Familienverhältnisse

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Endlich war Mittagspause, und anstatt ein Nickerchen zu halten, hatte Shota sich von seinen Freunden dazu überreden lassen, tatsächlich zum Mittagessen in den Speisesaal zu mitzukommen. Außerdem war Eri heute Vormittag bei dem Schulleiter, der ihr eifrig ein paar Grundlagen beibrachte, damit sie bald fit für die normale Schule war und mit den andren mithalten konnte und Nedzu hatte vor, sie beim Essen vorbeizubringen. Ein grandioser Plan, um Aizawa dazu zu bewegen, sich an sozialen Aktivitäten zu beteiligen und auch mal etwas anderes zu essen, als seine Proteinpäckchen.

Bald schon stieß Eri zu den drei Erwachsenen, die längst einen etwas abgelegenen Sitzplatz ergattert hatten, und verabschiedete sich vom Schulleiter, ehe sie sich zu ihnen setzte. Nemuri hatte ihr schon einen Teller mit Essen vorbereitet. Ein bisschen Fleisch und reichlich Gemüse. Wenn es nach Shota ginge, wären da nur Chicken Nuggets auf dem Teller, doch die Dunkelhaarige hatte ihm dabei kein Mitspracherecht gegeben. Sehr zum Leidwesen von Eri, die dem Grünzeug auch nicht recht viel abgewinnen konnte.

„Na, was hast du heute so gelernt?", begann Hizashi neugierig das kleine Mädchen auszufragen, das im Gemüseberg herumstocherte. Vielleicht half ihr etwas Ablenkung  ja etwas darüber hinweg, dass sie keine Nuggets haben durfte.

„Schulleiter Nedzu hat mir heute etwas über Familien beigebracht!", erzählte Eri breit lächelnd und nahm einen Happen Fleisch in den Mund, „dass Eltern streng sind, und darauf bedacht, dass es den Kindern gut geht. Und Tanten und Onkel sind die, die für den Spaß da sind und Opas und Omas sind die supernetten, von denen man immer Süßigkeiten bekommt!" Das klang ja wirklich einfach. Shota fragte sich jedoch, wieso Nedzu der Kleinen so etwas beibrachte. Wenn auch nicht lange. „Das bedeutet, dass du sowas wie mein Papa bist", fuhr sie fort und wandte sich an Aizawa, „du bist streng, aber du achtest darauf, dass es mir an nichts fehlt."

Daraufhin lief Shota ein wenig rot an, was Nemui und Hizashi zum Grinsen brachte. „Und Nemuri ist sowas wie meine Tante-Mama. Weil sie mir Gemüse zum Essen gibt und man trotzdem auch mit ihr Spaß haben kann. Hizashi ist der lustige Onkel, der immer nur herumalbert."

„Oh, das hast du aber süß gesagt", merkte Yamada breit grinsend an, zwinkerte ihr zu und musterte seine beiden Freunde, die sich sofort umsahen, ob auch niemand zugehört hatte. Es gab ohnehin schon viel zu viele Gerüchte im Umlauf, wenn nun auch noch an die falschen Ohren gelangte, dass man Aizawa als Vater sah und Kayama als Mutter bezeichnete, würde das nur wieder die Fantasien der Schüler beflügeln.

„Und Toshinori ist eigentlich irgendwie mein Onkel-Opa, weil es zwar lustig bei ihm ist, aber er auch Süßigkeiten für mich hat und superweise ist", erklärte sie weiter, „aber Mr. Nedzu hat mir gesagt, ich sollte ihm das lieber nicht sagen, weil er sich sonst alt fühlt." Aizawa schnaubte und Nemuri konnte sich ein Lachen kaum verkneifen. Doch aus Eri sprudelten noch mehr Worte. „Außerdem ist er doch auch für euch sowas wie ein Papa, weil ihr ihn um Rat bittet, also ist er logischerweise mein Opa."

„Da hast du was falsch verstanden", murrte Aizawa und schüttelte seinen Kopf, während Hizashi nachdenklich die Stirn runzelte. „Da ist was dran. Schließlich gehe ich oft zu ihm, wenn ich einen Rat für meine Podcasts brauche, oder hole mir Heldentipps." „Und als wir letztens zu viel Party gemacht hatten, hat er uns abgeholt und bis ins Bett begleitet, nur um sicher zu gehen, dass es uns gut geht ...", fügte Nemuri an und bekam große Augen. So hatte sie das noch nie betrachtet. Zwar hatte sie die beiden Kollegen, die neben ihr saßen, schon immer als jüngere Brüder angesehen, aber über weitere Familienverhältnisse hatte sie sich nie Gedanken gemacht.

Auch Shota kratzte sich nachdenklich am Kinn. Tatsächlich kam es nicht selten vor, dass er sich bei Yagi über seine Schüler auskotzte, doch das tat er stets als Kollege, und nicht weil er ein Vater-Sohn-Verhältnis zu dem Älteren hatte. Er konnte jedoch nicht leugnen, dass der große Blonde immer aufmerksam zu hörte und versuchte ihm alles wieder Hoffnung zu geben, dass die Kinder nur ein gutes Vorbild brauchten.

„Heißt das also, dass All Might uns heimlich adoptiert hat?", flüsterte Hizashi leise seinen Freunden zu. „Wann ist das passiert?"

Eri hatte diese Frage gar nicht mitbekommen, sondern grübelte über etwas anderes nach, dass sie seit der Schulstunde mit Nedzu beschäftigte. „Eine Frage habe ich aber: Wenn Toshinori für Deku wie ein Dad ist ... macht das Deku dann zu meinem Onkel und zu eurem Bruder?", fragte sie verwirrt und sah zu den drei Erwachsenen auf, die sichtlich noch verwirrter dreinsahen.

„Du denkst zu viel nach, Eri", meinte Shota dann nach einer Weile, bis er gedanklich herausfinden konnte, worauf das Mädchen hinaus wollte, „du bist in der Position, dass du dir aussuchen kannst, wer deine Familie ist, aber das macht uns alle nicht zu Verwandten. Und nur weil du jemanden Onkel nennst, ist jemand anderes nicht automatisch auch ein Familienmitglied für dich. Du kannst Deku nennen, wie du möchtest!" Vor allem wäre es am allerliebsten, dass sie nie wieder solche Dinge sagen würde. Das Problemkind würde er nicht einmal im Traum jemals als etwas andres als einen Schüler sehen. Irgendwie war diese kindliche Logik von Eri doch auch recht verwirrend und bereitete ihm Kopfschmerzen. Ob das Nedzus Absicht war?

Während Hizashi noch immer versuchte durchzusteigen, wo sein Gehirn gerade versehentlich ausgestiegen war, hatte All Might sich ihrem Tisch genähert. „Hey, wie geht's euch?", grüßte Yagi freundlich in die Runde, „habt ihr noch einen Platz für mich?"

„Ja klar, Dad ... Might", entfuhr es Yamada nebenbei, obwohl er eigentlich hatte All Might sagen wollen. Dementsprechend lief er nun ziemlich rot an, als ihm klar wurde, was er gerade so Gedankenverloren von sich gegeben hatte. Sofort sprang er auf und verabschiedete sich, um der Peinlichkeit zu entkommen, sehr zum Amüsement der anderen beiden Lehrer, die in schallendes Gelächter ausbrachen.

Verwirrt sah Toshinori dem Voicehero hinterher und bemerkte die perplexen Blicke von Todoroki und Midoriya, die am neben Tisch platzgenommen hatten, was ihn sich schnell umdrehen ließ. „Habe ich ... etwas falsch gemacht?", fragte der große Blonde, ehe er sich wieder an die beiden lachenden Helden wandte, die sich bereits vor Lachen krümmten und den Kopf schüttelten. Aus irgendeinem Grund hatte Yagi das seltsame Gefühl, irgendwas verpasst zu haben.

„Die drei sind seltsame Geschwister, ich weiß gar nicht, wie du mit denen zurechtkommst", meinte Eri und musterte Aizawa und Nemuri kurz, ehe sie ihr Teller mit dem von Shota tauschte und sich über die Chicken Nuggets hermachte, die deutlich besser schmeckten, als Gemüse.

Dadzawa MomentsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt