Befleckt

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Mein Körper pocht vor Schmerz. Verschwommen nehme ich meinen Bruder wahr. Versuche zu ihm zu stolpern. 

„Du schaffst das. Komm schon. Fang mich!"

Duncans Finger umklammern meinen Arm. Ihr Zug lässt mich straucheln. Als sie von meiner aufgeschürften Haut ablassen, bleiben Blutspuren zurück. Seines ist heller als meines. Doch so sehr ich seine Bemühungen auch zu schätzen weiß: Ich kann nicht mehr. Kaum bringe ich die Kraft auf, meinen Kopf zu heben und ihn anzuschauen. Über seine Haut ziehen sich die roten Rinnsale. Die hellblauen Augen schwimmen in Tränen. Menschliche Rufe hallen durch den Wald.

Sie kommen.

Der bevorstehende Winter hat das Blätterdach gelichtet und in jedem Schimmer, den der Mond durch die kahlen Zweige wirft, glaube ich das Flackern von Taschenlampen zu sehen. Die Angst treibt mich weiter vorwärts. Dann breche ich zusammen. Klammere mich ans feuchte Laub wie an einen Rettungsring. Sauge den Geruch nach Erde und Morast auf wie Medizin. Duncan zerrt mich hoch und stützt mich. Mit seiner Hilfe tragen mich meine Beine, doch mein Gewicht drosselt auch seine Geschwindigkeit.

Wir sterben.

Schmerzen durchzucken meinen Körper und rauben meinen Verstand. Die Zeit, die vergangen ist, seit der Unbefleckte mich gegen die Wand einer Kirche geworfen hat, scheint wie eine Ewigkeit. Mein Kopf jedoch dröhnt noch immer von dem Sturz. Dunkle Flecken werden mittels kurzer Zeit meinen Brustkorb übersäht haben.

„Es ist nicht mehr weit. Gleich werden wir in Sicherheit sein. Vertrau mir.", röchelt Duncan. Ich kann nicht erkennen, wie sehr er lügt. Ob das Portal nur noch 100 Meter oder eine ganze Meile entfernt ist. Mein Kinn ist auf meine Brust gesunken und alles was ich sehe ist der mit Laub bedeckte Boden. Wie in Trance lasse ich mich von ihm weiterziehen. Der dünne Stoff meines Kleides bleibt an Dornen und Gestrüpp hängen. Die letzten Stunden haben sein keusches Weiß mit Blut und Schmutz gefärbt.

„Alles wird gut. Alles wird gut. Alles wird gut."

Immer wieder flüstert er dieselbe Lüge. Ich kann das Zittern seines Brustkorbs spüren, wenn er spricht. Seine Lebendigkeit gibt mir Trost. Doch die Hoffnung erstickt an dem Geruch nach Blut und Angst. Kaltes Licht zuckt durch die Bäume.

Sie sind da.

Ihre Rufe werden lauter. Ihre Schritte werden schneller. Im nächsten Moment schubst mich Duncan hinter eine massive Eiche. Ihre Rinde drückt sich schmerzhaft in die jungen Wunden. Ich taste nach meinem Bruder. Er ist direkt neben mir.

Stille.

Nur der Ruf eines Waldkauzes hallt durch den Wald. Ich halte den Atem an. Doch sie haben uns gesehen. Ich weiß, dass sie uns gesehen haben. Duncan weiß es auch. Ich spüre seinen rasendes Herz, halte seine bebende Hand.

„Sie sind nach links abgehauen. Irgendwo ins Dickicht. Können nicht weit sein.", knurrt einer unserer Verfolger. Zustimmendes Brummen folgt. Seine tiefe Stimme klingt viel zu nah und beim Klang seiner Worte steigt Übelkeit in mir auf. Die Verfolgung der Magie – der Befleckten – hat seinen Ursprung in der Annahme, dass uns das Übernatürliche als Waffe gegen die Menschen dient. Heute sind wir von den Nichtmagischen unterjocht. Doch wir brauchen keine Gefahr mehr darzustellen. Sie jagen uns ohnehin bis in den Tod. Wir teilen uns eine Welt, doch kein ebenbürtiges Leben. Eine Waffe wird geladen. Lichtkegel tasten den Boden ab. Erst als die Unbefleckten unmittelbar hinter uns sind, lösen wir uns von dem Baumstamm. Wir rennen. Immer tiefer ins Unterholz. Ich weiß, dass ich es nicht schaffen werde. Ich bin zu schwach und die Verfolger direkt hinter uns.

Ein Schuss. Höllischer Schmerz an meiner rechten Wade. Ich falle. Mein Schrei übertönt die Stimmen, die uns jetzt einholen. Duncan bleibt stehen. Sein Köper bebt. Licht sammelt sich in seinen Fingerspitzen. Aus der Tiefe schlingen sich Wurzeln um die Knöchel der Unbefleckten. Das Schluchzen meines Bruders bricht mir das Herz.

„Lauf!", schreie ich. Er schüttelt den Kopf.

„Lauf du dummer Junge! Lauf doch!"

Ich brülle all die Angst und Wut der letzten Jahre aus mir heraus. Ein metallisches Klicken ertönt. In Duncans Augen flackt das fahle Mondlicht. Zorn spiegelt sich in seinen Tränen wider. Er weiß, dass wir unschuldig sind. Wie aufgeschrecktes Damwild flieht er in den Schatten der Bäume. Der Schuss ertönt. Doch verfehlt ihn knapp.

„Keine Sorge. Wir werden ihn schon noch bekommen. In ein paar Tagen wird sein toter Körper direkt neben deinem liegen.", säuselt die Stimme des Mannes. Ein aufgebrachtes Dröhnen dringt zu uns herüber, als seine Gefolgsleute versuchen sich von ihren Fesseln zu befreien. Etwas Kaltes berührt mein Kinn. Es ist der Lauf auf der Waffe mit der er versucht hat meinen Bruder zu töten. Der Mann zwingt mich zu ihm hochzusehen. Sein Gesicht sieht schmierig aus. Die Augen dämlich. Ein selbstgefälliges Grinsen umspielt seine Lippen. Abdrücken tut er nicht. Uns wurde erzählt, dass sie warten. Solange, bis wir um Vergebung betteln. Und dann bringen sie uns um. Ich will nicht vergeben, denn ich habe nichts getan. Die Unbefleckten starren mich an, als sei ich wirklich eine Mörderin. Die Mühe mich anzuketten machen sie sich nicht. Auch für Magie bin ich zu schwach. Alles, was ich zustande bringe, ist ein schwaches Flimmern unter meinen Fingernägeln. Der Schmerz lässt mich zur Seite kippen. Wie ein junges Reh auf der Schlachtbank liege ich zu ihren Füßen.

Letzte Vorbereitungen werden getroffen. Messer bereitgelegt wie es ein Maler mit seinen Pinseln tun würde.

„Können wir anfangen?"

„Ja, der Wagen für die Leiche ist schon unterwegs. Dürfte in ein paar Minuten da sein."

Die Worte kommen kaum bei mir an. Mein Verstand ist wie verschleiert. Schritte rascheln im Laub. Sie kommen näher.

Dürre Finger legen sich um meinen Mund. Ersticken meine Schreie. Ein Geruch nach süßem Parfum steigt mir in die Nase.

„Vertrau mir.", flüstert eine Stimme.

Dann versinke ich in dämmernder Schwärze. 


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⏰ Letzte Aktualisierung: Mar 09, 2021 ⏰

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