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Zischend wirbelte der Schnee um mich herum.

Anfang der Woche hatte es einen kurzen Moment gegeben, in dem der dichte Schneefall endlich von einem erstaunlich warmen Wind abgelöst worden ist. Doch der Winter hatte noch härter zurückgeschlagen und selbst den dämlichen Schwarzhaarigen dazu gezwungen, sich die meiste Zeit über im Haus aufzuhalten – wobei ihn wahrscheinlich eh keine zehn Trolle von ihrer Tür vertrieben hätten.

Bittere Wut breitete sich in meinem Magen aus. Abgesehen von einer Handvoll Leute durfte sich keiner dem sonst so lebendigen Haus nähern. Jeremy hatte es vor einigen Tagen versucht, immerhin musste der Idiot auch einmal schlafen. Und obwohl die beiden Turteltauben sich sonst blind vertrauten, war Jeremy nach zwei Minuten mit einem blauen Auge auf die eingeschneite Veranda gestürmt und hatte jeden davor gewarnt, sich dem beschissenen Wolf zu nähern. Nicht, dass sonst wer so dumm gewesen wäre.

Sechs Jahre lebte ich schon bei ihnen.

Ich war nicht die einzige Hexe, die auf dem Territorium der Wölfe Zuflucht gefunden hatte, als der Zirkelrat uns aufgrund von Nichtigkeiten und hinterhältigen Intrigen mit dem Tod gedroht hat. Über viele Jahre hinweg hatte sich der gefürchtete Wald mit zwei der mächtigsten Wesenarten gefüllt – die Wölfe hatten das Unmögliche möglich gemacht und jedes einzelne bedrohte Hexenleben gerettet. Wir lebten unter ihnen, mit ihnen, verborgen vor den Augen des grausamen Rates.

Ich hatte mir so viel Wissen wie nur möglich angeeignet. Über sie, über die Wälder, die Berge. Kaum einer Hexe war es bis dato möglich gewesen, so viel über unsere von jeher geglaubten natürlichen Feinden zu erfahren. Aber als ich Lee Elysian, den Leitwolf des Rudels, um Erlaubnis gebeten hatte, um die Bibliothek seines Hauses zu benutzen, hatte er mir ohne Zögern alle Türen geöffnet. Dass ich ein hervorragendes Gedächtnis besaß, hätte ihn davon abhalten sollen. Ich vergaß niemals etwas, was ich gelesen oder gehört hatte – von dem gesehen mal komplett abgesehen. Mir war schon immer klar gewesen, dass dies meine Gabe und zur selben Zeit mein Fluch war. Aber Lee hatte mich in das Innere ihrer Geschichte gelassen, hatte mir Legenden erzählt und sich nicht davor gescheut ältere Wölfe meinen Fragen auszusetzen.

Ich habe aber auch das Verhältnis der Paare studiert und ihre Liebe gesehen. Den Drang danach, zu beschützen. Jeder von uns wusste, wie labil dieser dämliche Wolf momentan war und auch wenn wir Hexen vor sehr wenigen Dingen Angst hatten – oder zumindest nicht zeigten, dass wir Angst hatten – besaßen wir genug Verstand, um einen gesunden Abstand zu ihm zu pflegen.

Doch mit jedem Tag wuchs der unbändige Wunsch in mir, seinen Arsch von der Holztür wegzuschieben und sie zu sehen. Er mochte sie als seine Frau ansehen, aber sie war meine Freundin und in mir wütete dieselbe Sorge wie in ihm. An Schlaf war nicht zu denken, ganz zu schweigen von ruhig herumsitzen. Seit wir sie halb tot in die Höhlen gebracht hatten, hatte ich keine Sekunde Frieden gehabt.

Er ließ nur Liv in ihr Zimmer. Seit einem Tag auch Anna und Erin. Aber niemals einen anderen Wolf. Und ganz bestimmt nicht mich – er hatte vor ihrem beschissenen Einfall abzuhauen die Spannung zwischen uns mitbekommen und mich mit einem ach so gefährlichen Knurren weggezogen, bevor ich einen Fuß auf die Veranda setzen konnte. Dabei war es ihm vollkommen egal, dass ich sie, wissen die Göttinnen wie, zurückgeholt hatte.

Er beschützte sie. Und das verstand ich. Wirklich. Das hieß aber nicht, dass ich nicht sauer war. Stinksauer.

Anna war Heilerin. Während ihrer Zeit im Zirkel hatte sie den besten Ruf genossen und ihr Leben riskiert, um Moon nach einer grausamen Folter zu versorgen. Ihre Anwesenheit verstand ich. Aber Erin ... Erin Stryder hatte uns alle angelogen. Sie hatte uns Jahrelang die Gefahren vorenthalten, die hinter den Bäumen lauerten.

Moonchild II. - Unersättliche SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt