Kapitel 2 - Emilia (Januar 2018)

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«Ich hasse dich», schreie ich, während ich unten die Tür ins Schloss fallen höre. Und trotzdem kann ich nicht glauben, dass ich ihn nach drei Wochen Funkstille tatsächlich mitten im Streit hinausgeworfen habe, obwohl ich doch eigentlich noch so viel sagen wollte. Nun geht er einfach und lässt mich hier allein stehen. Lässt das Zimmer voller ungesagter Worte zurück, die in der Luft hängen. Und diese Worte erdrücken mich jetzt.

Wütend schmeiße ich mich auf mein Bett, stoße einen Schrei aus und schlage auf meine Kissen ein. Wieso musste ich mich nur in ihn verlieben? Wieso ausgerechnet er? Es könnte alles so einfach sein, aber nein, ich suche mir das Drama aus.

Man verliebt sich halt leider nicht mit Absicht.

Wie kann man eine Person, die man so sehr liebt, ansehen und sie plötzlich nicht mehr kennen? Wie ist das möglich? Als würde da plötzlich ein vollkommen anderer Mensch vor mir stehen. Ein Mensch, auf den ich mich niemals eingelassen hätte. Zu diesem Zeitpunkt ist es nur leider schon zu spät, denn dieser andere Mensch hat dasselbe Gesicht, wie der Mensch den ich liebe.

In diesem Moment hilft nichts anderes, als meine Gefühle einfach zu pausieren. Immerhin tut er das auch ständig.

Ich habe ihn an sein Gespenst verloren. Es hat ihn mir gestohlen.

«Was ist los?» Mama steht plötzlich im Zimmer. Ich habe gar nicht bemerkt, wie sie hereingekommen ist.

«Nichts.» Schnell wische ich mir ein paar wütende Tränen aus den Augen. Ich will vor Mama nicht weinen und erst recht nicht wegen eines Jungen. Sie soll sich keine Sorgen um mich machen. «Es ist vorbei.» Ich erschrecke mich darüber, wie sich diese Worte ausgesprochen anhören.

«Ach, Sweetheart. Es ist sicher besser so.» Sie setzt sich auf meine Bettkante und schnürt ihren Bademantel enger. «Zuerst der Vorfall am Strand und jetzt auch noch das. Der Junge hat dich nicht verdient.»

Obwohl ich meiner Mom normalerweise alles erzähle, kennt sie diesmal nicht die ganze Geschichte. Sie weiß nicht, was wirklich passiert ist. Sie hat keine Ahnung von Janniks Problemen, von seiner Krankheit. Es würde sie zu sehr belasten und ich will nicht riskieren, dass sie sich aufregt. Nicht in ihrem jetzigen Zustand.

Meine Mom und ich hatten schon immer eine ganz besondere Verbindung, sind mehr Freundinnen als Mutter und Tochter. Zumindest war das mal so. Ich habe ihr früher immer alles erzählt, wirklich alles. Auch Dinge, die man seiner Mutter vermutlich besser nicht erzählen sollte. Meine Mutter hat sich mir gegenüber von Anfang an immer mehr wie eine Freundin verhalten. Das liegt vielleicht auch an dem geringen Altersunterschied, den wir beide haben.

«Ach, es tut mir so leid, Sweetheart. I'm so sorry. Ich hasse es, dich traurig zu sehen. Du hättest am Silvesterabend doch lieber bei uns bleiben sollen», sagt sie mit ihrem amerikanischen Akzent und streift mir dabei liebevoll durch die Haare. «Aber das kann man ja jetzt auch nicht mehr ändern. Mach dir nicht zu viele Gedanken. Don't worry. Bald verliebst du dich wieder neu und dann vergisst du Jannik ganz schnell. So funktioniert das eben in deinem Alter.»

In meinem Alter. Ich mag es überhaupt nicht, wenn Leute so etwas behaupten. Als ob man mit siebzehn noch nicht das Recht dazu hat, sich ernsthaft zu verlieben. Das sind doch sowieso nur die Hormone und in ein paar Tagen sieht die Welt schon wieder anders aus.

Schön wär's.

Dabei war Mom auch nur knapp drei Jahre älter, als sie sich damals in Papa verliebt und kurz danach mich bekommen hat. Waren es etwa auch nur die Hormone, die sie dazu gebracht haben, ihr altes Leben komplett aufzugeben und mit ihm nach Deutschland zu gehen?

«Vermutlich hast du recht», sage ich und nicke brav dabei.

Mom gibt mir einen Kuss auf die Stirn. «Natürlich habe ich recht. Ich habe zwanzig Jahre mehr Lebenserfahrung als du.» Sie zwinkert mir zu und steht dann auf, um mich allein zu lassen. Ich mag es nicht, wenn sie die Mutter raushängen lässt. Die Freundin ist mir meistens lieber.

Aber vermutlich ist es wirklich besser, dass es jetzt endgültig vorbei ist. Das ist es doch, oder? Auch wenn ich ihm versprochen habe, dass es nicht so enden wird, dass ich stärker sein werde. Wie sehr ich das damals geglaubt habe, oder zumindest unbedingt glauben wollte. Aber die letzten Monate waren nicht leicht. Sie haben mein Herz mit Löchern versehen. Löcher, die nie wieder vollkommen verheilen werden, egal was andere sagen. Sie werden zu Narben werden, die niemals ganz verblassen.

Dabei wusste ich von Anfang an, worauf ich mich einlasse. Wie oft habe ich behauptet, dass ich ihm helfen möchte, dass er sich auf mich verlassen kann, dass ich ihn nicht im Stich lassen werde.

Lügnerin. 

The Higher You Fly ...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt