Eins - Smilla -

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»Hör auf mich anzurufen!... Nein, ich überlege es mir nicht noch mal...«

Ich kneife die Augen zu und prüfe, ob die Kopfhörer richtig in den Ohren sitzen. Wer denkt, was kann schon dabei schief gehen, sich neben ein wütend dreinblickendes Mädchen zu setzen, dem sei gesagt: Alles, was einem persönlich stört!

Es ist ja nicht so, als würde ich versuchen mich zu entspannen und noch ein wenig vor mich hin zu dösen, bevor meine Schicht anfängt, während ich in der U-Bahn sitze.

Ich bin so müde. Drei Stunden Schlaf sind nicht besonders erstrebenswert, wenn einem eine Acht-Stundenschicht bevorsteht.

Das gestrige Telefonat mit meiner Mutter war...nervenaufreibend. Wie in den letzten Gesprächen konnte ich unterschwellige Kritik heraushören, auch wenn sie nur anrief "um sich nach meinem Befinden zu erkunden", weil "ich mich kaum mehr blicken ließe".

Einige denken nun sicherlich "oh, aber sie macht sich doch nur Sorgen" und "sie will, dass es dir gut geht" oder "sie vermisst dich eben". Wenn dem nur tatsächlich so wäre. Der Druck auf der Brust ist seit gestern nicht kleiner geworden, welcher zusätzlich dafür sorgte, dass ich mich ruhelos von einer Seite auf die andere wälzte.

Das darauffolgende Gespräch mit Mika, meinem Nachbarn, war ebenfalls nicht besonders schlaffördern, auch wenn es einen hervorragenden Grund bot, das Telefonat mit meiner Mutter zu beenden. Wobei das Wort "Gespräch" dem jammernden Monolog nicht gerecht werden würde. Ich liebe Mika wirklich, auf platonische Weise, aber sein Liebesleben beschert mir frühzeitig graue Haare, dabei bin ich erst 25 Jahre alt.

~~~


»Milli, sag mir, was ich tun soll.« Ich beobachte Mika, wie er meinen Teppich platt läuft und gleichzeitig die blonden kurzgeschnittenen Haare rauft, stehen bleibt, seufzt, nur um den Gang wieder aufzunehmen. Ein Schauspiel, welches sich seit zwei Stunden abspielt. Ansich wäre das kein Problem, ich nehme mir gerne Zeit für ihn, aber die vorgerückte Uhrzeit bringt mich in eine Zwicklage.

»Hast du--«

»Ich kann Paul nicht fragen. Was ist, wenn er noch nicht so weit ist.«

»Nun, du wirst es nicht erf--«

»Was ist, wenn er unsere Beziehung nicht auf die nächste Ebene heben will. Ich ertrage das nicht, Milli. Nicht bei ihm. Es würde mir das Herz brechen, wenn er ablehnt.«

»Mika.«

»Ich werde es nicht tun. Nein. Ich werde einfach warten, bis... bis...« Traurig, mit hängenden Armen sieht Mika mich an, was unweigerlich das Bedürfnis weckt, ihn in den Arm zu nehmen.

Mika ist mein Knuddelbuddy, meine Anlaufstelle um mich auszuheulen, wenn die Streitereien mit meinen Eltern ausarten oder wenn der Schmerz, der seit Jahren tief in mir sitzt, überhand nimmt und es mich fast zerreißt. Ihm habe ich es zu verdanken, dass es mir heute... stabil geht. Er war es, der mich aufnahm, als ich am Boden lag, der mir Perspektive gab. Und genau deshalb, schlage ich mir gerne die Nächte um die Ohren, wenn er meinen Beistand braucht.

Das Weinglas auf dem Tisch stellend, erhebe ich mich und stelle mich vor ihn hin. Es reicht. Ich kann nicht weiter zusehen, wie Mika sich innerlich zerfleischt, weil er sich etwas wünscht ohne zu wissen, wie er es erreicht.

»Jetzt hör mir mal zu. Und unterbrich mich nicht«, blocke ich ihn ab, als er wieder beginnen will, zu sprechen und nehme seine Hände in meine. »Paul liebt dich. Er liebt dich, wie Romeo seine Julia, wie Dexter seine Emma, wie Cliff sei--. Ach, du weißt was ich sagen will. Mach dir nicht so viele Gedanken. Ihr habt schon so viele Probleme gemeinsam überstanden und sie haben euch noch enger zusammengeschweißt. Wenn du weißt, dass du so weit bist, dann wird Paul es auch fühlen. Ihr seit eine Einheit, ihr seit Seelenverwandte. Das Band, welches euch verbindet, ist so kräftig leuchtend, wie ich es selten sehe. Ihr gehört einfach zusammen und das werden deine Ängste nicht ändern.«

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