Betrunkene Irrsinsgedanken

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Christian war so undurchdringlich. Alles, was ich ihm an den Kopf warf - auch noch die hässlichsten Beleidigungen - schienen an ihm abzuprallen. Er schien nichts ernst zu nehmen. Ganz im Gegensatz zu mir schien er sich überhaupt nicht angegriffen zu fühlen.

Aber andererseits...

Er wirkte zwar so als fände er alles lustig, aber andererseits war er auch ernsthaft daran interessiert, sich mit mir zu unterhalten. Ernsthaft an mir interessiert?
Ich verstand ihn nicht, nicht, was in ihm vorging. Und das fand ich ätzend.
Vielleicht war ich auch deshalb so ätzend zu ihm. Aber er schien nicht mal Anstoß daran zu nehmen.

Jetzt standen wir also vor der Bar und er zuckte nicht mal mit der Wimper, während ich einen Shot nach dem nächsten weghaute. Er hielt es mir nicht mal vor, dass ich ihn vorhin beschuldigt hatte, mich abfüllen zu wollen. Ich hätte das direkt gemacht.

Von den Drinks angeheitert zogen wir zur Tanzfläche. Ich hielt Christian bewusst auf Abstand.
Cel + Alkohol + Christian = keine gute Kombi.

"Entspann dich mal.", rief ich ihm zu, weil er verkrampft rumstand.
Und wieder bekam ich nur ein kleines Grinsen zurück und er fing an, sich richtig zu bewegen. Und wie er sich bewegen konnte.
Jetzt war ich die jenige, die verkrampfte, weil ich ihm nicht zu nah kommen wollte.

Was zum Teufel mit mir los?

Ein Mega heißer aber auch netter Typ nahm mich zum Tanzen mit, ich wollte ihn aber auf Abstand halten?!

Warum?

"Christian, ich kann nicht mehr.", rief ich und machte eine Geste, dass ich frische Luft brauchte. Er kam näher, weil die Musik natürlich meine Worte überdeckt hatte.

Ich beugte mich zu seinem Ohr und war mir seiner Hand, die auf meiner Hüfte brannte, nur allzu sehr bewusst. Einen Moment lang blieben wir in der Position, eng umschlungen. Dann löste ich mich ruckartig und lief raus. Alles drehte sich. Mir war auf einmal so unglaublich schlecht. Nach Luft schnappend lehnte ich mich gegen die Wand vor der Disko und sackte zusammen. Ich bekam keine Luft mehr, plötzlich schien mir alles so eng zu sein und mich zu erdrücken. Selbst die Welt um mich herum war zu klein für mich. Was redest du da, Cel?
Betrunkene Irrsinsgedanken.

Das waren dann wohl eindeutig ein paar Shots zu viel gewesen... Stöhnend vergrub ich meinen Kopf in meinen Händen. Das war mal wieder so typisch Ich, dass ich es direkt schaffte, mich vollaufen zu lassen.

Christian.. Ich konnte wirklich nicht nachdenken in diesem Zustand.

"Cel.", sagte er und kniete sich neben mich.
Natürlich war er direkt gekommen wie der Retter in der Not. "Alles okay?"

"Du hast ganz eindeutig einen Heldenkomplex, weißt du.", schnauzte ich ihn an. Wieder grinste er, aber diesmal mit einem besorgten Unterton.
Dieses fucking Grinsen!

Ich atmete tief durch und versuchte wieder zu Luft zu kommen.

"Ich glaub, es ist besser, wenn du mich heimbringst.", sagte ich und blickte zu ihm hoch.
"Natürlich. Wir wollen doch, dass du für das Training morgen fit bist.", scherzte er und ich stöhnte unterdrückt. Weeey Training...

Es war eine stille Rückfahrt, ich war totmüde und Christian schwieg.
Irgendwie war heute alles zu viel für mich gewesen und ich sehnte mich so sehr nach meinem Bett.

"Ehm Cel, wir haben ein kleines Problem."

"Hmm?", schreckte ich aus meinem Halbschlaf auf.

"Hör zu, ich hatte den Nachtwächter, Matt, einen Freund von mir gebeten, das Tor offen zu lassen aber offensichtlich ist er nicht hier... und das Tor ist geschlossen.", sagte er zerknirscht, lächelte mir halb zu und fuhr sich durchs Haar.

"Kann ich nicht einfach über den Zaun klettern oder so?", schlug ich halbherzig vor.

Christian versuchte zumindest sein Lachen zu unterdrücken - das sollte ich ihm anrechnen. Er schaffte es aber nicht.

"Lachst du mich etwa aus?", fragte ich empört.

"Neeein.", antwortete er schnell. Zu schnell. Pfff.

"Okay, hör zu, du kannst für heute bei mir pennen, und morgen früh gehen wir dann direkt zusammen Joggen."
Das kam jetzt aber zu schnell. Misstrauisch betrachtete ich ihn.

"Keine Angst, ich hab nicht vor das jetzt auszunutzen. Ich bin nur totmüde und du auch, und ich hab keine Lust mehr hier herumzusitzen und auf Matt zu warten."

Also befand ich mich 10 Minuten später bei Christian Zuhause. Es war merkwürdig, bei ihm Zuhause zu sein. Viel zu intim irgendwie.
Auch wenn sein Heim eher einer unbewohnten Junggesellenwohnung glich, war die spärliche Inneneinrichtung geschmackvoll. Es stand sogar ein Klavier in der Ecke.
Er war also auch noch musikalisch?! Bitte!
Dieser Mann gehörte in einen Film oder eine Zeitschrift aber doch nicht in die Wirklichkeit.

"Ähm.. Ja, hier wohne ich also, du kannst auf dem Bett schlafen", sagte Christian und deutete auf das riesige Doppelbett rechts vor uns. "Ich bereite dann mal das Schlafsofa für mich vor."

"Ach quatsch, da ist genug Platz für uns beide.", rutschte es mir heraus und ich wurde rot, als mich Christian überrascht ansah. "Das ist jetzt keine Einladung oder so, aber wir wollen doch beide jetzt wirklich schlafen, oder?"

Er nickte und kramte in seinem Kleiderschrank herum. "Hier ist ein T-Shirt von mir, darin kannst du schlafen. Es ist vermutlich sogar länger als das, was du gerade anhast.", sagte er und seine Blick fuhr an meinem Körper herunter. Ich wurde rot, zum gefühlten 17. Mal heute.

Er murmelte etwas und verschwand im Bad, sodass ich mich umziehen konnte.

Ich legte mich ins Bett und war eingeschlafen, bevor ich Christian zurückkommen hörte.

Victoria's Next AngelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt