02 | k a p i t e l

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Ich traute meinen Ohren nicht. Nicht nur, dass Takahiro ohne meine Zustimmung hier erschienen ist, nein, er hat ernsthaft auch noch Freunde mitgebracht. Ich wirbelte entsetzt herum und wollte mich vergewissern, dass Hiko die Wahrheit sprach, doch die Reihe in der mein Bruder bis vor wenigen Sekunden gesessen hatte, war leer. Ich rieb mir die Augen, als wolle ich prüfen, ob ich nicht träumte. Um ehrlich zu sein, brauchte ich es aber gar nicht nochmal mit eigenen Augen zu sehen. Die Jungengruppe war mir tatsächlich aufgefallen, nur dass ich bis jetzt nicht darüber nachgedacht habe, dass es Bekannte von Takahiro sein könnten. Ich konnte mich zwar nur verschwommen an die Gesichter erinnern, musste aber einsehen, dass ich mindestens einen von ihnen besser kannte, als es mir lieb war. Dieser Jemand war niemand geringeres als Tōru Oikawa, der Kapitän vom Volleyballclub der Jungen. Es war schließlich nicht so, dass ich mich wie der Haufen an Fangirls, die der Braunhaarige hatte, um Kontakt mit ihm bemühte und ihn daher kannte, weil ich das so wollte. Ich war mehr oder weniger gezwungen, mich mit diesem selbstverliebten Schnösel herumzuärgern. Seitdem das neue Schuljahr im April begonnen hat und ich nach dem Austritt der Drittklässlerinnen bei uns Kapitänin bin, musste eine der Sporthallen auf unserem Schulgelände wegen Renovierungsarbeiten vorübergehend geschlossen werden und eine neue Verteilung der Sportclubs auf die anderen beiden Hallen festgelegt werden. Falls es sowas wie Schicksal gab, dann meinte dieses es nicht gut mit mir. Die Lehrer hielten es nämlich für eine ganz ausgezeichnete Idee, die Clubs so zu verteilen, dass Oikawas Team vor meinem Training in Sporthalle B hatte und so kam es, dass wir uns immer mal wieder über den Weg liefen. Ich kann diesen Typen echt nicht ausstehen und wir brauchen auch gar nicht erst darüber zu sprechen, dass in meinen Augen auch der Schwarm Mädchen, der ihm stets folgte und ihn anhimmelte, ziemlich verrückt war. Zu allem Überfluss war mein Bruder natürlich auch Teil des Jungen-Volleyballclubs, was das ganze nochmal um einiges schlimmer machte. Ich unterdrückte ein Seufzen, als mir auffiel, dass Hiko immer noch neben mir stand und mich fragend musterte. Fast hätte ich es vergessen. Da wir keine Managerin hatten und der Coach auch nur zwischenzeitlich mal hier und da aushalf, weil er eigentlich die Jungs trainierte, war es größtenteils meine Aufgabe das Team zu leiten. Es war ein Knochenjob, aber immerhin konnte ich damit meiner Leidenschaft nachgehen. ,,Das nächste Team kommt schon, lasst uns das Spielfeld räumen und uns umziehen" Ich klatschte in die Hände, um die erschöpften Mädchen meiner Mannschaft zum Gehen zu motivieren. Ich muss zugeben, ich habe selber keine Energie mehr dazu und Lust ohnehin nicht, aber ich muss immerhin mit einem guten Beispiel vorangehen. Während zwei der Mädchen den Ballwagen aus der Halle schoben, folgte der Rest und suchte sich anschließend den Weg zur Mädchenumkleide. Ich blickte mich nach meinem Bruder um, doch da ich ihn nicht unter den Menschen im breiten, gefliesten Flur ausfindig machen konnte, zuckte ich nur mit den Schultern. War vielleicht auch besser für ihn, wenn ich ihn erstmal nicht fand. Er würde noch ordentlich was von mir zu hören bekommen, wenn ich hier fertig war. Die Sachen waren trotz der Erschöpfung schnell gepackt und das Umziehen zog sich ausnahmsweise mal nicht unnötig in die Länge. Das Klischee, Mädchen würden lange zum Umziehen brauchen, traf leider hundertprozentig auf meine Truppe zu, wobei ich noch die Schnellste war mit Hiko zusammen, die bereits im Ausgang zur Umkleide auf mich wartete, bis ich meine Haare in dem großen Wandspiegel geöffnet, durchgekämmt und etwas zurechtgelegt hatte. Heute Abend würde ich sie waschen, doch zum Duschen blieb gerade keine Zeit. Ungeduldig lehnte sich Hiko mit vor der Brust verschränkten Armen in den Türrahmen, bis ich endlich bei ihr ankam und wir uns gemeinsam unseren Weg durch die Meschen nach draußen an die frische Luft bahnten. Schon als ich die Tür aufschwang, atmete ich tief die kühle Brise ein, die mir sanft durch das rotbraune Haar strich. Ein wirklich tolles Gefühl, endlich mal wieder frische Luft zu atmen und nicht die drückende Hitze in der Halle aushalten zu müssen. Es war noch Ende Mai, jedoch konnte man bei diesen warmen Temperaturen fälschlicherweise annehmen, es sei bereits Sommer. Die Hitze machte Spiele wie heute nahezu unerträglich, aber jammern brachte keinem etwas. ,,Ich muss dann mal, meine Mutter hat gekocht" Winkend verabschiedete sich meine Freundin von mir und ließ mich alleine vor dem Halleneingang stehen, wie bestellt und nicht abgeholt. Ich musste zugeben, ein bisschen neidisch war ich schon. Hiko's Mutter bereitete das weltbeste Essen zu und mir lief allein beim Gedanken daran das Wasser im Munde zusammen. Um nicht herumzusabbern, verbannte ich diese wunderschönen Leckereien allerdings schnell wieder aus meinem Kopf. Ich beschloss noch nicht direkt nach Hause zu gehen. Ich musste erstmal runterkommen und der weite Weg würde mir ohne eine Pause, so kurz nach einem Spiel von drei vollen Sätzen, ziemlich zu schaffen machen. Ich suchte mir eine Bank in der Nähe der Treppen, die zum Halleneingang führten und ließ mich darauf nieder. Man könnte meinen, ich sei in einer anderen Welt gefangen, denn schon nach kurzer Zeit drifteten meine Gedanken zu dem Spiel ab und mein Blick war einfach leer in die Ferne gerichtet, wo am Horizont gerade die Sonne unterging und so die Stadt in ein purpurfarbenes Licht tauchte, welches mir jedes mal auf's Neue den Atem raubte, weil dieser Anblick so wunderschön war, egal wie oft man sich den Sonnenuntergang ansah. Er ist doch jedes Mal einzigartig. Eine Bewegung in meinem Augenwinkel lenkte meine Aufmerksamkeit von der Farbenpracht am Himmel auf eine wild vor meinem Gesicht wedelnde Hand. Ich ließ ein genervtes Seufzen los und rollte die Augen, als ich genau die Person erkannte, die ich jetzt am wenigsten sehen wollte. ,,Willst du noch bis morgen hier sitzen oder kommst du endlich" Takahiro bückte sich mit seinem typisch höhnischen Grinsen auf den schmalen Lippen zu mir herab. ,,Und du glaubst ernsthaft noch ich würde freiwillig mit dir mitkommen" Ich sah ihn vorwurfsvoll an und blieb an Ort und Stelle, ohne mich auch nur einen Millimeter zu bewegen oder gar mit der Wimper zu zucken. Meine Arme verschränkte ich demonstrativ vor der Brust. ,,Du bist doch nicht ernsthaft böse auf mich, weil ich meine Schwester bei ihrem großen Spiel unterstütze" Er verstellte seine Stimme, sodass es sich beinahe so anhörte, als wäre er beleidigt. Ich wusste jedoch ganz genau, dass er mich nur aufziehen wollte. ,,Außerdem habt ihr gewonnen. Was genau ist also dein Problem" Diese Frage verlangte nicht nach einer Antwort, ein Rümpfen der Nase meinerseits genügte. ,,Der letzte Block war tatsächlich nicht so falsch" Ich zuckte bei dem Klang einer fremden Stimme zusammen. Ich habe bis jetzt nicht bemerkt, dass Takahiro nicht alleine war. Ich lugte an ihm vorbei und sah die drei Jungs, die vorhin neben meinem Bruder auf der Tribüne saßen. Die Stimme war mir doch nicht ganz so unbekannt, immerhin war es Oikawa, der das gewöhnungsbedürftige Kompliment aussprach. Von ihm brauchte ich nun wirklich keine guten Ratschläge. Darum erwiderte ich nichts und widmete mich nun den anderen beiden Begleitern. Beide hatten schwarze, stachelig abstehende Haare, jedoch blickte der Größere von beiden ziemlich gelangweilt drein und wirkte, als wäre er gerade erst aus dem Bett gekrochen. Der Kleinere hatte eine ziemlich finstere Miene und schüttelte nur den Kopf. Ob über meine Ignoranz gegenüber Oikawa oder wegen dem Kapität selbst, konnte ich in diesem Moment nicht einschätzen, ich tippte aber eher auf Letzteres. Ihre Gesichter kamen mir komischerweise ziemlich bekannt vor. Vermutlich, weil mein Bruder sie in der Vergangenheit schonmal bei uns Zuhause angeschleppt hatte. Oder kannte ich sie von woanders? War ja auch egal, ich wollte sie nicht länger als nötig anstarren. ,,Wie auch immer, ich habe gerade kein Interesse an deiner Gesellschaft. Du solltest lieber was mit deinen Freunden hier unternehmen" Das war ziemlich kalt, doch Takahiro störte das wahrscheinlich kein bisschen. Er kannte diese Art an mir und wusste, dass ich wütend war. ,,Das hatte ich doch vor, aber du hörst mir ja nichtmal bis zum Ende zu" Nun richtete Takahiro sich zu voller Größe auf und ich wirkte dagegen wie ein winziger Gartenzwerg. Was sollte das denn bedeuten? Er wollte doch anfangs eindeutig, dass ich ihn begleite, warum redet er jetzt von seinen Freunden? Ich werde aus diesem Jungen niemals schlau werden. Er bemerkte anscheinend meine Ratlosigkeit. ,,Ich wollte dir eigentlich ein Eis spendieren, um den Sieg zu feiern und die Jungs gleich mitnehmen, aber wenn du nicht willst..." Ich wusste es war eine Stichelei, aber leider konnte ich nicht anders, als darauf einzugehen. Er hatte meine Schwäche vollkommen gegen mich ausgenutzt, denn Eis war jetzt genau die Art Abkühlung, die ich brauchte. Dennoch zögerte ich. Die Jungs und besonders Oikawa wollte ich eigentlich eher weniger dabeihaben, weshalb ich den Mund verzog und mich etwas durchringen musste, schlussendlich doch zuzustimmen. ,,Na schön, du hast gewonnen. Glaube aber bloß nicht, dass dieses Gespräch schon beendet ist" Ohne auf seine Reaktion zu warten, sprang ich von der Bank auf und bewegte mich in Richtung Ausgangstor von dem Gelände, auf dem die Sporthalle lag. Als mir niemand folgte, drehte ich den Kopf über die Schulter zurück. ,,Ich dachte, wir wollten Eis essen und keine Wurzeln schlagen" Die Blicke der Jungs waren unbezahlbar.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Mar 06, 2021 ⏰

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𝐇𝐨𝐫𝐢𝐳𝐨𝐧 || 𝗁𝖺𝗂𝗄𝗒𝗎𝗎 𝗌𝗁𝗈𝗋𝗍𝗌𝗍𝗈𝗋𝗒 ; 𝖨𝖶𝖠𝖨𝖹𝖴𝖬𝖨Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt