➵ prologue

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26. Oktober 2001

Es war ein Tag wie jeder andere auch - Herbstbeginn und ein kalter Wind trieb sein Unwesen in Irlands Gassen. Mein Mann Finley und ich waren auf dem Weg zur Arbeit, genau wie jeden anderen Morgen auch. Wir arbeiteten sechs Tage die Woche ganztags und das Geld, das wir dafür bekamen, war ein Witz. Doch wir beschwerten uns nicht, denn wir brauchten das Geld. Wir benötigten es für unsere Zwillinge Niall und Alison, für Finleys Schwester Kassy und vor allem als Beweis dafür, dass wir weder von meinen noch von seinen Eltern abhängig waren. Finleys Eltern Jim und Brook Horan schwammen nur so im Geld, denn sie waren Führer einer erfolgreichen Anwaltskanzlei, die ihre Sitze nicht nur in Irland und England, sondern bald auch in China, den USA und Deutschland haben sollte. Kassy würde ihren Platz in ein paar Jahren einnehmen, doch bis dahin weigerten sich Finleys Eltern, Kassy oder ihm auch nur einen Cent ihres Vermögens abzugeben. James und Brook waren keineswegs schlechte Menschen, sondern einfach nur stolz auf das, was sie in ihrem Leben erreicht hatten und sie wollten, dass auch ihre Kinder es so weit brachten. Ich wusste, so wie jeder andere auch, dass sie nicht zulassen würden, dass Finley oder gar Kassy auf der Straße landeten, doch bis es dazu kam, sollten sie kämpfen.

James und Molly Brians, meine Eltern, waren zwei herzensgute Menschen, die nicht genug für einen tun konnten. Sie besaßen ausreichend Geld und immer wieder wollte meine Mutter mir finanziell unter die Arme greifen, doch ich weigerte mich, etwas zu nehmen, was sie nicht im Überfluss hatte. Dass Finley und ich in dieser Sache total verschieden waren, hatte in letzter Zeit immer wieder zu heftigen Streitereien zwischen uns geführt. Als wir vor dreizehn Jahren geheiratet hatten, schworen wir uns, immer für den anderen da zu sein, dass unsere Liebe alle Hindernisse überwinden würde. Heute zweifelte ich an den Worten, die Finley damals gesagt hatte, obwohl ich seinen "Ich liebe dich"s all meinen Glauben schenken wollte.

"Bella?" Die Stimme meines Mannes riss mich aus meinen Gedanken. Finley war ein gut aussehender und kluger Mann, der es verdiente, glücklich zu sein. In den letzten Wochen schämte ich mich immer mehr dafür, ihm solch große Sorgen zuzubereiten und dass ich einer der Gründe war, weshalb er sich sechs Mal die Woche stundenlang zu Tode schuftete. "Hey, ist alles in Ordnung? Du weinst ja, Liebes." Er kam auf mich zu und wischte mit seinen kalten Fingern sanft die Tränen von meiner Wange, die sich aus meinen Augen gelöst hatten. Besorgt funkelten mir seine blauen Augen entgegen, in die ich mich jedes Mal aufs Neue verliebte. Ich liebte diesen Mann mit allem was ich hatte, doch ich wusste, dass ich den einst so fröhlichen Menschen zu einem dunklen Schatten seiner selbst gemacht hatte.

"Ich ..." Meine Stimme brach - der Damm war gebrochen. Die Sorge in seinen Augen, seinen wunderschönen, blauen Augen, trug er nur meinetwegen, nur wegen mir war er zu einem Wrack geworden, das kaum noch Zeit für seine Kinder oder seine Schwester hatte. "Es tut mir so leid, Finley", flüsterte ich und griff mit meiner eisigen Hand nach seiner, die immer noch auf meiner Wange ruhte. Er hatte mir beim Losgehen seine Handschuhe angeboten, doch ich hatte sie abgelehnt, bis er mir schließlich einen in die Hand gedrückt hatte und er den anderen selbst anzog. Er war so ein gütiger Mensch.

Finley runzelte die Stirn. "Was tut dir leid, Bella? Ist etwas passiert? Geht es dir gut?"

"Ich bin so ein schlechter Mensch", murmelte ich, eher zu mir selbst als zu Finley. "Du hast etwas Besseres verdient."

"Etwas Besseres?" Ungläubig blinzelte er mir entgegen. "Du bist doch kein schlechter Mensch, Bella, was ist los? Liebes, rede mit mir und hör bitte auf zu weinen."

Seine Stimme klang sanft und melodisch, er wollte mir Trost spenden. In diesem Moment beschloss ich, dass Finley nicht mehr so weiter leben konnte - er war mit seinen Kräften am Ende und trotzdem sorgte er sich um mich, seine kaputte Ehefrau und versuchte, sie aufzubauen, obwohl er selbst gebrochen war.

Double Horan » h.sWo Geschichten leben. Entdecke jetzt