Kapitel 3

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Eine Weile beobachten beide einfach nur die Natur, lauschen den Geräuschen des Windes und hängen ihren eigenen Gedanken nach. Es ist sehr still, doch viel mehr eine angenehme Stille ohne Anspannung oder unangenehmen Gefühlen. Ash spürt eine leichte Berührung an ihrem Oberschenkel. Es ist der von Ella, der den ihren kaum merklich berührt. Als sie sie daraufhin ansieht, trifft ein glänzender Ozean auf tiefes Braun und mit einem Mal wird ein Gefühls- und Gedankenchaos in Ash ausgelöst. 

Warum macht sie mich so nervös? Wieso kann ich nicht wegsehen? Warum ist sie so... verdammt ich habe noch nie so wundervolle Augen gesehen...

Ein Handy klingelt einige Male hintereinander und durchbricht damit die Stille. Der Blickkontakt bricht ebenfalls. Ella sucht hektisch in ihrer Tasche, bis sie den Verursacher des doch etwas nervigen Klingeltons ausfindig macht und draufsieht. Eine Falte erscheint auf ihrer Stirn, als sie kritisch auf das grelle Display sieht. Sie steckt es wieder in die Tasche und steht auf. Die Ruhe ist verflogen und weicht einer doch eher gestressten Anspannung. Zumindest von Seiten Ellas. Auch Ash erhebt sich fast schon automatisch. "Was ist los? Ist alles in Ordnung?" fragt sie besorgt und sucht erneut den Blickkontakt der schokobraunen Augen. "Naja ich weiß nicht... Es tut mir leid aber so wie es aussieht, müssen wir wohl schon wieder zurück", entschuldigt sie sich. "Hey alles gut", antwortet Ash noch, bevor sie den selben Weg wieder zurücklaufen, durch den sie vor einigen Minuten hierher gefunden haben. 

Es ist sehr still, keiner spricht. Selbst die Eule ist wohl schon ein Stück weitergeflogen und somit außer Hörweite. Ella scheint zu überlegen, die Nachrichten beschäftigen sie wohl doch etwas mehr, als sie zeigen möchte. Allerdings beobachtet Ash immer die kleinsten Details in ihrer Umgebung. Das inkludiert auch ihre Mitmenschen und so ist es für sie keine Herausforderung, einen Blick hinter Ellas zugegeben eher schlecht errichteten Fassade zu werfen. 

Sie kommen wieder am Parkplatz an, setzen die Helme auf und steigen schweigend auf das Motorrad. Ash merkt, dass Ella etwas bedrückt, würde ihr gerne helfen aber weiß auch nicht so recht, wie. Klar haben sie sich gut verstanden aber trotz allem kennen sie sich noch kaum und wer würde einer fremden denn schon irgendwelche Sorgen und Probleme anvertrauen? Manchmal ist weniger doch mehr und so setzt sich Ash erneut hinter Ella auf das Motorrad und schlingt ihre Arme um diese, bevor sie nur noch eine Staubwolke am Parkplatz hinterlassen. 

Eine Weile später kommen beide wieder an der Tankstelle an, halten kurz, aber als Ash absteigen will, spürt sie eine Hand an ihrem Bein, welches signalisiert, sie solle noch einen Augenblick warten. Die Fahrerin klappt das Visier ihres Helms hoch und sieht weitestgehend zur Seite, um das blonde Mädchen hinter sich zumindest aus dem Blickwinkel erkennen zu können. "Wir haben es jetzt schon nach Null Uhr. Ich wäre beruhigter, wenn ich dich noch daheim absetzen könnte, damit ich auch sicher weiß, dass du gut angekommen bist. Ist das in Ordnung für dich?" Ash zögert kurz, da sie anderen ungern Umstände ihretwegen bereitet. "Ähm... Wie du möchtest aber ich will dir keine unnötige Mühe machen." "Das machst du nicht", erwidert Ella nun mit fester Stimme und fragt kurz nach dem Weg, bevor sie ihr Visier wieder hinunterklappt und erneut Gas gibt. Ash ist etwas überrascht von dem plötzlichen Start und hält sich daher sehr ruckartig an der Jacke der Fahrerin fest. Leicht kann sie sogar deren etwas angespannte Muskeln spüren, die sich jedoch schnell wieder entspannen. Sie scheint außerdem einen sehr trainierten Oberkörper zu haben... Stopp! Welche Flausen fliegen ihr denn da durch den Kopf? War nicht Beherrschung die Devise? Das fiel ihr doch sonst auch nicht so schwer. Sie sollte wirklich mal schlafen, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. 

Erneut hält das Motorrad. Diesmal vor Ashs Haustür. Sie steigt ab, setzt den Helm ab und gibt ihn Ella zurück. Kurz berühren sich dabei ihre Fingerspitzen und ein Blitz durchzuckt ihren Körper, der wieder dieselbe Flutwelle an Gedanken und Gefühlen mit sich bringt. Auch Ella hat den Helm abgenommen und sieht sie intensiv an. "Bis bald?" sagt sie, obwohl es eher nach einer Frage klingt. Ash nickt und will sich gerade umdrehen, um zu ihrer Haustür zu laufen, als Ella ihr Handgelenk greift und sie an sich in eine Umarmung zieht. Die Anspannung weicht einem warmen Gefühl, das sie allerdings noch nicht wirklich zuordnen kann. Ash droht, sich wieder in dem tiefen Meer aus Gefühlen zu verlieren, fängt sich jedoch rechtzeitig wieder und löst sich abrupt aus der engen Umarmung. Gerade so ein Stück weit, dass sie noch nah an Ella steht und aber eine gewisse Distanz signalisiert. "Ich...", beginnt sie mit krächzender Stimme. "Ich habe einen Freund." 

Es ist gesagt. 

Erwartungsvoll sieht sie Ella an, hofft auf irgendeinen Hinweis, was das wohl in ihr passieren lässt. Doch nichts. Sie schweigt und versteckt sämtliche Emotionen perfekt hinter ihrer Fassade, die im Vergleich zu vorhin wie neu erbaut zu sein scheint. Stattdessen lehnt sie sich vor und flüstert grinsend: "Einen Freund hm? So wie du mich vorhin angesehen hast, scheint er seinen Status wohl nicht zu verdienen. An deiner Überzeugungskraft solltest du wohl noch arbeiten." Eine Gänsehaut breitet sich bei dieser erneuten Nähe zu Ella auf Ashs Haut aus und sie spürt ihren Atem für einen kurzen Moment an ihrem Ohr. Es hat ihr ganz und gar die Sprache verschlagen, als Ella sich wieder zurückzieht, den Helm aufsetzt und mit einem selbstgefälligen Grinsen und einem Zwinkern "Bis bald kleines" sagt. Einige Sekunden darauf ist sie auch schon verschwunden und die immer noch leicht überforderte Ash steht wie angewurzelt an der selben Stelle auf dem rissigen Asphalt vor dem kleinen Haus unter den Sternen. 

Was ist, wenn sie recht hat? Was fühle ich überhaupt für Bred? Und was zur Hölle macht diese Frau mit mir? Woher nimmt sie diese Badewannen voll Selbstvertrauen? Es fühlt sich an, als würde ich sie schon ewig kennen...

kreisen ihre Gedanken. Aber werden sich die beiden denn überhaupt jemals wiedersehen? Sie kennt schließlich nur ihren Vornamen und weder ihre Adresse, noch haben sie Telefonnummern getauscht. Vielleicht ist es besser so. Dieses Jahr macht sie schließlich ihren Abschluss und einen Freund hat sie auch. Eine Fremde, die ihre Welt auf den Kopf stellt, kann sie grade eher nicht gebrauchen. Auch, wenn das etwas kalt klingt. Ash versucht, die Gedanken an die Begegnung in den Hintergrund zu rücken und legt sich zurück in ihr Bett. Immer tiefer versinkt sie in die Traumwelt, bis ihr ein doch altbekanntes Sprichwort vor ihr inneres Auge huscht.

Man sieht sich immer zweimal im Leben.

Stolen heartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt