6. Der etwas andere Aufschlag

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Iwaizumi

Heute war ein Tag wie jeder andere. Zumindest dachte ich das, denn auf dem Schulflur war es ungewöhnlich still. Normalerweise schnatterten die Erstklässler unentwegt über ihren Stundenplan. Oh, die schrieben wohl gerade ihre ersten Prüfungen für dieses Quartal. Bald würde es auch bei uns Zweitklässlern soweit sein, aber das dauerte noch. Obwohl die Erstis weg waren war es trotzdem zu still. Ich ging an ihnen allen vorbei in meinen Biologie-Kurs. Das war mit Abstand mein Lieblingsfach. Aber die angespannte Atmosphäre im Raum passte mir nicht. Ich sah durch die Klasse, war einer der letzten. Dann konnte ich ihn sehen. Den Elefanten im Raum, den aller versuchten zu ignorieren.

An dem einen Ende der Klasse saß Oikawa, umringt von ein paar Menschen, unterhielt sich normal mit ihnen. Auf der anderen Seite saß Minako mit ihren Freundinnen. Das Mädchen trug ein großflächiges Pflaster auf der Wange, die Haut darum war bläulich angeschwollen. Ich runzelte die Stirn. Warum war Oikawa nicht bei ihr und machte das, was ein fester Freund eben tat? Wahrscheinlich hatten sie sich nur wieder gestritten. Ich hasse mich manchmal selbst für meine Taktlosigkeit, aber an diesem Tag erreichte ich offiziell meine Höchstleistung. Locker schwang ich mich neben sie auf den Platz, dachte mir nichts böses und fragte sie:
»Meine Fresse, wer hat dich denn geschminkt?«
Sie kannte meinen Humor, meine Art. Deshalb schmunzelte sie gezwungen, um die Situation nicht noch peinlicher für mich zu machen. Denn ich erkannte viel zu spät, dass die bläulichen Abdrücke nach einer Hand aussahen. Sie wurde geschlagen.

»Fuck...« murmelte ich und richtete schnell den Kopf auf den Tisch, um mich zu sammeln. Eine ihrer Freundinnen stämmte empört die Hände in die Hüften.
»Mach doch die Augen auf, bevor du was kommentierst, du Blödarsch!«
Ich beachtete sie nicht. Ich sah bloß wieder zu Minako zurück und versuchte zu erkennen, was geschehen war. Tränen schossen ihr in die Augen. Es klingelte, ihre Freundinnen setzten sich an ihren Platz.
»Wie ist das passiert?« fragte ich eindringlich. Ich mochte sie. Sie war eine Freundin von mir. Eine Freundin von Oikawa. Und ich mochte es nicht, wenn man meine Freunde misshandelte. Derjenige, der das war, würde dafür gehängt, das schwor ich mir.
»Minako. Wer hat dir das angetan?« zischte ich, doch sie antwortete nicht. Sie sah mich nur völlig distanziert an, als ob ich derjenige gewesen war, der sie geschlagen hatte. Ich rückte noch näher zu ihr. Mein Beschützerinstinkt pulsierte.
»Egal, wer das war, ich werde der Person das zurückzahlen. Ich schwöre es!«
Ihre Stimme war nur ein gebrochenes Hauchen. Sie schluchzte nicht. Sie atmete nicht schnell. Sie weinte bloß.
»Das werden wir sehen.«

Ich versuchte Blickkontakt mit Oikawa aufzubauen. Warum machte der Typ denn nichts? Seine Freundin saß hier heulend mit einem gebrochenen Wangenknochen und er tat rein gar nichts dagegen. Bis zum Ende der Stunde hörte man von ihm auch kein Wort, genauso wenig wie von ihr. Schließlich klingelte es, die Schüler räumten den Raum. Ich blieb verwirrt zurück. Normalerweise warteten beide auf mich, egal in welcher Verfassung, aber sie flüchteten vor mir. Bis zum Training sah ich Oikawa den ganzen Tag nicht. Er konnte doch nicht immernoch sauer sein, weil ich ihn letzte Woche angemeckert hatte, oder?
Die Stimmung beim Training war grauenvoll. Es lag nicht nur an Oikawa. Anscheinend war ich der einzige, der keine Ahnung hatte, was mit der Schule gerade vor sich ging. Ich freute mich praktisch allein, wenn einer von uns einen Punkt erzielte. Eine entscheidende Sache fiel mir dennoch auf: Sie alle hielten sich aktiv von Oikawa fern.

In der Trinkpause sprach ich mit ihnen, weil Oikawa es nicht tat. Er sollte unseren Captain heute eigentlich vertreten.
»Alter, was ist denn los mit euch? Ein bisschen mehr Motivation, wir haben eine heftige Saison vor uns! In jedes Gesicht, dass ich jetzt noch so angepisst sehe, trete ich rein. Also los, macht mal irgendwas, was witzig ist. Guckt euch die Frisur vom Trainer an, oder so.«
Sie lachten leise und ich hatte die Stimmung ein wenig gelockert. Bevor wir zurück auf das Feld gingen hielt ich Makki zurück.
»Was zur Hölle ist hier los?«
Er schwieg angestrengt, stellte seine Flasche betont langsam zurück auf den Boden.
»Es gibt Gerüchte.«
»Gerüchte? Was meinst du?«
Sein Kopfschütteln beunruhigte mich.
»Tut mir leid, man. Ich halte nicht viel davon. Ist sowieso egal. Lass uns einfach weiter spielen.«
Noch verwirrter als vorher ging ich zu den anderen. Oikawa glänzte wie immer mit guten Zuspielen und seinem widerlichen fake-Lächeln, ich und Makki zauberten ein paar hübsche Angriffe und die Erstklässler zeigten, was sie drauf hatten, als würde es um ihr Leben gehen. Die zweite Hälfte des Trainings war sehr viel entspannter.

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