3 - Rückkehr in die Wirklichkeit

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Sein Blick glitt aus dem Fenster und über die nebelverhangenen Wipfel des Waldes, der Silbermeer auf einer Seite umgab. Die schroffen Klippen bildeten neben dem satten Grün einen schroffen Kontrast; karg ragten sie in den blaugrauen Himmel, dessen Farbe zu Cambriels Stimmung passte. Das Hochgefühl, das ihn nach seinem Aufbruch auf dem Pferd bis Walestein begleitet hatte, war beim Anblick seines Vaters und Bruders in sich zusammengefallen wie ein sprödes Kartenhaus. Er hatte sich zähneknirschend der Realität stellen müssen, die ihm wortlos vermittelte, nicht so bald in den Wasserpalast zurückkehren zu können wie er es gehofft hatte. Niemand hätte ihn nach Silbermeer zurückbeordert, wenn es sich nicht um eine ernste Situation handeln würde, und die verhaltene Begrüßung durch seine Familie war ihm der Beweis gewesen. Schweigend hatte man ihn durch das Schloss geführt, dessen Bewohner noch nichts von den drohenden Veränderungen zu ahnen schienen; nur Almar und Jonathan schienen die Welt auf ihren Schultern zu tragen.

"Cam", rief eine dunkle Männerstimme nicht zum ersten Mal. In ihr lag die Ungeduld eines Menschen, der sich grundlos aufgehalten fühlte. "Hörst du, was Vater sagt?"

"Das goldene Reich plant einen Aufstand gegen uns", wiederholte der blonde Prinz tonlos. Sein Bruder schloss aus der milden Reaktion, dass Cambriel die Lage nicht begriff, und schüttelte den Kopf. Sein hellbrauner Zopf war während der Abwesenheit des Jüngeren einem kurzen Haarschnitt gewichen, der auf langen Ritten und beim Beugen über Dokumente einfacher zu handhaben war. Die äußerliche Veränderung war nicht besonders groß, trotzdem fühlte sich der Mann vor ihm merkwürdig fremd für Cam an. Im letzten halben Jahr ist viel passiert, erinnerte sich der blonde Prinz an die Tatsache, dass er seit der Hochzeit seines Bruders nicht mehr auf Silbermeer gewesen war; weder für die Verkündung von Viktorias erster Schwangerschaft, noch für die Trauer um den Verlust ihres Kindes.

"Der Jarl von Rise hat den alten König getötet und besetzt nun den goldenen Palast. Wir sprechen über eine Armee ungewissen Ausmaßes. Gerüchten zufolge soll Reik das gesamte Jarltum überzeugt haben, mit ihm in diesen sinnlosen Krieg zu ziehen, und noch dazu steht ihm die goldene Armee zur Verfügung. Verstehst du überhaupt, was das bedeutet?"

Cambriel wusste nur allzu gut, was auf dem Spiel stand, wenn Unruhen in den jungen Reichen ausbrechen sollten, welche die Überreste des goldenen Reichs umringten, als wollten sie die Erinnerung an ihre Vergangenheit in ihrer Mitte verstecken. Die Brüder waren mit Geschichten ihres Vaters über den goldenen Krieg und die silberne Schlacht, der die ehemals aus Händlern und Soldaten bestehende Familie ihren Status zu verdanken hatte, aufgewachsen. Als Junge war Cam vielleicht ein schlechter Schüler gewesen, doch er hatte zu großen Teilen denselben Unterricht wie sein Bruder genossen. Das hatte bedeutet, sich stundenlang durch schwere Almanache und Atlanten zu wühlen, deren Staubschicht die Prinzen zum Husten gebracht hatte; langweiligen Vorträgen immer neuer Tutoren zu lauschen ohne einzuschlafen; und zahllose Schönwettertage waren vergangen, an denen sie den blauen Himmel nur durch dicke Glasscheiben betrachten konnten.

Trotz des Wissens um Silbermeers prekäre Lage fiel es ihm schwer, sich auf das Gespräch zu konzentrieren. Anstatt sich über die Planung und Vorbereitung auf mögliche Unruhen Sorgen zu machen wie sein Bruder, kreisten seine Gedanken darum, wie lange ihn dieser unglückliche Umstand von Raven fernhalten würde. Ob er sie überreden könnte, nach Silbermeer zu kommen? Sie hasste die Kälte, die zu jeder Jahreszeit in den dicken Mauern des Gebäudes hing, aber es wäre auch nicht für immer.

"Was gedenkst du zu unternehmen, Vater?"

Als er sich schließlich zu einer Antwort durchrang, wie sie von ihm erwartet wurde, kassierte er überraschte Blicke.

"Wenn du schon fragst", sagte Almar mit einem Lächeln, das Cambriel nichts Gutes vermuten ließ. "Es gibt zu unserem Glück einen Plan, der Aufstände vermeiden und den Frieden bewahren wird. Eine Verbindung zwischen Reiks Familie und dem Blut von Silbermeer wird die Stabilität in den Königreichen gewährleisten. Ich vertraue darauf, dass alle Beteiligten einsehen werden, dass ihr Opfer notwendig ist."

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