F(r)iends

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Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als die Locken um Aviana's Gesicht flogen. Sitzend riss sie den Vorhang zu ihrer Linken auf, schwang die Beine über die Bettseite und ertastete ungewohnt kalten Boden unter ihren Füßen. Sogleich rasten ihre Gedanken und ihr Blick glitt über die fünf großen Himmelbetten, die mit ihrem in einem Halbkreis angeordnet waren.

Sie war an einer Zauberschule und heute würde sie zum ersten Mal überhaupt zaubern. Die Euphorie sammelte sich in ihrer Magengegend und verteilte sich darauf in ihrem gesamten Körper, was es ihr unmöglich machte, noch länger im Bett zu bleiben.

Aviana wechselte so leise wie möglich in ihre Schuluniform, um ihre Mitschülerinnen nicht aufzuwecken. Durch das Zimmerfenster konnte sie gerade so die gegenüberliegende Steinmauer in etwa zwanzig Metern Entfernung ausmachen und sie fragte sich, ob sie um diese Zeit überhaupt bereits aus dem Gemeinschaftsraum käme. Und wie sollte sie die Großen Halle finden? Sie war gestern viel zu abgelenkt gewesen, um sich den Weg zu merken.

Weil sie sich am ersten Tag nicht bereits verlaufen wollte, gab sie sich damit zufrieden, den Zauberstab in ihrer Tasche zu verstauen, sowie den Stundenplan und das Schulbuch "Verwandlung für Anfänger" unter den Arm zu klemmen und den Gemeinschaftsraum etwas weiter zu entdecken.
In den frühen Morgenstunden wirkte er friedlich und ruhig. Ganz anders als am Abend zuvor, als sie von Perry Smiths und Sloan Peters hineingeführt und darauf von einigen der älteren Schülern in Beschlag genommen wurden.

Aviana hatte es genossen. Sie wusste durch diese Begegnungen nun zum Beispiel, dass das Feuer im offenen Kamin von Hauselfen gepflegt wurde. Auch ihre Wäsche und der grundsätzliche Unterhalt des Gemeinschaftsraumes und der Schlafsäle lag in der Verantwortung der Hauselfen. Dafür, dass sie so viele Dinge hier erledigten, hätte man meinen müssen, dass Aviana spätestens heute Morgen einen solchen Elfen zu Gesicht bekäme – wollte sie doch unbedingt wissen, wie die magischen Wesen aussahen –, doch ausser des Feuers, das müde im Kamin krackselte, war es still. 

Die vielen Pflanzen im Raum, die beinahe jede Fläche im Raum dekorierten, erinnerten Aviana so sehr an zu Hause, dass sie sich nicht vorstellen konnte, sich im Haus Hufflepuff nicht wohl zu fühlen. Die tentakelartigen Pflanzen, die in verschiedenen Längen von der Decke hingen, hatte sie bereits am Tag zuvor etwas näher betrachtet und entdeckt, dass sie sich, ungleich der Art in ihrem Wohnzimmer in Corris in Wales, ohne jeglichen Windhauch in der Luft rankten. Die Kakteen und anderen kleineren Topfpflanzen, die in größeren oder kleineren Abständen auf Tischen oder Regalen standen, fielen ihr an diesem Morgen zum ersten Mal auf. Ohne die vielen Schüler dieses Hauses war nun jede Ecke ersichtlich – bis auf einen hellgrauen Polstersessel nahe am Feuer, der beinahe gänzlich hinter einer großblättrigen Topfpflanze verschwand.

Als Aviana jedoch etwas weiter in den Raum trat, fiel ihr auf, dass ebenjener Sessel besetzt war. Sie hatte die Knie angezogen und zwirbelte mit abwesendem Blick an den Fransen ihrer Pyjama-Hose. Die offenen roten Haare stachen in der einzigen orangen Lichtquelle des Raumes noch stärker heraus und Aviana erkannte ihre Bettnachbarin, mit der sie bereits gestern Abend einige Worte gewechselt hatte.

Um sie nicht zu erschrecken trat Aviana erst in ihr Sichtfeld, bevor sie sprach. „Hi Merle. Du bist auch früh wach."

„Hm? Oh, ja. Ich konnte nicht mehr schlafen. Du scheinbar auch nicht." Merle setzte sich aufrecht hin und für eine Sekunde sah es so aus, als hätte sie sich mit dem Daumen eine kleine Tränenspur weggewischt, als sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich. Da der Raum jedoch immer noch größtenteils bloß durch das Feuer erhellt war, hatte es genauso gut ein Lichtspiel sein können.

Grinsend setzte sich Aviana auf den Zweisitzer neben Merle und meinte: „Nein, viel zu aufgeregt. Immerhin lernen wir heute zu zaubern. Richtige Magie." Doch plötzlich mischte sich ein anderes Gefühl in ihre Vorfreude. „Was, wenn ich gar nicht wirklich zaubern kann? Ich meine, können sie jemanden auch wieder nach Hause schicken, wenn sie merken, dass diese Person absolut nicht begabt ist?"

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