Kapitel 3

322 14 4
                                    


Sie hatten beschlossen, den Abend in der Bar ihres Hotels ausklingen zu lassen. Der Dreh für die Blind Auditions würde erst in zwei Wochen starten, sodass die meisten nur für die heutige Besprechung nach Berlin gekommen waren.
Yvonne wählte absichtlich den Platz am Tisch, der am weitesten von Samu entfernt war. Sicher war schließlich sicher. Das Aufeinandertreffen war zwar ganz gut gelaufen, doch sie traute der Sache nicht. Am wenigsten sich selbst und ihren Gefühlen. So blieb ihr nur, sich von dem Finnen fernzuhalten.
Es war ein wirklich lustiger Abend und sie war froh, dass sie mitgekommen war. Jeder der Coaches gab seine witzigsten Bühnen-Erlebnisse zum Besten, was auch eine ziemlich gute Gelegenheit war, ihre Doppelstuhl-Partnerin Steff noch etwas besser kennenzulernen. Yvonne fühlte sich so unbeschwert wie lange nicht mehr. Wann hatte sie zum letzten Mal so viel gelacht?
Gegen Mitternacht war sie dann aber doch die Erste, die aufstand. „ Leute, es war ein super schöner Abend mit euch aber auch ein anstrengender Tag. Ich bin echt müde und würde mich so langsam in Richtung Bett aufmachen."
„Och, Kaddi, jetzt wars doch grad so lustig", beschwerte sich Mark direkt. „Tja,Forster. Man soll gehen wenn's am schönsten ist", entgegnete sie lachend.
„Actually, Yvonne hat recht. I have an early flight tomorrow.", warf Samu plötzlich ein und stand ebenfalls auf. Fragend sah sie ihn an. Was beabsichtigte er bloß?
Innerlich hoffte sie, dass sich noch jemand anschließen würde und sie nicht mit ihm alleine auf den Weg zu ihrem Zimmer musste. Leider tat ihr niemand den Gefallen und so verließ sie, dicht gefolgt von Samu, die Bar. Seine Nähe machte sie nervös und die Tatsache dass sie zum ersten Mal seit zwei Jahren alleine waren, trug den Rest dazu bei. Ihr Herz hämmerte in ihrer Brust und sie traute sich nicht etwas zu sagen, um das Schweigen zwischen ihnen zu lösen. „That was a fun evening, hm?", brach Samu schließlich die Stille. „Ja, dieses Jahr sind wir echt eine bunte Truppe", entgegnete sie nur, ohne ihn anzusehen.
„Wo gehst du hin?", fragte er sichtlich irritiert, als sie nicht vor dem Aufzug stehen blieb sondern nach links abbog.
„Ich nehm die Treppe", presste sie hervor und lief einen Tick schneller. Sie wollte der Situation so schnell wie möglich entkommen. „Yvonne, wait",sanft packte er sie am Arm und zwang sie so vor dem Treppenabsatz anzuhalten. Langsam drehte sie sich zu ihm um. Er sah ein bisschen verlegen aus und fuhr sich fast schon nervös durchs Haar. So kannte sie ihn gar nicht, er war eigentlich immer der gelassene Typ. Er holte tief Luft bevor er zu sprechen begann. "I know, das letzte Mal als wir uns gesehen haben, einige Dinge sind passiert und wir haben nie darüber geredet. Aber ich habe mich wirklich wirklich gefreut dich wiederzusehen! Also...", er stockte. „Also, ich wollte einfach dir nur sagen, that I hope we are cool and can enjoy this season together with the team. Without any hard feelings between us."
Sie schluckte. Ihr Gefühl ihm gegenüber war zwar alles andere als cool, aber sie war froh dass er die Sache angesprochen hatte. Ein freundliches Miteinander war ihr genauso wichtig wie ihm, sie wollte mit ihrem Gefühls-Chaos die Stimmung unter der Coaches auf keinen Fall kaputt machen und konnte ihm in dem Punkt nur zustimmen. „Klar, Samu. Das Alles ist über zwei Jahre her. Lass uns einfach gemeinsam eine tolle Zeit als Kollegen haben." Seine Hand, die immernoch auf ihrem Arm lag, wanderte zu ihrer und drückte sie leicht. „Cool, das ist gut!", lächelte er und ließ ihre Hand los. Sie erwiderte sein Lächeln und wünschte sich in dem Moment nichts mehr, als dass er ihre Hand wieder mit seiner umschloss. Doch bevor sie den Gedanken weiter verfolgen konnte, zwang sie sich, sich von ihm abzuwenden und die Treppen in Angriff zu nehmen.
Schweigend liefen sie nebeneinander her, wobei Yvonne definitiv bereute nicht den Aufzug in die 7. Etage genommen zu haben.
„Ich bin auf diesem Stock.", sagte sie leicht außer Atem, als sie es endlich geschafft hatten. „Okay, ich muss noch eins höher", entgegnete er. So standen sie beide kurz etwas unschlüssig auf dem Gang. „Ja,ähm, guten Flug morgen nach Finnland und schlaf gut.", versuchte sie etwas unbeholfen eine Verabschiedung hinzubekommen. Sie wollte schon kehrt machen, doch Samu hatte andere Pläne und zog sie in eine feste Umarmung. „Good night, pretty Lady", murmelte er ihn ihr Haar, bevor er sie viel zu schnell wieder losließ. Mit einem letzten Blick in seine tiefblauen Augen wand sie sich schließlich ab und lief zu ihrem Zimmer.

An Schlaf war jedoch in dieser Nacht nicht zu denken. Ihre Gedanken wanderten immer wieder zu Samu, zu ihrer gemeinsamen Zeit bei The Voice und zu dem Kuss. Sie hatten danach nie wirklich darüber gesprochen. Am nächsten Morgen beim Frühstück hatten sie sich weitestgehend ignoriert und ihre Aufmerksamkeit den anderen Coaches gewidmet. In ihrem Kopf herrschte ein einziges Durcheinander. Sie wusste nur, dass sie heilfroh war, dass sie normal miteinander umgehen konnten. Immer wenn sie an damals dachte, plagten sie Schuldgefühle. Es war zwar „nur" ein Kuss gewesen aber sie hatte sich in ihrem Kopf mehr ausgemalt. Viel mehr. Und damit ihre Ehe zerstört. Ein Jahr konnte sie das Schauspiel einer glücklichen Ehe noch aufrechterhalten, bevor sie die Beziehung beendete und die Scheidung einreichte. Ihr Mann hatte damals die Welt nicht mehr verstanden und sie ehrlich gesagt auch nicht. Es war alles so perfekt zwischen ihnen gewesen, sie hatten sich gerade ein Haus gekauft, wollten eine Familie gründen. Dann trat Samu in ihr Leben und mit ihm Gefühle, die sie sich nie hätte vorstellen können. Langsam aber sicher hatte sie sich in ihren Kollegen verliebt. Doch ihre Ehe war in der damals wichtiger. Wichtiger? Es war wohl eher die sicherere Entscheidung gewesen. Eine Beziehung zu einem finnischen Rockstar und Frauen-Magnet klang nicht gerade nach einem Erfolgsrezept. Und so hatte sie auch nie versucht ihn zu kontaktieren, aus Angst dass es für ihn doch nur ein harmloser Flirt war, bedeutungslos in seiner Rockstar-Welt.
Es würde sowieso niemals eine Chance für sie beide geben, nicht damals, nicht heute und auch nicht in Zukunft. Ihr Verstand hatte das längst akzeptiert, wenn doch auch ihr Herz endlich nachziehen würde...

Ein Stockwerk höher lag auch er wach, mit den Gedanken an eine Frau, die ihm schon vor Jahren den Kopf verdreht hatte. Ihre Ausstrahlung hatte ihn vom ersten Moment an fasziniert, wie noch bei keiner anderen Frau zuvor. Er war so angetan von ihr, dass er ständig ihre Nähe suchte und immer einen Grund fand sie zu umarmen. Wie sehr er sich damals gewünscht hatte, keinen Grund zu brauchen. Dass er sie berühren und umarmen konnte, weil sie die Frau an seiner Seite war. Zwei Staffeln lang hatte sich etwas zwischen ihnen entwickelt, was er irgendwo zwischen Freundschaft und Liebe einordnen würde. Als er sie endlich vor ihrem Hotelzimmer geküsst hatte, war er der glücklichste Mann der Welt gewesen. Zumindest für einen ganz kurzen Moment. Er hatte ihr damals sagen wollen, dass er Gefühle für sie hatte, doch sie ließ es gar nicht erst soweit kommen. Danach hatte er nie wieder richtig die Gelegenheit gehabt mit ihr zu sprechen, geschweige denn ihr seine Gefühle zu offenbaren. Einige Male hatte er überlegt einfach zu ihr zu fliegen, nach Deutschland. Doch sie war verheiratet und er respektierte das. Respekt? Oder waren es nicht eher Feigheit und die Angst, dass sie sich gegen ihn entscheiden würde? Und so vergingen zwei Jahre, in denen er zwar immer weniger an sie dachte und doch viel zu oft.
Vor dem Wiedersehen war er nervös gewesen und als er sie zur Begrüßung umarmte hatte, wusste er auch wieso. Mit einer einzigen Berührung hatte sie es geschafft, ein Chaos in ihm auszulösen.

Kurz nahm er sein Handy und tippte ihren Namen in der Kontaktliste ein. Ob sie wohl auch nicht schlafen konnte? Er schrieb ihr eine kurze Nachricht, verwarf sie aber direkt wieder. Was dachte er sich nur? Er konnte nicht schon wieder anfangen ständig ihre Nähe zu suchen, das würde keinem der beiden gut tun. Seufzend legte er sein Handy weg und schlief schließlich ein, mit den Gedanken an eine besondere Frau.

Last chance Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt