ohne zu zögern ihre Arme um seine Mitte. Er legte sanft eine Hand um ihre Taille, die andere vergrub er in ihrem Haar. Beruhigend strich sie ihm mit der Hand über den Rücken. Auch wenn sie es sich nicht eingestehen wollte, sie hatte diese Umarmung mindestens genauso dringend gebraucht wie er. In seinen Armen fühlte sie sich so geborgen, als könne ihr nichts etwas anhaben, als wären ihre Sorgen nur halb so schlimm. Sie konnte seinen Herzschlag spüren und seine Hand strich immer wieder zärtlich über ihr Haar. Eine kleine Ewigkeit standen beide so da, völlig in sich selbst vertieft. Schließlich löste der Finne sich von ihr. „I'm sorry Yvonne, I shouldn't bother you with my bullshit" „Ach Quatsch, das hast du doch gar nicht. Jeder braucht hin und wieder einfach mal ne feste Umarmung, dann sieht alles schon viel besser aus." „Thank you! You're too good to be true", lächelte er. „Lass uns ins Studio, die anderen warten sicher schon." Er nickte langsam und folgte der schönen Frau auf den Flur.

In der heutigen Aufnahme sollte sie eine Gesangseinlage auf die Bühne bringen, um einen jungen Mann von Team Yvonne&Steff zu überzeugen. Eigentlich hatte sie „Let it be" von den Beatles geprobt, doch als sie die Bühne betrat und Samu einen kurzen Blick zuwarf, kam ihr ein anderes Lied in den Sinn. Sie schnappte sich die Gitarre des jungen Mannes und improvisierte. „You're just too good to be true, can't take my eyes off of you. You'd be like Heaven to touch, I wanna hold you so much ...", sang sie die ersten Zeilen des berühmten Songs. Sie hoffte er wusste, dass sie auf den Moment in der Küche anspielte. Dass sie das Lied keinesfalls sang, um das Talent zu überzeugen, sondern dass sie es für ihn tat. Dass ihre Gefühle in diesem Moment nicht gespielt sondern zu hundert Prozent echt waren. Während sie sang, versuchte sie sich auf das Talent vor sich zu konzentrieren. Doch hin und wieder konnte sie nicht anders und suchte Samus Blick. Er hatte auf ihrem Stuhl neben Steff platzgenommen und konnte tatsächlich die Augen nicht von ihr lassen.

Nach der Aufzeichnung unterhielt sie sich noch kurz mit Steff, bevor die beiden sich als letzte in ihre Garderoben aufmachten. An diesem Abend war sie zum ersten mal in dieser Staffel zufrieden mit sich. Ihr Auftritt war geglückt und auch sonst hatte sie nach der heutigen Folge ein viel besseres Gefühl, was The Voice betraf. Sie war fast immer bei der Sache gewesen und mit Steff meistens einer Meinung. Nur aus Samu wurde sie nicht schlau. Er war nicht er selbst und privater Stress konnte so gut wie alles bedeuten. Sie wusste, dass sie eigentlich keinen Gedanken an ihn verschwenden sollte, dass es ihr nicht gut tat über ihn zu Grübeln. Und doch musste sie sich eingestehen, dass Samu ihr alles andere als egal war. Im Gegenteil.

In ihrer Garderobe angekommen, machte sie zuerst das Licht an, bevor ihr Blick an etwas hängen blieb. Auf ihrem Schminktisch lag ein kleiner weißer Zettel. Und obwohl sie sich geschworen hatte, nicht mehr an ihn zu denken, machte ihr Herz einen kleinen Sprung und ein Lächeln zierte ihr Gesicht, als sie die kurze Nachricht las.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Dec 25, 2020 ⏰

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