Victoria's Next Angel

Photoshooting

Unerbittlich klingelte der Wecker und riss mich unsanft aus dem Schlaf.
Ich warf einen Blick auf die digitale Anzeige auf dem Tisch rechts neben mir: 05:00.

Das war doch echt grausam! Sollte es nicht gegen irgendwelche Gesetze verstoßen, mich nur 4 1/2 Stunden schlafen zu lassen?

Stöhnend stand ich auf, schielte zu meiner Zimmernachbarin, die einen bemerkenswert festen Schlaf hatte und schlurfte ins Bad.

Fuuuuck! Diese Augenringe würden die Stylisten nie im Leben wegschminken können.
Entsetzt betrachtete ich mein Spiegelbild... Ich war am Arsch!

Ich würde gleich eins meiner Idole treffen und sah aus wie der Tod persönlich. An sich wäre das ja nicht so schlimm, aber ich war das Model für mein Idol.

Entsprechend nervös stolzierte ich zum Set.
"Nein, nein, nein! Alissa Baby, du sollst nicht aussehen, als wärst du notgeil! Um sexy auszusehen, ist weniger manchmal mehr! Hör auf mit diesem Flittchenblick!"
Abrupt blieb ich stehen und blickte wie gebannt herüber zum Set.
Wir waren am wunderschönen Strand von Malibu. Erste Sonnenstrahlen blitzten über das Meer und schimmerten golden im Wasser.
Perfekte Vorraussetzungen für ein wunderbares Bild.
Nur Alissa versaute es anscheinend gerade.
Ich versuchte genaueres zu erkennen, aber wurde zur Maske geschickt. Zuerst bekam ich einen Badeanzug an. Ich muss zugeben, er war echt schön: Ober- und Unterteil waren durch ein Netzmuster aus dunkelblauen und goldenen Streifen verbunden. Ober- und Unterteil selbst schimmerten in einem wunderschönen Türkis.
Passend dazu bekam ich Smokey Eyes in goldtönen und falsche Wimpern. Meine Haare stylten sie in lockere Beach Waves. Dafür, dass ich vor einer halben Stunde noch wie der Tod in Person ausgesehen hatte, war das Ergebnis echt ansehnlich.

Die Sonne ging gerade in einem wunderschönen rosa auf, als ich endlich dran war.

Russell James nur in Badeshorts mit einem Hawaikettchen um den Hals kam auf mich zu. OMG. Okay, jetzt ganz cool.

"Hey Celeste - geiler Name übrigens - ich bin James."

"Oh mein Gott! Ich bin so ein großer Fan! Ich LIEBE ihre Bild -"

"Hey hey, Kätzchen. Ganz ruhig.", unterbrach mich James lachend.

Ich machte mich gerade vor meinem Idol zum Affen. Super Job, Cel!
Verdammt!

Aus dem Augenwinkel sah ich wie Christian mit den Händen in den Hosentaschen angetrottet kam.
Sein weinrotes V-Ausschnitt T-Shirt war perfekt auf seine Schuhe abgestimmt.
Sein lässiger Auftritt wurde durch die Sonnenbrille in seinem Haar betont.
Was machte denn ausgerechnet Mr. Perfekt hier? Der hatte mir gerade noch gefehlt!

Er und James begrüßten sich mit einem perfekt synchron ausgeführten, drei minütigen Handschlag.

"Wir habens immer noch drauf, Mate!", sagte Christian lachend.

"Yas! Was machst du hier? Solltest du nicht schlafen?", erwiderte James mit einem gespielt strengen Blick auf seine Armbanduhr.

"Jaaa. Besser wärs.", gähnte Christian. "Aber Paynie meinte, ich solle mir ein paar Mädchen mal genauer ansehen. Also sitz ich jetzt hier 10-15 Minuten ab und dann verzieh ich mich. Hab später noch was vor, wenn du verstehst, was ich meine." Irgendwie war es ernüchternd, Christians wahre Seite kennenzulernen. Aber auch widerlich. Dachte ich mir doch, dass er ein Player ist. Bei dem Aussehen.
James antwortete darauf mit einem Grinsen: "Tzztzz. Ich werde darauf einfach nichts antworten und dich mit Schweigen strafen. Also verzieh dich in die Ecke! Du hältst uns von der Arbeit ab!"

Christian, der mich zuvor nicht beachtet hatte, richtete seinen Blick auf mich und zuckte kurz zusammen. Ich ignorierte ihn und drehte mich ein Lächeln aufsetzend zu Russel. Leider spürte ich Christians Blick nur allzu deutlich auf meinem Rücken.

"Also, wo willst du mich haben?", fragte ich James, woraufhin Christian mich promot auslachte. Wütend funkelte ich ihn an.

"Ich würde gerne jetzt, wo du noch trocken bist, eine Portraitaufnahme von dir machen und dann gehen wir etwas ins Meer, ja?"

"Was für eine Einstellung verwenden Sie für Portraitaufnahmen?", fragte ich eifrig.

"Nicht doch, Kätzchen. Du siehst gut aus, der Rest läuft wie von selbst."

Enttäuschung durchzuckte mich aber ich versuchte, es mir nicht anmerken zu lassen. Ich sah mich um, beobachtete die Szenerie vor mir und war einen Moment lang einfach nur froh.
Ich hatte ein unendliches Glück, hier am Strand von Malibu zu sein, wo die Sonne gerade in einem wunderschönen rosarot den Himmel aufstieg.

"Ja. Wunderschön! Bleib so! Bleib - und jetzt schau noch zu mir in die Kamera.", befahl James drängend. Ich fuhr zusammen, weil ich alles um mich herum total vergessen hatte, schaute dann aber in die Kamera.

"Ja, das ist es! Wunderschön! Noch etwas mehr flirty, bitte. Ja, genau so! Perfekt!"

Durch seine Reaktion ermutigt fuhr ich mir mit meiner rechten Hand durch die Haare und legte meinen Kopf schief.

James brach in Begeisterungsstürme aus.
Fast wie in Trance kam mir der Rest des Shootings vor. Ich sollte mich an den Rand des Meeres auf eine Seite legen und meinen Kopf auf einen Arm aufstützen.
Schwierig war es nur, den Ausdruck zu behalten, wenn das Meerwasser über mich strömte.
Triefend nass aber zufrieden rannte ich auf Zehenspitzen zum Set zurück, als ich fertig war. Der Sand war über die Nacht eiskalt geworden und knirschte unter meinen Füßen. Natürlich lief ich direkt in Christian rein. Ich dachte, er hätte eine Verabredung heute.
Wortlos hielt er mir ein Handtuch hin und legte es mir um.

"Du hast dich gut gemacht heute." Seine eisblauen Augen blickten mich verschlossen an. Jetzt machte er mir plötzlich Komplimente?

"Danke.", erwiderte ich kurz, ohne ihn anzusehen.

James kam und unterbrach diese komische Stimmung zwischen uns. Zum Glück.

"Kätzchen, du warst fantastisch! Du bist sowas von gebucht! Ich freu mich schon auf unsere nächste Zusammenarbeit!" Er klopfte mir lachend auf die Schulter und verschwand dann zum nächsten Model.

"Ähm.", unschlüssig betrachtete ich Christian vor mir, der keine Anstalt machte, irgendetwas zu sagen. "Also, ich schätze mal, ich bin hier durch... Machs gut?"

"Wir sehen uns heute noch zum Training.", erwiderte Christian. Na super. Training.
Schon war der Tag ruiniert.