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Sechs Monate. Seit sechs Monaten sind sie alle zurück. Und für sie fühlt es sich an, als wäre es gestern gewesen, dass sie von der Erdoberfläche verschwunden sind wie ein Käfer, den man sich im Sommer von der Haut schnipst. Aber das stimmt nicht. Es sind fünf Jahre vergangen, fünf ganze Jahre, in denen ich alleine war. Fünf Jahre, die für die Hälfte der Weltbevölkerung nicht mehr als einen Wimpernschlag an Erinnerung darstellen. Das wäre dann wohl der längste Wimpernschlag der Menschheitsgeschichte. Und für mich haben sich diese fünf Jahre vielmehr wie ein konstanter Schlag ins Gesicht angefühlt, als wie ein harmloses Augen aufschlagen, das traurige ist, dass ich das nicht nur metaphorisch meine. Während von jetzt auf gleich meine Eltern, meine Geschwister und so gut wie all meine Freunde verschwunden sind, bin ich alleine zurückgeblieben. In einer Welt, die unübersichtlicher, gewalttätiger und regelloser war, als je zuvor. Ich kann mich daran erinnern, als wäre es gestern gewesen und gleichzeitig fühlt es sich so an, als hätte sich seitdem ein ganzes Menschenleben abgespielt und als würde ich um Jahrzehnte gealtert auf meine unbeschwerte Jugend zurückblicken. 

Ich saß mit meinen damaligen Freund Pat in unserer kleinen Wohnung vor dem schrottigen Fernseher, den wir uns gemeinsam zur Einweihung besorgt hatten. Es war noch nicht lange her, dass wir zusammengezogen sind und ich war das erste Mal in meinem Leben unsterblich verliebt. Zwei Wochen nach meinem 19. Geburtstag hat er mich gefragt ob wir zusammen eine Wohnung suchen wollen und ich hab geheult vor Freude und bin ihm in die Arme gesprungen. Wenn ich jetzt daran denke, komme ich mir unglaublich naiv und dramatisch und rührselig und vor allem dämlich vor. Jedenfalls fing Ellen in der alten Schrottkiste von Fernseher plötzlich an sich aufzulösen und sah mit völlig schockiertem Gesicht in die Kamera. Ich hab laut losgelacht und mich gefragt, wie sie das wohl animiert haben und was es mit diesem ungewöhnlichen Comedy Act auf sich hat. Dann habe ich links neben mich geschaut und Pat war weg. Wie jeder normale Mensch hab ich erst gedacht, ich hätte einfach nicht mitgekriegt, dass er auf die Toilette gegangen sei. Und als er dort nicht war, hab ich vermutet er würde sich Zigaretten holen. Und als er eine halbe Stunde später immer noch nicht zurück war und sein Portemonnaie wie üblich neben der Türe lag, zusammen mit seinem Schlüssel, hab ich langsam Panik gekriegt. Und erst dann, eine geschlagene halbe Stunde nach dem Blip, sind mir die lauten Geräusche von der Straße, 22 Stockwerke tiefer aufgefallen. 

Ich bin rausgerannt, mit vielen anderen Verzweifelten, die ähnlich schockiert waren wie ich und wir haben versucht uns ein Bild von der Lage zu machen, uns zu erklären, was da unerklärliches vor sich ging. Fahrerlose Autos ineinandergekracht, Verletzte, am Ende der langen Straße die Sirene eines Einsatzfahrzeuges, dass offenbar auch von der Spur abgekommen und in ein Gebäude gekracht war. Das war der Moment, in dem mich die Angst, die Panik so richtig gepackt hat. Irgendein Mann, den ich nicht kannte, hat mich an den Schultern gepackt und gerüttelt und angebrüllt, ich habe nichts verstanden, völlig perplex, tausend Fragen in den Augen. Und dann ist es langsam durchgesickert. Ich habe Elia angerufen, meinen sieben Jahre älteren Bruder, es ist niemand rangegangen. Das Blut ist mir aus dem Gesicht gewichen und als bei meinen Eltern, meiner besten Freundin Chris aus Kindheitstagen, meinen guten Freunden Oliver und Frieda, bei Leuten aus meinen Uni-Kursen, bei meinem Boss niemand ranging, hat es sich angefühlt, als müsste ich jeden Moment sterben. Und das war erst der Anfang, damals hab ich mir nicht ansatzweise vorstellen können, was noch auf mich zukommen würde. Wie alleine auf der Welt man sich tatsächlich fühlen kann. An diesem ersten Abend nach dem Blip habe ich nur einen winzigen Bruchteil dieser unheilvollen Zukunft erfassen können. Aber auf das, was danach kam, hätte nichts auf der Welt mich vorbereiten können. Nachdem für anderthalb Tage durchgehend nur Chaos herrschte, kam irgendwann eine Eilsendung im Fernsehen, in der über die Lage berichtet wurde. Captain America hat die Sachlage erklärt und ich hab vor Wut den Bildschirm des Fernsehers kaputt getreten. Aus Panik etwas zu verpassen, bin ich danach in die Wohnung meiner verschwundenen Nachbarn eingebrochen um die Eilsendung weiter zu verfolgen. Ruhe bewahren, Ruhe bewahren, haben sie allen ernstes gesagt. Ich hab vor Wut und Verzweiflung die halbe Wohnung in Schutt und Asche gelegt. Dann hab ich unendlich lange geheult und geschrien und zitternd unter Tränen alles wieder versucht aufzuräumen. 

Bucky Barnes FF (Parallel zu TF WS)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt