Kapitel 5

25 3 5
                                    

Ich schlug die Augen auf, um mich herum war alles dunkel und ich hörte Lucia stöhnen, sie warf sich von der einen Seite auf die andere und ich hoffte, dass sich ihr Zustand  nicht verschlechterte. Ich spürte etwas kaltes auf meinem Gesicht, es schneite. Auch das noch! Auf der kleinen Insel gab es ein kleines Gebüsch, von dem ich, obwohl es keine Blätter mehr trug, hoffte, dass es uns etwas Schutz vor dem Schnee bieten würde. Ich brach einige Äste am Rand ab und stellte sie wie eine Art Höhle auf. Dann nahm ich Lucia, legte sie ins Gebüsch und ging zu ihren Kleidern, die ich zum Trocknen aufgehängt hatte. Doch in der Kälte waren sie gefroren. Also ließ ich sie wo sie waren und ging auf das Gebüsch zu. Ein Blick zum Ufer zeigte mir, dass die Wölfe immer noch an der selben Stelle waren und, wahrscheinlich vor Hunger, nicht schlafen konnten. Sie schauten mit starrem, auf mich gerichteten Blick herüber. Sie folgten jeder meiner Bewegungen mit den Augen. Lange Zeit erwiderte ich ihren Blick, doch dann ging auch ich in unsere provisorische Höhle. Ich legte mich neben Lucia und schlief wieder ein.

Als ich erneut aufwachte hatte der Tag begonnen. Dichte Wolken bedeckten den Himmel, doch es hatte aufgehört zu schneien. Der Boden außerhalb des Gebüsches war schneebedeckt, die vielen Äste hatten uns beschützt. Um mich aufzuwärmen rannte ich ein paar mal um die kleine Insel und aß dann ein wenig von unserem Proviant, den wir am Tag zuvor im Wald gesammelt hatten. Als ich meinen Hunger halbwegs gestillt hatte, legte ich Lucia ein Stückchen Schnee im den Mund, denn sie brauchte Flüssigkeit. Ihr auch etwas zu essen zu geben erschien mir zwecklos. Sie würde es nicht essen. Ich machte mir wirkliche Sorgen um sie, sie hätte immer noch hohes Fieber und ich wusste nichts, was ich dagegen machen konnte. Ich wusste nicht mal, ob sie überleben würde. Doch sie musste überleben, sie konnte einfach nicht sterben, sie musste es schaffen. Ich würde es nicht ertragen, noch eine Schwester zu verlieren. Hätte ich damals auf  Nadia hören sollen und mit ihr in die Stadt gehen sollen? Würden wir dann jetzt überhaupt noch leben? Aber dann wäre Lucia jetzt nicht so krank, sie wäre nicht in diesen furchtbaren Fluss gefallen. Ich überlegte, was ich tun könnte. Bisher war noch keiner von uns krank geworden, weshalb ich mich nie damit befasst hatte, welche Pflanzen heilten. Meine Mutter hatte immer gesagt, dass es das gab, aber ich kannte keine. Da spürte ich plötzlich, dass der Boden leicht bebte, ein Erdbeben. Ich wusste nicht, wie stark Erdbeben hier wurden, doch ich hoffte, dass keine Bäume umkippen und uns treffen würden. Die Erde bebte ein paar mal leicht, doch dann war es vorbei. Ich setzte mich näher an Lucia und erzählte ihr Geschichten, um sie zu beruhigen, doch ich wusste nicht, ob sie sie überhaupt hörte. Ich überlegte, was ich heute machen könnte, wir saßen hier auf dieser Insel fest, solange die Wölfe noch am Ufer waren und ich wusste sowieso nicht wie wir hier herunterkommen würden. Die Baumbrücke war den Fluss hinuntergetrieben. Ich überlegte, ob ich die Wölfe mit unserem Messer treffen könnte, doch wir hatten nur eins. Ich blickte zu den Wölfen hinüber, vier waren es noch und sie brauchten dringend Nahrung, sie hatten kaum noch Kraft. Doch ich bemerkte, dass einer verschwunden war. Sie waren nur noch zu dritt. Suchend sah ich mich um, doch ich konnte ihn nicht entdecken. Vielleicht hatte er das Warten aufgegeben. Doch da hörte ich plötzlich ein plätschern im Wasser. Ich lief zur anderen Seite der Insel und da sah ich es: Der Wolf trieb auf die Insel zu, er war flussaufwärts so ins Wasser gesprungen, dass die Strömung ihn genau auf die Insel zu trug. Er würde sie erreichen. Als die anderen Wölfe seinen Erfolg bemerkten rannten auch sie flussaufwärts. Hastig lief ich zu unseren Sachen und bewaffnete mich mit dem Messer und einem Stock. Dann kehrte ich zum Ufer zurück. Ich wollte den Wolf zurückdrängen, doch es war schon zu spät, er war auf der Insel. Er sprang auf mich zu, schnappte nach meinem Arm, doch ich traf ihn mit dem Stock. Wütend knurrend setzte er erneut zum Sprung an, doch ich merkte, wie seine Kräfte allmählich nachließen. Als er auf mich zu flog streckte ich mein Messer nach vorne, es zerfetzte ihm ein Ohr und Blut dann über sein Gesicht. Er jaulte auf, doch er riss sich zusammen und sprang erneut auf mich zu. Wieder hielt ich ihm mein Messer entgegen, der Wolf sprang dagegen. Doch ich hielt es nicht fest genug und es flog in hohen Bogen in das nächste Gebüsch. Erschrocken schrie ich auf, ich hatte jetzt nur noch den Stock zu meiner Verteidigung, die restlichen drei Wölfe näherten sich der Insel. In einer schnellen Geschwindigkeit schossen sie darauf zu. Doch sie sahen schwächer aus, als der Wolf mit dem ich kämpfte. Ich holte mit meinem Stock aus und trieb den Wolf auf das Ufer zu. Er schnappte nach mir, doch er traf nur den Stock. Sein Gebiss schloss sich um den Stock und er zerbrach mit einem lauten knacken. Schutzlos stand ich da, wartete darauf, dass der Wolf sich auf mich stürzte. Doch nichts passierte, der Wolf setzte zum Sprung an und brach zusammen. Regungslos lag er da, er war gestorben vor Erschöpfung und vor Hunger. Zitternd stand ich da und sah, wie ein anderer Wolf im Wasser  an mir vorbei trieb. Er hatte es nicht geschafft auf die Insel zu kommen. Da fielen mir auch die restlichen Wölfe wieder ein. Ich packte einen neuen ast und rannte zum Ufer. Einer der Wölfe kletterte gerade aus dem Wasser. Ich schleuderte meinen ast nach ihm und er fiel zurück ins Wasser, wo er von der Strömung davongetragen wurde. Den dritten Wolf konnte ich nirgendwo erblicken, ich ging davon aus, dass auch er es nicht geschafft hatte. Ich lief zu Lucia, glücklich, dass ich es geschafft hatte, da sah ich ihn. Er hatte Lucia entdeckt und wollte auf sie springen. Ich schrie wütend auf und warf mich auf den Wolf. 

Die AuswandererWo Geschichten leben. Entdecke jetzt