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Es ist besser geworden, das Gefühl nicht mehr ich zu sein, selbst wenn all die Zurückgekehrten mich immer noch schmerzlich an die Person erinnern, die ich selbst vor fünfeinhalb Jahren noch war. Versteht mich nicht falsch, um nichts in der Welt würde ich meine Familie jemals wieder gehen lassen. Sie sehen zu können, jederzeit in die Arme schließen zu können versetzt mich immer noch in ein natürliches High, obwohl sie jetzt schon seit sechs Monaten zurück sind. Mein Bruder und ich haben wieder angefangen unsere Eltern zum Abendessen zu besuchen, "damit wir uns alle wieder ein bisschen aneinander gewöhnen können". Was sie eigentlich meinen: Damit sie sich an mich gewöhnen können, an die Person, die ich geworden bin. Meine Veränderung ist auch an ihnen nicht spurlos vorbeigegangen und ich kann die Sorge in ihren Blicken spüren, immer noch. Deswegen ist meine einzige Regel für diese Abendessen, dass wir nicht über die letzten fünf Jahre reden. Zumindest nicht über meine letzten fünf Jahre. Elia weiß mittlerweile ein wenig mehr als meine Eltern, denen ich fast gar nichts erzählt habe. Er weiß, dass ich meinen Job verloren habe, dass ich nicht mehr zur Uni gehe, dass ich eine Zeit lang in einem der Asylbewerberheime gelebt habe. Und natürlich hat er früher oder später irgendwann mit Lisa geredet, aber sie hat mir versprochen, dass sie ihm nicht viel erzählt hat, nur dass es mir nicht so gut ging und sie mich eine Zeit lang aufgenommen haben. Sie findet es äußerst ungesund, dass ich Elia nicht von den Sachen erzähle, die ich in den letzten fünf Jahren erlebt habe, aber ich habe sie gebeten, das meine Sache sein zu lassen.

Mit Pat und meinen Freunden ist es nochmal eine ganz andere Geschichte. Während ich mich von meiner Familie jawohl kaum abwenden konnte, haben sie es mir erschreckend leicht gemacht. Ich hab Pat erklärt, dass ich schon mit anderen zusammen war, dass ich jetzt nicht plötzlich zu unserer Beziehung zurückkann, dass ich damit schon abgeschlossen hatte - und er hat das akzeptiert. Ein Teil von mir war erleichtert, ein anderer Teil hat sich gewünscht er würde um mich kämpfen, würde um das verliebte Mädchen kämpfen, dass ich vor fünf Jahren noch war. Aber wer will es ihm verübeln, ich bin so verdreht, kaputt, ich würde auch nicht mit mir zusammen sein wollen. Und dann ist da natürlich noch der plötzliche Altersunterschied zwischen uns gewesen. Während er immer noch der aufgedrehte 19jährige von damals war, bin ich mittlerweile 24 Jahre alt und ein schweres, einsames Leben hat seine Spuren hinterlassen. Die einzige, die die ersten drei Monate nach dem Blip immer noch jeden Tag, dann jede Woche anrief und sich um mich bemüht hat, war meine beste Freundin Chris, aber selbst sie hat es irgendwann aufgegeben.

Jetzt gerade sitze ich in der U-Bahn, es ist kurz vor halb sieben und ich bin auf dem Weg zum Supermarkt, der um 7 Uhr aufmacht. Es fasziniert mich immer noch, wie überfüllt die Bahn selbst um diese frühe Uhrzeit mittlerweile wieder ist. Ich stehe neben einer der vielen Türen, den Rücken zur Wand, meine Hand krallt sich in meine Umhängetasche und ich senke den Blick, als ein schmieriger Typ mit einem Grinsen an mir vorbeiläuft. Ich denke an die Worte meiner Therapeutin, die Lisa mir vor einer halben Ewigkeit empfohlen hat. Die Angst ist nicht real.

Zwei Haltestellen später steige ich aus und laufe die Treppen hoch, dem Tageslicht entgegen. Ich merke jetzt schon, dass es heute noch kälter sein wird als gestern, vielleicht regnet es sogar. Der Himmel ist grau und wolkenverhangen, vielleicht sind das aber auch einfach die Abgaswolken, die seit der Rückkehr der Hälfte von New Yorks Bevölkerung wieder vermehrt in der Luft hängen. Die Morgenluft ist erfrischend, angefüllt mit unterschiedlichsten Gerüchen. Das Parfüm der Frau neben mir, süßlich, blumig, das herbe Deo des Typen vor mir. Die Abgase der gut befahrenen Straße, der Geruch von frischen Backwaren in der Auslage zu meiner linken. Ein Blick auf die Uhr, die über der Unterführung die zur U-Bahnstation führt, von der ich gerade komme, sagt mir, dass ich mal wieder ein bisschen zu spät dran bin. Phillipe sieht das zwar nicht gerne, aber er wird es mir wohl nochmal durchgehen lassen, er ist ja eigentlich sehr verständnisvoll. Und wir wissen beide, dass ich diesen Job nicht verlieren kann. Meine Eltern versuchen zwar schon seit Monaten mich zu überreden wieder zur Uni zu gehen oder eine vernünftige Ausbildung zu machen, aber ich will nicht. Momentan hört sich eine Zukunft in Phillipes kleinem, sicheren Laden mit den süßen alten Leuten, die dort einkaufen sehr verlockend an. Selbst wenn es ziemlich schlecht bezahlt ist und ich kaum über die Runden komme. Weswegen ich seit einigen Monaten auch noch abends als Putze für das Gebäude in dem ich lebe, arbeite. Im Laufe der Monate habe ich herausgefunden, dass viel Arbeit zwar anstrengend ist und mich teilweise wirklich auslaugt, aber gleichzeitig auch das einzige, was mich am Leben hält. Ich brauche einfach diesen Gefühl, hier einen Zweck, einen Nutzen zu haben, gebraucht zu werden. Und sei es nur, weil eine alte Dame den Reis nicht alleine findet.

Bucky Barnes FF (Parallel zu TF WS)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt