01 | k a p i t e l

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Den Blick auf die Gegner fokussiert, die Muskeln maximal angespannt und in jeder Sekunde bereit, den Ball in jede Richtung zu verfolgen. Schweißperlen bildeten sich auf meiner Stirn, bis sie meine Schläfe hinunter rinnen und mir kurzzeitig die Sicht nahmen. Mit der Rückseite meiner Hand fuhr ich darüber, um alle meine Sinne voll ausschöpfen zu können. Alles um mich herum kam mir vor wie in Zeitlupe. Neben mir meine Mitspielerinnen, die alle genauso konzentriert auf den nächsten Zug der Gegenseite warteten. Ich lauschte dem lauten Atem der Mädchen auf meiner Seite des Spielfeldes und dem Quitschen der Schuhsohlen auf dem Linoleumboden, als gleich zwei Angreifer des gegnerischen Teams auf das Netz zustürmten. Meine Augen hefteten sich an die Zuspielerin. Was würde sie tun? Wen würde sie anspielen? Ihre Körperhaltung verriet mir, dass sie zu der linken Außenangreiferin spielen würde... Nein, sie würde nach rechts spielen! Der Blick der Zuspielerin huschte blitzschnell auf die andere Seite und fixierte das etwa 1,70m große Mädchen, welches auf der rechten Seite zum Sprung ansetzte. Mir blieben nur noch wenige Millisekunden, um angemessen auf den Angriff zu reagieren. Niemand außer mir schien das Täuschungsmanöver der Zuspielerin registriert zu haben, darum musste ich schnell eine Entscheidung treffen. Unser Libero würde den Ball nicht mehr rechtzeitig erwischen, denn sie stand ungüstig und genau auf der falschen Spielfeldhälfte. Meine einzige Chance war es, mich selbst vor den Angriff zu stellen und irgendwie zu versuchen ihn abzublocken oder zumindest so zu berühren, dass die anderen ihn ordentlich annehmen konnten. So hätten wir die Chance auf einen eigenen Angriff. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, ich konnte es mir förmlich aus der Brust springen fühlen. Ich schluckte, jetzt oder nie. So schnell es mir meine vor Anstrengung schmerzenden Beine erlaubten, folgte ich der Angreiferin der Gegner, die mittlerweile bereits zum Schlag ausholte. Sie war einen Wimpernschlag davor, mein Vorhaben zunichte zu machen, denn es fehlte nicht mehr viel, bis sie den Ball ungehindert auf unsere Seite des Feldes schmettern konnte. Ich hörte bereits das Donnern, als die Handfläche von dem größeren Mädchen auf das farbige Leder des Volleyballs traf. Mit letzter Kraft zwang ich meine Beine dazu, mich genau vor der anderen Spielerin zu positionieren und meine Hände auszustrecken, dem fliegenden Ball entgegen. Ich keuchte, als ich die volle Wucht des Angriffes in meinen Händen aufnahm. Meine Finger drohten weggedrückt zu werden, doch mit einem Aufschrei schaffte ich es, den Ball über das Netz zurückzuschlagen, sodass er auf dem Boden direkt vor der verdutzten Angreiferin aufkam. Sie hatte keine Chance, ihn noch zu erwischen und das wusste ich. Noch während ich dem Boden nach meinem Sprung wieder näherkam, umspielte ein triumphierendes Grinsen meine Mundwinkel. Kurz darauf der Pfiff, der den Satz und damit auch das ganze Spiel beendete. Meine Augen glitten auf die Punktetafel. 25:21 im dritten und letzten Satz. Meine Mannschaft hatte gewonnen, ganz wie erwartet. Die Gegener waren ein harter Brocken, doch für mich war von Anfang an klargewesen, wir würden als Sieger vom Platz ziehen. Hinter mir hörte ich bereits die Jubelrufe der Mädchen meines Teams und spürte wie jemand mir mit der Handfläche auf die Schulter schlug. Ich sah zur Seite, wo ich Hiko erblickte, die mich bewundernd ansah ,,Wir haben es geschafft" Raunte sie, die Hand weiterhin auf meiner Schulter verweilend. Ihr Gesicht war rot, wahrscheinlich genauso wie das meine und der anderen Spielerinnen. Erst jetzt bemerkte ich, wie mir der Atem fehlte und stützte mich keuchend auf meinen Knien ab, die bernsteinfarbenen Augen abwesend auf den Sporthallenboden gerichtet. Die Realität, die für mich während eines Spieles wie diesem oftmals verloren ging, kehrte langsam aber sicher zu mir zurück und auch der stechende Schmerz in meinen Oberschenkeln, Armen und Fingern kündigte sich an. Der Muskelkater, den ich mit Sicherheit davontragen würde, war diesen Sieg allerdings mehr als wert. Als meine Lungen sich wieder mit Luft füllten und ich mich wieder etwas besser fühlte, richtete ich mich wieder auf und sah der hinter dem Netz aufgestellten gegnerischen Mannschaft entgegen. Ich erkannte ihren Schmerz über den Verlust. Allmählich reihten auch meine Mädchen sich neben mir am Netz auf und es begann das immerwährende Ritual, bei dem die Spieler beider Mannschaften sich die Hände reichten und sich anschließen an der Aufschlagslinie aufstellten. ,,Danke für das Spiel!" Hallten die Rufe beider Teams durch die Sporthalle und kaum war das letzte Echo verklungen, übertrumpften die Jubelrufe der Zuschauer auch schon jegliches anderes Geräusch. Diese verstummten erst, als ich mit den übrigen Mädchen vom Volleyballclub der Aoba Johsai zu unserem Coach herüberschlenderte, um seinen abschließenden Worten und Glückwünschen zu lauschen. Ganz realisiert hatte ich das alles immer noch nicht, doch üblicherweise kam diese Einsicht immer erst nach dem Spiel. Meine Augen glitten hoch zu der Tribüne, wo unser Banner mit der Aufschrift ,,Beherrscht das Spielfeld" hing und auf den Plätzen saßen die Zuschauer, die sich das Match angeschaut hatten. Manche standen bereits auf, um zu gehen, doch meine Aufmerksamkeit erregte etwas anderes. Meine Bernsteinaugen wurden groß, als ich das unverkennbar hellbraune, rosastichige Haar eines ganz bestimmten Jungen in den Reihen aus Menschen ausfindig machte. Takahiro Hanamaki, mein ein Jahr älterer Bruder. Er hatte es doch tatsächlich gewagt, sich gegen meine Anweisung hier einzufinden, um das Spiel zu verfolgen. Ich hatte ihm gesagt, ich wolle nicht, dass er es sich anschaut, doch wie immer waren meine Worte Luft in seinen Ohren. Ich hätte es besser wissen müssen, er machte immerhin nie das, worum ich ihn bat. Ändern konnte ich daran jetzt nichts mehr, darum schnaufte ich einfach nur und zog meinen hohen Zopf wieder fester, ehe ich mich wieder zu meinem Team gesellte. Ich meinte zu spüren, dass mich jemand anstarrte, doch ich schluckte dieses Gefühl mit einem großen Schluck von dem Wasser aus meiner gelben Trinkflasche hinunter, die mir Hiko soeben reichte. ,,Dein Bruder ist also doch gekommen?" Fragte sie, als sie den Jungen auf der Tribüne erkannte. ,,Erinner mich bloß nicht dran. Der bekommt noch eine Abreibung" Grummelte ich vor mich hin. ,,Dann solltest du dir seine Freunde gleich mit vornehmen" Freunde? Wie bitte?!

𝐇𝐨𝐫𝐢𝐳𝐨𝐧 || 𝗁𝖺𝗂𝗄𝗒𝗎𝗎 𝗌𝗁𝗈𝗋𝗍𝗌𝗍𝗈𝗋𝗒 ; 𝖨𝖶𝖠𝖨𝖹𝖴𝖬𝖨Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt