Kapitel 2: Violet

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Violets POV

„Mum, du hast versprochen mich am Wochenende zu besuchen. Wieso hältst du das nicht ein?"

Ich war so unsagbar wütend und traurig zugleich. Die ganzen Sommerferien hatte ich alleine zuhause verbracht, meine Eltern waren nicht ein einziges Mal da gewesen. Meine Mutter hatte mir versprochen, mich am ersten Wochenende zu besuchen, wenn sie aus Boston zurück wären. Doch wie so oft, kam etwas dazwischen und sie konnte ihr Versprechen nicht einhalten. „Es tut mir leid, Violet. Ich habe es wirklich versucht, aber ich muss noch mehrere Vorträge hier halten.", antwortete sie am anderen Ende, „Akzeptiere es bitte. Es tut mir leid." Ich sah auf und erschrak kurz, als ich sah, dass meine Zimmerpartnerin bereits eingetroffen war.

„Lass es gut sein, Mum. Wir hören uns dann..."

„Schatz, es tut mir wirklich leid, wir holen das nach. Bis bald."

Mit diesen Worten legte sie auf. Ich versuchte mir meine Traurigkeit nicht anmerken zu lassen und begrüßte das neue Mädchen. „Hallo, ich bin Violet, sorry, dass du das hier gerade mitbekommen musstest... meine Mutter wollte mich über das Wochenende besuchen, aber - naja egal, willkommen!" Sie lächelte. „Alles gut und danke. Ich bin Ivy, schön dich kennenzulernen." Ich lächelte zurück. "Wie ich sehe bist du schon fast fertig mit Auspacken und deine Uniform hast du auch schon gefunden! Wir müssen sie den ganzen Tag lang tragen, nur abends ab 20 Uhr nicht mehr und nachmittags, wenn wir das Schulgelände verlassen, auch nicht. Ich werde dir morgen dann noch alles mögliche zeigen, deswegen haben wir nach dem Lunch auch keinen Unterricht mehr."

"Cool, wie lange bist du schon hier auf der Schule?"

Ich wollte schon antworten, da schossen mir wieder alle Gedanken des vorletzten Schuljahres in den Kopf. Das Bild meines Exfreundes, der mich belogen hatte, sodass es für mich nicht einmal den Weg gab, noch mit ihm auf eine Schule gehen zu können, meine Familie, die mich auf das nächste Internat schickte, nur damit sie mich versorgt wüssten und ihnen auf ihren ewig langen Reisen kein schlechtes Gewissen dazwischenkommen konnte. Es ist wie es ist. Meine Eltern haben absolut keine Zeit für mich, mein Freund, der für mich mein fast einziger letzter Vertrauter war, ist mir ebenfalls in den Rücken gefallen. Und nach einem Jahr tut es immer noch so weh, wie am ersten Tag.

Ich schluckte den Kloß in meinem Hals herunter. "Seit letztem Schuljahr. Die Schule ist wirklich hübsch, ich bin froh hier hergekommen zu sein. Du musst wissen, meine Familie hat nicht viel Zeit für mich, daher habe ich schon zwei Internate hinter mir." Sie sah mich mitfühlend an.

"Das tut mir wirklich leid, ich-"

"Ist okay, danke dir"

Ich lächelte sie an und mein Blick schweifte zu der Wanduhr im Zimmer. Ich zuckte zusammen. "Es ist schon viertel vor sieben, du musst dich umziehen, bald gibt es Abendessen. Das Badezimmer ist dort drüben." Mein Finger zeigte auf eine Tür "Ich warte solange auf dich."

"Vielen Dank!", sagte sie noch, und verschwand dann hinter der Tür.

Knapp fünf Minuten später kam sie aus dem Bad und schaute mich etwas skeptisch an. "Ich finde sie schön, aber passt sie zu mir?", fragte sie und lachte kurz darauf auf. "Ich finde schon!", antwortete ich, "sieht gut aus!"

"Na gut, wenn du meinst, dann lass uns runtergehen"

Ich nickte und sie folgte mir durch das Gebäude in den Speisesaal.

"Wow", raunte sie, nachdem sie den riesigen Raum betreten hatte. Es stimmt ja auch, der Saal ist unfassbar groß und beeindruckend.

„Du kannst dich gerne zu mir setzen", sagte ich und zeigte auf zwei freie Plätze, „natürlich nur wenn du magst". Sie bedankte sich und folgte mir. Ich kann mich noch erinnern wie mein erster Tag war. Ich war ziemlich eingeschüchtert von allem, was auch verständlich ist. So viele neue Eindrücke und Menschen...

Wie es zu jedem Schuljahresbeginn üblich war, hielt unsere Direktorin, Mrs Rosefield, erst einmal eine Rede, vorallem für die neuen Schüler unter uns. Danach gab es Abendessen.

„Hey Violet, ist das die Neue?", fragte eine Stimme hinter mir, die ich sofort erkannte. „August! Schön dich zu sehen! Wie waren deine Ferien?", antwortete ich freudestrahlend. Erst jetzt merkte ich wie sehr ich ihn eigentlich vermisst hatte. Er war mit seinen Eltern in den Sommerferien zwei Wochen nach Irland gefahren und hatte sicher reichlich zu erzählen. Im Gegensatz zu mir. Ich habe wie immer die ganze Zeit in unserem Anwesen in Cambridge verbracht, nicht dass es dort nicht schön gewesen wäre, nur, naja... etwas einsam.

„Sehr schön, ich habe die Zeit echt genossen. Aber jetzt zu dir, herzlich willkommen auf Rosefield Academy, ich bin August und du?", wandte er sich schließlich Ivy zu. „Ich bin Ivy, schön dich kennenzulernen!", antwortete sie und lächelte. Ich glaube, sie genoss es, endlich Leute kennenzulernen. „Ich bin heute erst angekommen, Violet wird mich morgen etwas herumführen."

„Da hast du Glück, Violet macht ihren Job großartig!", neckte er mich und ich schubste ihn als Antwort leicht zur Seite.

„Wo ist eigentlich Dashiell?", fragte ich und sah mich suchend um. Eigentlich waren er und August unzertrennlich und quasi nie alleine. „Der holt sich gerade schon etwas zu essen. Ich glaube, wir sollten das jetzt langsam auch mal tun, bevor nichts mehr da ist.", meinte August. „Ja, das machen wir. Dann lernst du auch Dashiell kennen", wandte ich mich wieder an Ivy. Sie nickte, stand auf und folgte uns zur Theke. Es war gut gewesen, dass wir nicht noch länger gewartet hatten. Bei der Essensausgabe war bereits eine große Schlange, die immer noch weiter wuchs. „Das ist jeden Schuljahresbeginn so. Die neuen Schüler, insbesondere die in den jüngeren Klassen wie der neunten, veranstalten am Anfang jedes Mal so etwas wie eine Schlacht, wer als erstes an der Theke steht.", erklärte August und seufzte. Nach einer gefühlten Ewigkeit kamen wir endlich zurück an unseren Platz zurück. „Welche Kurse habt ihr dieses Jahr eigentlich gewählt? Vielleicht haben wir ja dieselben.", fragte August in die Runde. Gerade als ich antworten wollte gesellte sich auch Dashiell endlich zu uns. „Hi Violet, freut mich dich auch endlich wieder zu sehen!", sagte er und setzte sich zu uns, „wie waren deine Ferien so?" „Naja, so gut wie sie alleine eben sein können, du weißt schon, was ich meine.", lächelte ich ihn schief an. Erst jetzt bemerkte er Ivy. „Du musst die neue Schülerin sein! Ich bin Dashiell und du bist...?" „Ivy. Ich bin heute erst angekommen, Violet ist so freundlich und zeigt mir morgen alles.", antwortete Ivy.

„Ja, Violet macht das wirklich-"

„Nicht du auch noch", unterbrach ich ihn und lachte, „genau dasselbe hat August vorhin schon gesagt!"

Wir brachen in Gelächter aus bis wir den schon halb leeren Saal bemerkten. „Ich schätze wir sollten jetzt auch langsam gehen.", sagte ich, „wir hatten denke ich alle eine lange Anreise."

„Das stimmt, ich bin wirklich müde.", meinte auch Ivy und stand auf, „es war wirklich schön euch beide kennenzulernen, bis morgen dann!" Auch ich, August und Dashiell standen auf, verabschiedeten uns und ich ging mit Ivy auf unser Zimmer.

„Danke, dass du mich heute schon einmal mit ein paar Leuten bekannt gemacht hast. Das war wirklich nett.", bedankte sie sich und ging anschließend ins Bett, „Gute Nacht, Violet", sagte sie noch, ehe sie das Licht ausmachte.

Rose Field Academy - Boarding School EnglandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt