Prolog

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P r o l o g ||

Das Herz der Hexen.

So wurde sie von ihnen genannt. Das wurde ihr hinterhergeflüstert, wenn sie die Straßen durchquerte. Es waren die Worte, die sie ihr wieder und wieder vorhielten. Mit denen sie sie zum Gehorsam zwangen. Die Worte, die ihr ihre Freiheit nahmen.

Sie hatten damit angefangen, als ihnen das Ausmaß ihrer Kräfte klargeworden ist. Als sie ihr Schicksal erkannt hatten. Und es waren auch sie gewesen, die ihr jegliche Kindheit genommen haben.

Doch ich hatte weit vor ihnen gewusst, dass Moon Hawthorne etwas Besonderes war.

Unsere Lebensstränge wurden früh zusammengeführt und auch wenn es den Anderen nicht sofort klargewesen ist, Moon und mich verband weit mehr als nur die Bösartigkeit unserer Mütter – auch wenn die Zirkelhexen ihre Charakterzüge niemals als solche betiteln würden. Aber Hel sollte mich verdammen, es gab kein besseres Wort, um diese abscheulichen Wesen zu beschreiben.

            Ich wurde genau sechs Monate nach ihr geboren. Auf die Sekunde genau sechs Monate. Viele hielten es für einen Zufall, verschwendeten keinen zweiten Gedanken daran. Manchen fiel es nicht einmal auf. Sie feierten die Geburt einer Ratserbin nach ihren Größen, hatten aber schon zehn Stunden später ihre Aufmerksamkeit auf etwas anderes gelegt. Sie vergaßen die tausend Sternschnuppen am Himmel. Ignorierten Moons Geschrei. Blendeten die Tatsache aus, dass sie erst wieder in meiner Nähe ruhiger wurde.

            Es ist kein Zufall gewesen.

Nichts in unserem Leben war reiner Zufall.

Dies war der uralte Zauber, der sich um unsere beiden Leben wickelte. Sich in jede unserer Poren fraß und dafür sorgte, dass wir immer und immer und immer wieder zusammenfanden. Der Grund, weswegen ich überhaupt geboren wurde.

            Keiner wusste es. Sie hatten es geahnt, in ihren Sitzungen darüber stumm diskutiert. Ihnen war die Verbundenheit aufgefallen, die wir zueinander hatten. Diese blinden Kreaturen hatten nach Jahren bemerkt, dass Moons Magie jeden angriff. Keinen Halt vor irgendetwas oder irgendjemanden machte – außer vor mir.

            Nicht ein Mal, kein beschissenes Mal hatte sie ihre Magie gegen mich gerichtet. Nicht als Baby, nicht als tobendes Kind, nicht als ich sie verließ. Bei den Göttinnen, nicht einmal, als ich ihren Lieblingsteddy, Yasarma, in Feuer aufgehen ließ, weil sie mal wieder die letzten Kekse gegessen hatte. Ausgerechnet meine liebsten. Damals ist sie drei gewesen. Drei verdammte Jahre alt und hätte bei jedem anderen die Kontrolle über ihre endlos tiefe Magie, die in ihr ruhte, verloren. Ich bin dabei gewesen, als Tische wegen weit weniger durch die Luft geflogen sind.

            Doch sie hatte mich nur angesehen, mit ihren hellstrahlenden grünen Augen und hatte sich ohne Zögern zu ihrem Teddy gewandt. Das wabernde Feuer ist in dem Moment erloschen, in dem sich ihre Finger gefährlich nahe dem verkohlten Stoff genähert hatten. Damals kannte sie keine wirklichen Zaubersprüche. Einzig das Ziehen in ihrem Inneren, das ihr den Weg wies. Sie hatte ohne groß zu überlegen gehandelt und mit ihrer Magie Yasarma im üblichen Gelb erstrahlen lassen. Alle Spuren eines Brandes verschwanden. Ihr endschuldigendes Lächeln brannte sich in meinen Geist. Die geflüsterten Worte, mit denen sie mir ein komplettes Blech mit Keksen versprach, brachten mich heute noch zum Grinsen.

            Man hatte uns dank der Ratsmitgliedschaft unserer Mütter von Anfang an zusammengesteckt. Sie glaubten noch immer, dass es ihr Wille war. Ihr Tun. Aber die Nornen wussten wie falsch sie damit lagen.

            Moon war die eine Konstante in meinem Leben. Das Leuchten in einer schier endlosen Dunkelheit, die mich schon seit ich denken konnte begleitete. Sie war die Flamme, die mein Feuer entfachte. Und ich war ihr Anker. Ihr Halt. Das bin ich schon immer gewesen. Bis ich die Wahrheit herausfand.

            Ja, ich hatte es schon immer gewusst. Hatte gewusst, dass sie wertvoller als jede verdammte Hexe in diesem ekelhaften Zirkel war. Das war auch zum Teil der Grund, weswegen ich mich mit diesem Schwur an sie band. Dem Schwur der Nachkommin.

            Meine Geburt ist kein Zufall gewesen. Mein Leben ist nicht aus reinem Zufall an ihres gebunden worden. Tausend Sternschnuppen hatten mich in dieser Welt willkommen geheißen. Ein halbausgefüllter Mond hatte die Nacht erstrahlen lassen.

            Die Nornen hatten uns zusammengeführt. Hatten ihr Schicksal besiegelt, noch ehe sie in dieser Welt auch nur ein Gedanke gewesen ist. Und gleichzeitig hatten sie meins erschaffen. Ein Schicksal, das sich in jeder Zirkelphase wiederholte. Ein Leben, das von dem der Nachkommin abhängig war.

            Ein Leben, das vom Fluch der ersten Hexe bestimmt wurde.

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disclaimer: 2. Buch der Moonchild-Serie

Moonchild II. - Unersättliche SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt