Ich habe Margerie in meinem Leben nie wieder gesehen, es war das letzte Mal, als ihre Locken das Gefühl der Wärme und Lieblichkeit in den Raum ausstrahlten. Es war das letzte Mal, als sie ihre Lippen vor Freude spitze und sie mit einem schmunzelnden Lächeln vor mir stand und ihre letzten Worte zu mir sprach.
Margerie war bezaubernd, wirklich, das konnte man nicht bestreiten. Sie saß im Café, rauchte genussvoll eine lange Zigarette und las in ihrer frisch gedruckten Zeitung. Der Moment in dem sie lebte, schien so perfekt, so unantastbar. Sie hatte dieses bezaubernde orangene Kleid an, was ich ihr damals geschenkt hatte. Ich hatte es ihr geschenkt, bevor ich sie richtig kannte, bevor ich überhaupt wusste, was für ein Mensch sie war, welche Probleme sie begleitete. Aber sie ließ es sich nicht anmerken, niemals. Margerie ließ niemanden an sich heran, sie war die beste Schauspielerin, die ich je in meinem Leben gesehen habe. Margerie spielte ihr eigenes Stück auf ihrer eigenen Bühne, in ihrer eigenen Welt mit ihrem eigenen Publikum. Manchmal konntest du glücklich sein, dich zu ihrem Publikum zu zählen, manchmal hättest du dich lieber umgedreht, wärst gegangen und ganz manchmal, so warst du ein Niemand.
Margeries Fassade bröckelte nie in ihrem Leben. Das war das Beste, was sie konnte. Es war ihre ausgeprägteste Stärke.
„Margerie!", rief meine vertraute Stimme liebevoll und betont in das Lokal. Margerie würdigte mich natürlich nur mit einem Lächeln und einem kalten Blick über ihrer Schulter, während alle anderen Besucher des kleinen französischen Cafés sich zu mir umdrehten. Ich war ihr egal geworden, sie hatte für mich kein Stück mehr übrig. Ehrlicherweise hatte sie nie etwas für mich übrig, es schien alles eine Einbildung zu sein. Sie missachtete mich, wie sie es immer tat. Ihr Lächeln war gleich geblieben, das bemerkte ich zu allererst. So unbeeindruckt, dass ich erschienen war und dennoch freudig, als sei ich ein kleiner Hoffnungsschimmer.
Galant legte sie ihre Zigarettenspitze bei Seite und betrachtete mich. Sie hatte etwas von ihrem Charme, der mich schon damals verführte, an sich. Sie betrachtete mich, musterte meinen Anzug und starrte auf meinen Finger.
„Du bist verlobt, ich sehe", sie nahm sich ihre Zigarette wieder zu Mund und zog einmal daran, ehe sie mir ihren Rauch selbstbewusst in mein Gesicht blies und wieder mit einem kleinen Lächeln vor mir saß. Sie hatte nur ihre linke Oberlippe hochgezogen, was mich so faszinierte.
„Du kennst mich, ich mag das nicht", ich wedelte etwas vor mir her, um den Rauch zu vertreiben, als der Ober an unseren Tisch kam und Margerie einen Teller voll mit Bitterschokolade hinstellte. Margerie wusste, was sie tat. Margerie war sich ihrer Situation klar, sie wusste was sie alles machen konnte, was andere nicht einmal denken durften.
Margerie nahm sich ein Schokoladentäfelchen und legte es sich lieblich in den Mund. Sie war schon immer die Schönste gewesen, seitdem ich sie kannte. Seit sie und ich in einer Klasse waren. Sie war beliebt und glücklich, sie hatte Glück, ihr ganzes Leben lang. Und Margerie hatte sich nicht verändert, vor mir saß die bildhübsche Margerie Brown.
Margerie durfte sich schon immer alles erlauben, sie hatte immer das bessere Recht, das bessere Leben. Margerie war hübsch, das war ihr Vorteil. Sie war einfach die mit dem besseren Leben, „die mit dem Vorteil", das wusste Margerie schon immer und sie spielte ihre Rolle perfekt.
„Stört es dich?", ich musterte ihr Verhalten und ihr Selbstbewusstsein, nur manchmal sah sie von ihrer Zeitung zu mir auf.
„Warum sollte es?", sie paffte mich nochmal an und diesmal überzog mein Gesicht ein Lächeln, sie tat mir Leid, wie sie um Respekt kämpfte und versuchte mich zu erniedrigen. Sie nahm sich noch ein Täfelchen. Und doch hatte Margerie recht, es sollte sie stören, das wollte ich ihr verdeutlichen.
„Ich habe dich damals geliebt, ich hätte dir alles gegeben, das weißt du und dennoch -", begann ich und wollte mit meinen Argumenten, die sich über die Jahre aufgestaut hatten, beginnen, doch Margerie unterbrach mich. Ich hätte es wissen müssen.
„Lass uns nicht über die Vergangenheit reden", sie sah mich allwissend und lächelnd an, ehe sie von mir wegblickte und in den Raum rauchte. Es war, als ob sie nichts mehr wissen wollte, als sei sie das Opfer gewesen und sie wollte sich die Zeit nicht mehr reflektieren lassen. Ich versteinerte mit meinem Blick. Ich konnte es nicht glauben, dass solch eine Person auf der selben Stufe stand wie ich. Sie identifizierte sich, wie ich es tat. Im Endeffekt, war sie nicht anders als ich. Sie hatte es leichter im Leben, dennoch lebte sie, wie ich.
Ich war inzwischen erfolgreich, hatte eine Frau, Rosie, und zwei Kinder. Ich hatte es auf die gute alte Art geschafft. Ich war im Leben erfolgreich, ich war ein erfolgreicher Autor. Nie hätte ich erwartet, dass Margerie das Selbe sein würde. Auch sie war unter die Literaten gegangen, und ich hatte nie etwas von ihr gelesen. Schämen tat ich mich dafür nicht, ich erwartete einen grausamen Schreibstil, eine grausame Handlung und grausame oberflächliche Charaktere.
Ich erwartete zu viel. Ich erwartete nicht die perfekte Margerie, denn sie hätte es nicht verdient erfolgreicher zu sein als ich, sie hatte doch schon alles. Sie hatte ihr perfektes Aussehen, ihr Selbstbewusstsein.
Ich sah in ihr alles, was ich gerne sein wollte und bemerkte nicht, dass es auch hätte andersrum sein können.
„Oh Margerie", bedauerte ich sie, war das fair? Sie hatte es nicht verdient bedauert zu werden. Sie war immer perfekt, in meinem Leben wollte ich auch einmal der Bessere sein. Meine Bücher waren Weltklasse! Einfach, aber gut! Ich hatte diesen Ruhm verdient, ich hatte das harte Leben. Ihre kannte man erst gar nicht, dass war auch nicht schwer festzustellen, bei dem Ruf den sie hatte. Dem Ruf, dass sie schlecht schrieb, da sie so gut aussah.
Am Ende waren wir, wir die Hässlichen, die Oberflächlichen und am hässlichsten war unser Charakter.
Margerie spielte an ihrer Perlmuttkette und lächelte vor sich hin, sie aß das letzte Stück der Schokolade und las die letzte Seite der Zeitung. Sie trank den letzten Schluck Weißwein aus ihrem großen Glas und atmete ein letztes Mal tief ein, ehe sie hoch zur Decke blickte.
Ich verabschiedete mich mit einem aufgesetzten Lächeln und einer gewissen Boshaftigkeit. Margerie bezahlte den Kellner mit einem Lächeln und Zwinkern. Nur aus Protest kaufte ich mir wenig später ihren einzigen Roman. „Wenn der Wind die Menschen küsst"
Ich las das Buch in weniger als einer Woche durch, dreihundert Seiten einfach verschlungen. Es sollte nicht das letzte Mal sein, dass ich sie sah und von ihr hörte.
»Wir streben danach, bewundert zu werden.«
Mir blieb das Zitat im Kopf.
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Margerie Brown
Short Story» Ich habe Margerie in meinem Leben nie wieder gesehen, es war das letzte Mal, als ihre Locken das Gefühl der Wärme und Lieblichkeit in den Raum ausstrahlten. Es war das letzte Mal, als sie ihre Lippen vor Freude spitze und sie mit einem schmunzelnd...